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Erhöhter Druck führt dazu, dass Arbeitsuchende schlechtere Stellen annehmen, es kommt zu Lohndruck und noch größerem Niedriglohnsektor.

Interview

Mehr Druck auf Arbeitslose ist kontraproduktiv

Verschärfungen würden Niedriglohnsektor vergrößern und Erwerbsarmut erhöhen

Die Zahl der Sperren von Arbeitslosengeld ist im Vorjahr um neun Prozent gestiegen. Wie man die Zahl der Sperren senken kann und warum es kontraproduktiv ist, die Zumutbarkeitsbestimmungen zu verschärfen, erklärt ÖGB-Experte Alexander Prischl im Interview.

oegb.at: Im Jahr 2019 stieg die Zahl der Sperren von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe im Vergleich zum Vorjahr um 9 Prozent. Wie ist dieses Ergebnis zu bewerten?

Alexander Prischl: Der Anstieg ist aus meiner Sicht auf zwei Faktoren zurückzuführen: Erstens melden Arbeitgeber Vorfälle bei Bewerbungsgesprächen jetzt öfter als früher, da durch die noch immer relativ günstige Arbeitsmarktlage der Bedarf hoch und die Sensibilität – auch geprägt durch die öffentliche Debatte – eine höhere ist. Zweitens gibt es von der Politik an das AMS den klaren Auftrag, stärker zu sanktionieren. Wo zuvor beim ersten Mal ein Gespräch gesucht wurde, wird jetzt gleich eine Sperre verhängt.

Was muss getan werden, damit die Zahl der Sperren zurückgeht?

Zum einen müssen Arbeitsuchende klarer über die möglichen Sanktionen informiert werden. Zum anderen müssen Arbeitsplätze mit akzeptablen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Und für die überregionale Vermittlung muss es klare „Qualitätskriterien“ für die Stelle vor Ort geben: Wie hat die Unterkunft auszusehen? Gibt es Unterstützung im sozialen Umfeld? Gibt es eine angemessene Vorlaufzeit? Missbrauch des Systems – sowohl von Arbeitgebern als auch von Arbeitssuchenden – ist natürlich nicht zu unterstützen. Es muss aber zunächst einmal davon ausgegangen werden, dass sich niemand freiwillig ausgesucht hat, arbeitslos zu sein – alle Arbeitslosen unter Generalverdacht zu stellen, ist inakzeptabel. Wenn Firmen ungerechtfertigt Förderungen in Anspruch nehmen, behaupten wir ja auch nicht pauschal, dass alle Unternehmen Betrüger sind.

Was hältst du davon, die Zumutbarkeitsbestimmungen zu verschärfen, wie Georg Kapsch, der Präsident der Industriellenvereinigung, kürzlich vorgeschlagen hat?

Gar nichts, da eine Verschärfung zu keinem arbeitsmarktpolitischen Effekt führt, sondern zu einer Stigmatisierung der Betroffenen. Dazu kommt, dass erhöhter Druck dazu führt, dass Arbeitsuchende schlechtere Stellen annehmen, es somit zu einem Lohndruck und in weiterer Folge zu einem noch größeren Niedriglohnsektor und damit höherer Erwerbsarmut kommt. Zusätzlich treten Qualifizierungen in den Hintergrund.

Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) will „Anreize“ schaffen, damit Menschen aus Ostösterreich Jobs in Westösterreich annehmen. Wie beurteilst du dieses Vorhaben?

„Anreize“ haben in der ÖVP-Diktion immer etwas mit „Schmerzen“ zu tun. Die überregionale Vermittlung ist nicht grundsätzlich abzulehnen, aber es geht um die Rahmenbedingungen. Im gegenwärtigen Zustand stellt sie vor allem ein Instrument der Disziplinierung, Unterdrucksetzung und Sanktionierung von Arbeitsuchenden dar.

Zur Person: Alexander Prischl leitet das Referat für Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik im ÖGB und vertritt die Interessen der ArbeitnehmerInnen im AMS-Verwaltungsrat.