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jozefmicic – stock.adobe.com

Gut geteilt, ist halb gewonnen

„Das Leben ist ungerecht.“ Jeder und jede kann diesem Zitat aus den unterschiedlichsten Gründen zustimmen. Zumindest, wenn man die richtige Perspektive einnimmt.

Für Mirjam, die alleinerziehende Mutter, ist es ungerecht, dass ihre Tochter nicht die gleichen Bildungschancen hat wie der Sohn von Viktor und Susanne. Während Mirjam und ihre Tochter in den letzten Wochen mit Homeschooling überfordert waren und sie allerhand damit zu tun hatte, Job und Kinderbetreuung unter einen Hut zu bringen, sind Viktor und Susanne beide in einer Führungsposition tätig und haben genug Geld für etwaige Nachhilfe und dafür, dem Kind später mühelos das Studium zu finanzieren. Ungerecht. 

Das Arbeitslosengeld rettet Peter zwar über diese schwierige Zeit, aber zum Leben reicht es kaum.

Oder Peter, der vor zwei Monaten seinen Job verlor und nicht die Möglichkeit zum Home Office hatte. Die Aussicht auf einen neuen Job ist düster. Das Arbeitslosengeld rettet ihn zwar über diese schwierige Zeit, aber zum Leben reicht es kaum, sein weniges Erspartes wird jetzt drauf gehen. Ungerecht.

Natalia arbeitet als Pflegerin, sie ist psychisch und physisch am Limit und kommt mit ihrem Vollzeitgehalt gerade so über die Runden. Im Vergleich zu den VollzeitmillionärInnen (und ErbInnen) Helmut, Heidi oder Wolfgang zahlt sie prozentuell gesehen um einiges mehr an Steuern, obwohl sie um ein Vielfaches weniger verdient. Ungerecht. 

Eine Frage der Perspektive

Die Frage der (Verteilungs)Gerechtigkeit ist eine, die die Gesellschaft seit jeher begleitet, und sie ist wohl auch immer eine Frage der Perspektive. Die Aushandlung dessen was gerecht ist, muss dem US-amerikanischen Philosophen John Rawls zufolge immer unter einem "Schleier des Nichtwissens" erfolgen. Das heißt, dass ich mich an einer Diskussion um Gerechtigkeit so beteiligen muss, als ginge es gerade nicht um mich – oder anders gesagt: als wüsste ich nicht, wo ich in der Gesellschaft eigentlich stehe. Egal ob ArbeiterIn, Angestellte/r, Arbeitslose/r, Kind, Alleinerzieherin, vermögend oder arm – das Ergebnis muss zufriedenstellend sein. 

Würde man die Diskussion um die Verteilung von Vermögen, Steuern, Arbeitszeit, Care-Arbeit, Bildung oder Sozialleistungen aus der Perspektive des Nichtwissens führen, könnte die aktuelle Schieflage womöglich schnell beseitigt werden. Denn die herrschenden Ungerechtigkeiten sind in Wahrheit offensichtlich. 

Die Aushandlung dessen was gerecht ist, muss immer unter einem "Schleier des Nichtwissens" erfolgen.

Philosoph John Rawls

Mit Steuern steuern

Das österreichische Steuersystem ist ungerecht. ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen schultern rund 80 Prozent des gesamten Steueraufkommens. Steuern, die dazu dienen, den öffentlichen Verkehr auszubauen, Schulen zu modernisieren, Krankenhäuser aufrechtzuerhalten, die Pflege zu finanzieren, Armut zu bekämpfen und vieles mehr. Dinge, von denen alle profitieren – egal ob reich oder arm. Im Vergleich dazu zahlen multinationale Konzerne trotz Rekordgewinnen wenig Körperschaftsteuer, und Vermögende zahlen für immer größere Vermögen lächerlich geringe Steuerbeiträge.

Vermögen ist in Österreich stark konzentriert.

Das oberste Prozent der Haushalte besitzt mehr als 500 Milliarden Euro und damit etwa 40 Prozent des gesamten Vermögens. Das bedeutet auch eine extreme Konzentration von Macht, mit der wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die Politik oder die Medien zu eigenen Gunsten gestaltet werden. Diese Machtkonzentration kann die Demokratie gefährden. 

Vermögens- und Erbschaftssteuern könnten hier entgegenwirken und durch erheblich mehr Steuereinnahmen den Sozialstaat absichern und verbessern. Das betrifft eine Mindestsicherung, von der Menschen in Notsituationen gut leben können und die die Kinder vor Armut schützt, eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes für Menschen, die in der Krise oder davor unverschuldet ihre Arbeit verloren haben, eine Vollversorgung mit ambulanter und stationärer Pflege oder die Ausfinanzierung des Gesundheitssystems

Selbst bei einem Freibetrag von einer Million Euro würde eine Vermögenssteuer schon drei bis fünf Milliarden Euro pro Jahr bringen.

Bei einem Steuersatz von nur einem Prozent und selbst bei einem Freibetrag von einer Million Euro würde eine Vermögenssteuer schon drei bis fünf Milliarden Euro pro Jahr bringen. Eine Erbschaftssteuer mit ähnlichem Freibetrag ergebe mindestens 500 Millionen Euro pro Jahr. 

Bildung fördern

Bildung und Berufschancen sind in Österreich vererbt, nur 15 Prozent der Kinder aus Familien mit niedrigem Einkommen schaffen es nach oben – ein Wert unter dem Schnitt, so eine Studie der OECD (2019). Die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder von Viktor, der Führungskraft, selbst Führungskräfte werden, ist laut Studie dreimal höher als für die Tochter von Mirjam, der alleinerziehenden einfachen Angestellten. Ebenso verhält es sich, wenn es ums Einkommen geht. 

Menschen aus ärmeren Verhältnissen erhalten nicht dieselben Möglichkeiten zur Entfaltung ihrer Talente wie Menschen aus privilegierten Familien. Dabei ist der Ausbau von Aus- und Weiterbildung sowie Qualifizierung eine der wichtigsten sozialen Investitionen und über Umverteilung leicht finanzierbar.

15 Prozent der Kinder aus Familien mit niedrigem Einkommen schaffen es nach oben.

Um Bildungsaufstiege zu ermöglichen, braucht es erstens notwendige Investitionen in eine qualitativ hochwertige frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung. Denn dann hat Mirjams Tochter die gleiche Chance wie Viktors Sohn. Derzeit ist das Angebot zu gering und die Öffnungszeiten sind unflexibel. Zweitens sind Fördermaßnahmen für einen erfolgreichen Übergang von der Schule ins Erwerbsleben relevant. Die Finanzierung von benachteiligten Schulen muss verbessert werden. 

Ein dritter wichtiger Punkt ist die Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern auf dem Arbeitsmarkt. Denn auch wenn Susanne es zur Führungskraft geschafft hat, gibt es für viele Frauen noch immer zu große Hürden, im Berufsleben aufzusteigen oder Vollzeit zu arbeiten. Das erfordert Maßnahmen in den Bereichen Steuern, Elternkarenz sowie Familien- und Betreuungsleistungen. Ähnlich ungleich ist es beim Thema Steuern. Die hohe Konzentration von Haushaltsvermögen in Verbindung mit dem Fehlen einer Erbschaftsbesteuerung beeinträchtigt die Chancengleichheit. Änderungen im Steuer- und Transfersystem sind daher unerlässlich. 

Arbeit umverteilen

Nicht zuletzt geht es auch darum, wie Arbeit verteilt ist. Während die einen Überstunden machen, arbeiten andere Teilzeit und kümmern sich um Kinder, Haushalt und zu pflegende Angehörige. Die Forderungen nach einer sechsten Urlaubswoche, einer 4-Tage-Woche und einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und Personalausgleich haben in der Gesellschaft an Bedeutung gewonnen – gerade in Krisenzeiten. Vor allem deswegen, weil sie wichtige Instrumente sind, um zu mehr Unabhängigkeit und damit zu mehr Freiheit zu kommen. Eine verkürzte Arbeitszeit bedeutet, dass sich auch Viktor um die Kinder kümmern kann und Susanne endlich Zeit für Hobbies und soziale Projekte hat. Das Leben ist ungerecht. Muss es aber nicht sein. Und soll es auch nicht sein.