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Von allen gebraucht, von wenigen geschätzt

Immer mehr Menschen sind auf sie angewiesen, die entsprechende Wertschätzung spüren sie aber nicht – so geht es vielen Pflegekräften. Dabei haben ausgerechnet sie massiv dazu beigetragen, dass unser System gut durch die Corona-Krise gekommen ist. Hier liegt vieles im Argen: schlechte Bezahlung, viele Arbeitsstunden und schlechte Arbeitsbedingungen sind nur einige Beispiele. Fest steht: Es muss sich dringend etwas ändern. Dazu braucht es ein Pflegesystem der Zukunft.

Im Rahmen des ÖGB-Sommerdialogs hat Gerald Mjka, Fachbereichsvorsitzender für Gesundheit in der Gewerkschaft vida, Forderungen formuliert, die er künftig an eine nachhaltige Pflegepolitik stellen würde. Wir haben mit ihm über diese Forderungen, die Zukunft der Pflege und seine Erfahrungen seit Beginn der Corona-Krise gesprochen.

Gerald Mjka, Fachbereichsvorsitzender für Gesundheit in der Gewerkschaft vida hat den Beginn der Corona-Pandemie im Krankenhaus erlebt

Du hast den Einfall der Corona-Pandemie in Österreich hautnah miterlebt, weil du in einem Spital tätig bist. Wie war das für euch?

Die Bedrohung hat sich stufenweise aufgebaut. Als das Virus noch in China war, war es für uns weit weg. Dann kam es nach Italien und wir dachten uns: Naja, Italien, immer noch weit weg, das ist nicht Österreich. Dann war es schlagartig bei uns. Wir haben uns gedacht, wie geht’s weiter und wie gefährlich ist es? Wir haben nichts gewusst zu der Zeit.

Wie stand es um Schutzausrüstung und Vorkehrungen bei euch?

Das war eine Herausforderung. Wir haben sofort einen Krisenstab einberufen, der alles kommunikativ sehr gut gelöst hat. Es gab laufend Informationen zum aktuellen Stand der Dinge. Auch über die Medien haben wir viele Informationen bezogen. Wir wussten aber auch, dass dies die Ruhe vor dem Sturm ist.

Wie ging es euch seelisch?

Manche waren ängstlich, andere waren besorgt und wieder andere waren ein wenig optimistisch, dass es nur besser werden kann. Da haben sich viele Fragezeichen gebildet. Denn einerseits sind wir Profis im Gesundheitsbereich, aber andererseits sind wir auch Menschen. Daher haben manche von uns auch gelitten. Einige KollegInnen machten sich Sorgen, dass sie das Virus Nachhause schleppen. Und daheim wartete die Risikogruppe. Was macht man da?

Nun wart ihr, also das Personal im Gesundheitsbereich, die HeldInnen der Krise, für die der ÖGB auch den Corona-Tausender gefordert hat.

So ist es. Es galt der Spruch: „Bleib für uns in der Krise Zuhause, wir bleiben für dich da.” Darüber ist auch viel berichtet worden. Ich glaube auch, dass es dazu viel ehrliche Anerkennung gab. Aber wir wollen auch, dass man uns zuhört und dass wir verstanden werden. Das fehlt mir.

Was würde es aus deiner Sicht denn brauchen?

Am Beispiel der Pflegelehre sieht man, dass man uns nicht zuhört. Wir sind absolut dagegen, dass die Pflegelehre eingeführt wird. Die Situation wird dadurch um gar nichts besser. Kein Cent mehr kommt dadurch in das System. Es ist lediglich der Versuch 15-jährige in die Pflege hinein zu quetschen. Die Arbeitsbedingungen verschlechtern sich aber weiterhin.

Da braucht es eine Betreuungsqualität und gute Ausbildungswege. Was es viel mehr braucht, ist Wertschätzung, den Corona-Tausender, mehr KollegInnen im Pflegebereich, bessere Arbeitsbedingungen und ein Mitspracherecht bei wichtigen Entscheidungen.

Auch Fragen wie, wie gehen wir mit ausgefallener Arbeitszeit um, sind für uns bedeutend. Es braucht auch ein Fördersystem, um in den Beruf hineinzukommen – daher muss dieser Weg attraktiver werden. Da reicht eine gute Bezahlung allein nicht aus. Laut einer Studie fehlen dem System bis 2030 gut 70.000 Pflegekräfte.

Du hast im ÖGB-Sommerdialog auch darüber geredet, dass es mehr Zeit braucht, um sich um die Menschen zu kümmern.

Ja. Es braucht mehr Zeit, um gute Arbeit zu verrichten. Um Menschen im System zu halten, braucht es dazu einfach mehr Verständnis und bessere Arbeitsbedingungen. Es braucht auch Qualitätsmaßnahmen und es braucht Personalvorgaben. Also nach welchen Kriterien verrichten wir unsere Arbeit? Mein Plädoyer: Wir brauchen mehr Menschen, um unsere tägliche Leistung sicherzustellen. Finanziell müssen wir uns auch anders orientieren.

Was meinst du damit genau?

Wir dürfen Gesundheit nicht als Kostenfaktor verstehen. Sonst leidet die Qualität in der Betreuung. Zurzeit haben wir ein leistungsorientiertes Krankenhausfinanzierungssystem. Daher gelten wirtschaftliche Regeln auch für einen Bereich, bei dem es um die Gesundheit von Menschen geht. Aus meiner Sicht ist das aber ein Irrweg. Und das ist nicht, was Menschen brauchen. Vor allem nicht in solch einer ungewissen Zeit.