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ÖGB Archiv

Frauenreichskomitee 1917

Geschlechtergerechtigkeit

Kundgebungen der unerfüllten Forderungen

Eine kurze Geschichte zur Entstehung des Internationalen Frauentags

Am 19. März 1911 fand eine „einzigartige und große Demonstration gegen die politische und soziale Rechtlosigkeit der Frauen statt – eine grandiose Generalforderung des Frauenproletariats an die heutige Gesellschaftsordnung“.

20.000 Frauen und Männer demonstrierten am Ring in Wien und Tausende in den Provinzstädten. Sie trugen ihre Forderungen auf Schildern und Spruchbändern vor sich her: „Heraus mit dem allgemeinen und gleichen Frauenwahlrecht!“, „Wir demonstrieren für den Frauen- und Kinderschutz“, „Für gleiche Leistung gleiche Zahlung“ und „Für den Moloch [Militär] Millionen, während die Arbeiter im Elend wohnen!“ - dieses Schild wurde von der Polizei als „staatsgefährliche Tafel“ konfisziert.

Staatsbürgerliche Gleichberechtigung

Nur wenige Monate davor hatten rund 120 Delegierte aus 17 Ländern bei der Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen beschlossen, jährlich einen Internationalen Frauentag abzuhalten. Solange, bis in allen Ländern der Welt das Frauenwahlrecht eingeführt worden ist. 

Die österreichischen Teilnehmerinnen begannen sofort nach ihrer Rückkehr mit der Organisation des Frauentages am 19. März 1911 – anfangs nicht unbedingt zur Freude der männlichen Parteigenossen und Gewerkschafter. Es war eine mühsame Aufgabe.  

Die Frauen arbeiteten in Österreichs Werkstätten und Fabriken oder als Heimarbeiterinnen. Sie hatten zwar alle die gleichen Pflichten wie die Männer, aber nicht die gleichen Rechte. Diese Erkenntnis hatten zwar viele Frauen, aber sie mussten erst überzeugt werden, sich gegen ihre Rechtlosigkeit zu wehren. 

Adelheid Popp – die erste Politikerin Österreichs – und ihre Mitkämpferinnen reisten durch die Monarchie, referierten bei Frauenkonferenzen, großen und kleinen Frauenversammlungen und bewarben den Frauentag als Möglichkeit, die „staatsbürgerliche Gleichberechtigung“ einzufordern. Auch die bürgerlicher und christlich-sozialen Frauenorganisationen warben für das Frauenwahlrecht.

Adelheid Popp – die erste Politikerin Österreichs

„Die scheußlichste aller Bewegungen“

Die Frauenrechtskämpferinnen mussten gegen „teutonische Helden“ ankämpfen, die die Frauenbewegung als die „scheußlichste aller Bewegungen“ bezeichneten, gegen Deutschnationale auftreten, die meinten, die Frauen stünden zu hoch, um sich um Politik zu kümmern, und gegen Agrarier argumentieren, die sagten, dass Frauen sowieso keine Zeit hätten, sich mit Politik zu beschäftigen. Nicht zuletzt mussten sie gegen konservative Journalisten aufstehen, die schrieben, dass die zarte Weiblichkeit der Frau beschmutzt würde, würde sie in die politische Arena steigen.

Nicht länger schweigend dulden

Unterstützung erhielten die Frauenrechtskämpferinnen hingegen, von der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und der Reichsgewerkschaftskommission. Diese machten „es allen Genossen zur Pflicht, ihre ganze Kraft für das Gelingen dieser großen Demonstration einzusetzen.“  

Die sozialdemokratischen Zeitungen riefen die „Frauen und Mädchen der Arbeit, die sorgenbeladenen Frauen und die Mütter der Arbeiterklasse“ auf, in allen Städten und Dörfern an den Kundgebungen teilzunehmen. Nicht länger sollten sie schutzlos ausgebeutet und bei überlangen Arbeitszeiten zugrunde gerichtet werden. Sie sollten nicht länger schweigend dulden müssen, dass man ihnen schlechtere Löhne bezahlt und dass 800 Millionen Kronen für das „Rüsten zum Menschenmord“ ausgegeben werden, während ihre Kinder verhungern. 

In ganz Österreich wurden in kleinen und großen Orten Vorbereitungstreffen abgehalten, mit nur einem Tagesordnungspunkt: Dem Frauentag. Es wurden Pläne geschmiedet, Standarten poliert, Spruchbänder beschrieben, 200.000 Flugzettel gedruckt und die Frauenrechtskämpferin Therese Schlesinger verfasste ein Frauenwahlrechtslied.

Wir wollen das Glück der Menschheit!

Am 19. März 1911 fanden in vielen Orten Kundgebungen statt, etwa in Triest (heute Italien), St. Veit an der Glan, Bregenz, Gmünd, Reichenberg (heute: Liberec/Tschechien), Amstetten, Judenburg und Stockerau. In Wien fanden die TeilnehmerInnen nicht genügend Platz im Blumensaal der Gartenbaugesellschaft. Tausende mussten auf der Straße warten, bis die Reden gehalten waren und der Demonstrationszug loszog: Entlang der Ringstraße bis zum Rathaus.

Bis zur Einführung des aktiven und passiven Wahlrechts für alle, also unabhängig vom Geschlecht, dauerte es aber noch mehr als sieben Jahre. Die Frauenrechtlerinnen kämpften weiter, organisierten jedes Jahr Frauentage, sogar während des Ersten Weltkrieges. So auch im letzten Kriegsjahr, am 24. März 1918. Die Forderungen waren: „Wir wollen Frieden! Wir wollen das Recht! Wir wollen die Freiheit! Wir wollen das Glück der Menschheit.“

Im Dezember 1918 erhielten die Frauen das Wahlrecht und bis ins Jahr 1923 dämmerte der Internationale Frauentag vor sich hin. Im Mai 1923 beschlossen die Frauen bei der Sozialistischen Arbeiter-Internationalen die „Tradition der Abhaltung des Frauentages“ wieder aufzunehmen – im „Geist der Gleichberechtigungen“ Kundgebungen der unerfüllten Forderungen abzuhalten.

Unerfüllte Forderungen während der Ersten Republik:

  • Nie wieder Krieg
  • Nieder mit dem Faschismus
  • Schwangeren- und Wöchnerinnenschutz
  • Kinderversicherung (Krankenversicherung)
  • Streichung der §§144-148 (Abtreibungsverbot)
  • Gegen den Abbau von ArbeiterInnen in der Industrie und BeamtInnen
  • Alters-, Invaliditäts-, Witwen- und Waisenversorgung
  • Gleichstellung der Frauen im Familien- und Eherecht sowie im Arbeitsrecht
  • Brot für die Hungernden
  • Schutz vor mörderischen Arbeitsmethoden
  • Einführung der 40-Stunden-Woche
  • Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit