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Impfstoff-Experte: „Impfung baut sich nicht in das Erbgut ein”

Viel wird dieser Tage über den Corona-Impfstoff berichtet. Neuesten Meldungen zufolge soll es bereits zwei vielversprechende Impfstoffe geben, die eine Erfolgswahrscheinlichkeit von bis zu 94 Prozent haben. Es scheint, als ob es ein leichtes Aufatmen gibt, denn die Ergebnisse und das Prozedere rund um die Zulassung klingen gut. Gleichzeitig aber tun sich in der Bevölkerung auch viele Fragen auf. Ist der Impfstoff sicher genug? Können Nebenwirkungen bestehen? Und ist es überhaupt fix, dass alle den Impfstoff bekommen? Über diese Fragen hat oegb.at mit dem renommierten Mediziner Univ. Prof. Dr. Michael Kunze gesprochen. Er ist Facharzt für Hygiene und Mikrobiologie und Sozialmedizin und war langjähriger Leiter des Instituts für Sozialmedizin der Medizinischen Universität Wien.

Oegb.at: Herr Professor Kunze, der Corona-Impfstoff rückt in greifbare Nähe, zumindest für Risikogruppen und Menschen, die im medizinischen Bereich arbeiten. Wird er Menschen vor einer Infektion schützen oder mildert er nur die Krankheitsverläufe, wenn sich jemand angesteckt hat?

Tatsächlich wurde in den letzten Tagen über sehr ermutigende Ergebnisse gesprochen. So wie es aussieht, gibt es sehr gute Impfstoffe, die gerade in der Zulassung sind. Wir sprechen hier von einer Schutzrate von über 90 Prozent, was für Impfungen ein sehr guter Wert ist. Und da sind wir schon bei Ihrer Frage: Der Impfstoff kann Menschen tatsächlich vor einer Infektion schützen und nicht nur abmildern.

„Der Impfstoff kann Menschen tatsächlich vor einer Infektion schützen und nicht nur abmildern." 

Univ. Prof. Dr. Michael Kunze

Um eine ganze Gesellschaft zu schützen, müssten sich zirka 70 Prozent der Bevölkerung impfen lassen. Nun haben wir eine Online-Umfrage dazu gestartet - das Ergebnis: Aktuell sagen gut 65 Prozent, dass sie sich nicht impfen lassen würden. Eines der Argumente ist, dass Impfstoffe üblicherweise Jahre brauchen, um sicher genug zu werden. Wie ist das mit dem Corona-Impfstoff?

Um eine so genannte Herdenimmunität zu erzielen, bräuchte man ausreichend Menschen, die sich dazu bereit erklären, sich impfen zu lassen. Damit schützen sich durch die Impfung so viele Menschen, sodass der Virus keinen neuen Wirt mehr findet. Das ist aber Wunschdenken. Vielmehr muss es um den Schutz des Einzelnen gehen, anstatt auf Herdenimmunität zu hoffen. Also um jene Personen, die sich aus welchen Gründen auch immer vor dem Virus schützen lassen wollen.

Die Umfragen hierzu sind sehr unterschiedlich: Manche gehen von einem ähnlichen Wert wie dem aus, den Sie nennen, andere sind niedriger. Die Erfahrung mit anderen Impfungen zeigt aber, dass sich das auch schnell wandeln kann. Also entweder für oder gegen eine Impfung. Das kommt auf verschiedene Dinge an: Auf die Berichterstattung, auf die eigene Lage und wie sich die Meldungen hierzu entwickeln. Denken Sie beispielsweise an die Influenza-Impfung. Diese war anfangs sehr wenig nachgefragt, jetzt erfreut sie sich einer großen Nachfrage.

„Denken Sie beispielsweise an die Influenza-Impfung. Diese war anfangs sehr wenig nachgefragt, jetzt erfreut sie sich einer großen Nachfrage." 

Univ. Prof. Dr. Michael Kunze

ÖGB-Straßenumfrage: Würdest du dich gegen Corona impfen lassen?

Auch wird ins Feld geführt, dass noch keine Langzeitstudien vorhanden sind und dass wir die Nebenwirkungen noch nicht kennen. Wie könnte man den Menschen hier die Sorgen nehmen?

Das ist wahr, es gibt noch keine Langzeitstudien über dieses neuartige Virus. Aber was wir jetzt schon wissen, ist, dass der Impfstoff wesentlich durchschaubarer ist, als es seinerzeit bei anderen Viren war. Bislang wissen wir, dass es keine Nebenwirkungen gibt und wenn, dann in sehr geringem Maße. Übrigens hatten wir bei anderen Impfungen mehr Risiken, an Nebenwirkungen zu erkranken, als es jetzt der Fall ist. Viel wichtiger bei dieser Frage ist: Was sind für mich als Individuum die Vorteile und was die Nachteile? Kann ich damit Leben, dass ich mich nicht impfen lasse und was sind die Konsequenzen? Oder andersrum: Was wären die Konsequenzen, wenn ich mich impfen lasse? Daraus muss jeder und jede für sich seine bzw. ihre Schlüsse ziehen.

Manche Kritiker sagen auch, dass die Impfung ein Eingriff in das Erbgut des Menschen wäre...

Dazu muss ich ausholen: Bei herkömmlichen Impfungen musste man in der Vergangenheit erst das Virus vermehren, um es in abgeschwächter Form per Impfung zu verabreichen. Der Prozess des Anzüchtens kann mehrere Monate dauern, da man in großer Menge produzieren musste. Die Herstellung des Corona-Impfstoffs funktioniert anders: Dieser enthält so genannte „messenger RNA” (mRNA), im Grunde Virus-Erbgut, welches Informationen über Proteine des Corona-Virus trägt.

Oft kommt die falsche Kritik, dass sich die mRNA in das menschliche Erbgut einbaut und es verändert. Das stimmt nicht. Die „mRNA” gelangt lediglich in die Zelle und wird dort abgelesen und danach wird sie abgebaut. Der Körper stellt daher anhand eines Bauplans das Oberflächenprotein des Corona-Virus selbst her. Das Immunsystem kann das eindringende Corona-Virus so erkennen und gleich bekämpfen. Von diesem Bruchstück des Virus-Erbguts selbst geht keine Gefahr aus und es reduziert mögliche Nebenwirkungen, wie ich vorher erwähnt habe.

„Ich glaube eher, dass die allgemeine Bevölkerung diesen Impfstoff im Laufe des Jahres 2021 nutzen kann." 

Univ. Prof. Dr. Michael Kunze

Ist es aus Ihrer Sicht realistisch, so wie es das Gesundheitsministerium angekündigt hat, bis zum Frühjahr und Sommer alle, die wollen, impfen zu können?

Ich glaube eher, dass die allgemeine Bevölkerung diesen Impfstoff im Laufe des Jahres 2021 nutzen kann. Es hängt aber nicht nur vom Gesundheitsministerium ab. Da geht es auch um Logistik, Verteilung und Dosen, aber auch um die Nachfrage. Es braucht ja auch Spritzen und Menschen, die impfen können, also Personal. Durch die Grippeimpfung in Wien beispielsweise wurde da schon mal eine Grundstruktur aufgebaut und, wenn man so will, ein Testlauf gestartet.

Zur Person: Univ. Prof. Dr. Michael Kunze hatte im Zuge seiner Laufbahn zahlreiche Ämter und Funktionen inne, z. B. Mitglied des Obersten Sanitätsrates, Experte im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Mitglied des Umweltbeirates beim Bundeskanzleramt oder der Ethik-Kommission der Stadt Wien. Er ist Träger des Großen Silbernen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich, des Ehrenzeichens für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse und des Goldenen Ehrenzeichens für Verdienste um die Stadt Wien.