Zum Hauptinhalt wechseln

Die Stadt ohne Bier

Die Geschichte des Brauer-Kollektivvertrags beginnt in der Monarchie mit einem Streik, einer Stadt ohne Bier und ersten Abschlüssen. Diese überdauerten den Ersten Weltkrieg und wurden in der Ersten Republik ständig verbessert – bis sie von Austrofaschisten und Nationalsozialisten ausgehebelt wurden. In der Zweiten Republik aber, wurde der Brauer-Kollektivvertrag zu einem der „Vertragsstars“ mit sehr guten Konditionen. 

Davon waren die Wiener Brauereiarbeiter im Jahr 1871 noch weit entfernt. Sie forderten u. a. den Zehnstundentag, Lohnerhöhungen, das Ende der körperlichen Züchtigung durch Vorgesetzte und genießbares Mutterbier – die Brauergehilfen durften an ihren 16-stündigen Arbeitstagen bis zu zehn Liter Freibier pro Tag trinken. Nachdem sich die Brauherren weigerten, ihre Forderungen zu erfüllen, beschlossen im Jänner 1872 rund 4.000 Brauereiarbeiter aus 22 Brauereien zu streiken. Nach drei Wochen Streik und völligem Stillstand der Bierproduktion willigten die Arbeitgeber ein, die Löhne zu erhöhen und Prügel durch Vorgesetzte zu verbieten. Am 1. Februar 1872 gab es endlich wieder Bier in Wien.

Bierbrauer bei der Arbeit

Trinkzwang oder Bargeld

Eine der nächsten Vereinbarungen betraf das Freibier. Brauereiarbeiter erhielten täglich Biermarken, ungenützte verfielen. Somit herrschte quasi ein „Trinkzwang“. Die erstarkende Gewerkschaft sorgte sich um die Gesundheit ihrer Mitglieder und forderte daher im Jahr 1902 erfolgreich, dass Biermarken in Geld ausbezahlt werden konnten. Ein erster Erfolg, aber bis zum Abschluss des ersten Kollektivvertrages dauerte es noch drei Jahre. 

Einen der ersten bekannten Brauereikollektivverträge unterzeichneten am 19. Juli 1905 die Gewerkschaft der Brauereiarbeiter und der Inhaber der Ottakringer Brauerei. Dieser enthielt u. a. Lohnregelungen und den Zehnstundentag. Zwei Jahre später entstand der „Wiener Kollektivvertrag“, der für 13 Brauereien mit rund 2.000 Brauergehilfen galt, und u. a. den Urlaubsanspruch und die Minimalwochenlöhne beinhaltete: Männer verdienten doppelt so viel wie Frauen. Und außerdem wurde festgelegt, dass das Freibier Qualitätsbier sein muss. 

Dieser Kollektivvertrag war die Vorlage für viele weitere, die dann in ganz Österreich abgeschlossen und auch immer wieder erneuert wurden. Allerdings gelang das nicht immer am Verhandlungsweg, sondern auch durch Streiks und Boykotts. 

Friedenslöhne

Mit Beginn des Ersten Weltkriegs endeten die Lohnbewegungen. Der Staat verbot Gerste für die Malzerzeugung und die Rohstoffpreise stiegen. Immer mehr kleinere und mittlere Brauereien schlossen, aber die Brauherren hielten sich an die Kollektivverträge. Nicht aus ArbeiterInnenliebe, sondern weil darin „Friedenslöhne“ standen. Während des Kriegs erhöhten sich die Lebenshaltungskosten, die Löhne reichten nicht mehr aus. Vertrauensmänner erkämpften Teuerungszulagen. Das inzwischen aus Ersatzstoffen gebraute schlechte Bier konnten sich die ArbeiterInnen trotzdem nicht leisten. 

Die Rohstofflage verschlimmerte sich nach Kriegsende im Winter 1918. Die wichtigsten Gersten- und Hopfenanbaugebiete lagen nicht mehr im „Rumpfstaat“ Österreich, sondern in den neu gegründeten Nachbarstaaten. Also wurde weiterhin „Notbier“ gebraut. Glücklicherweise gab es Obstmost zum Feiern, denn im Jahr 1919 traten das Achtstundentagsgesetz, das Arbeiterurlaubsgesetz, das Betriebsrätegesetz und das Kollektivvertragsgesetz in Kraft. 

Mit diesen Gesetzen im Rücken gelang es den Gewerkschaftern erstmals allgemeine Vertragsbestimmungen für alle Betriebe aus zu verhandeln – nur bei den Löhnen bestanden weiterhin Unterschiede. Ab 1924 konnte wieder Qualitätsbier gebraut werden, aber kaum wer konnte es sich leisten. 

Die Völkerbundanleihe hatte zwar Österreich vor dem Bankrott gerettet, die Kosten dafür trugen aber die ArbeiterInnen. Im Jahr 1925 waren 220.000 Menschen arbeitslos und der Konsum ging zurück. Trotzdem gelang es den GewerkschafterInnen, die Zahlung von Urlaubszuschüssen, die Erhöhung des Krankengeldzuschusses und die erstmalige Auszahlung von Weihnachtsremuneration (1927) in Kollektivverträgen zu verankern: Für rund 7.700, zu fast 100 Prozent organisierten BrauereiarbeiterInnen. Dann endete die Erfolgsgeschichte des Brauer-Kollektivvertrags, ausgerechnet in dem Jahr (1930), in dem mehr Bier produziert wurde, als je zuvor.

Brauerei Dreher in Schwechat

Automobilisierung

Die rechts-konservative Regierung verabschiedete 1930 das „Antiterrorgesetz“, mit dem die Gewerkschaftsarbeit massiv eingeschränkt wurde. Gleichzeitig „automobilisierten“ die zwei größten Braukonzerne den gesamten Fuhrpark, modernisierten die Brauanlagen und automatisierten die Fasswäscherei und die Flaschenfüllerei. Im Jahr 1933 waren nur mehr 4.000 ArbeiterInnen in den Brauereien beschäftigt, Tendenz fallend. 

Diese beiden Braukonzerne übten auf die Gewerkschaft Druck aus, drohten die Sonderzahlungen zu streichen, sollte einer 15-prozentigen Lohnreduzierung nicht zugestimmt werden. Um das Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu erhalten, gab die Gewerkschaft nach, die Löhne wurden um 7,5 Prozent gesenkt.

Faschisten

Nach den Februarkämpfen im Jahr 1934 und dem Verbot der freien Gewerkschaften verhandelte der neu gegründete, ständestaatliche Einheitsgewerkschaftsbund die Kollektivverträge und stimmte zahlreichen Verschlechterungen zu. Mit dem sogenannten „Anschluss“ im März 1938 galt auch in der Tarifpolitik das Führerprinzip. Ein Reichstreuhänder legte bis 1945 die Arbeitsmindestbedingungen fest. Seine Entscheidungen waren unanfechtbar. 

Brauverbot

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges mangelte es in Österreich an allem, auch an Gerste. Die wenigen Vorräte wurden in Brot verbacken und nur mit Mühe konnte ein Brauverbot verhindert werden. Der Wiederaufbau begann – der Wiederaufbau des Landes, der Sozialgesetzgebung, der Gewerkschaften, der Brauereien und auch der Kollektivverträge. 

Einer der ersten Meilensteine für die BrauereiarbeiterInnen war der Bundeskollektivvertrag für Groß- und Kleinbetriebe im Mai 1947. Er enthielt Urlaubszuschüsse, Weihnachtsremuneration und erstmals auch Abfertigungen sowie ein einheitliches Lohnschema und eine Regelung des Freibiers als Naturallohn (Haustrunkregelung). 

Anfang der 1960er Jahre ging die Gewerkschaft der Lebens- und Genussmittelarbeiter einen ganz neuen Weg. In langwierigen Verhandlungen wurde mit 28 Industriezweigen ein Rahmenkollektivvertrag abgeschlossen, mit dazugehörigen Anhängen für einzelne Branchen – darunter auch für die BrauerInnen. 

Streiken für den Brauervertrag

Die jährlichen Verhandlungen waren bis Ende der 1970er-Jahre relativ friktionslos. Dann aber mussten die BrauereiarbeiterInnen gleich mehrmals streiken. 1980 um die Verkürzung der Laufzeit des Kollektivvertrages und eine Lohnerhöhung, 1985 gegen die Ausgliederung des Fuhrparks bei der Brau AG und 1990 gegen den geplanten Sozialabbau bei der Steirerbrau. Bier gab es aber immer genug. Eine Knappheit drohte erst im Jahr 2018 wieder. 

Die schwarz-blaue Regierung hatte im Juli 2018 den 12-Stunden-Tag, die 60-Stunden-Woche beschlossen – längere Arbeitszeiten als im ersten Brauer-Vertrag aus dem Jahr 1905. Die Brauer-Verhandlungen stockten. Es folgten Betriebsversammlungen, Streikfreigabe, BetriebsrätInnenkonferenzen und schließlich ein erfolgreicher Abschluss: 3,2 Prozent Lohnerhöhung und 100-prozentige Zuschläge für die elfte und zwölfte Arbeitsstunde bzw. ab der 51. Wochenstunde.

2019 braucht es wieder den Druck der rund 3.500 BrauerInnen, der Mitglieder und BetriebsrätInnen, um zu einem „wertschätzenden“ Abschluss zu kommen. Letzlich wurden Lohn- und Gehaltserhöhungen von bis zu 2,8 Prozent erreicht. Für alle Arbeitnehmer wurde der Haustrunk um 2,5 Prozent erhöht. 2020 sind die Löhne und Gehälter für die Beschäftigten in den österreichischen Brauereien um 1,47 Prozent gestiegen. 

Warnstreik 2022

Es ist ein bekannter Spruch, dass sich Geschichte wiederholt. Im Herbst 2022 streikten die BrauerInnen wieder. Diesmal ging es wieder um Lohnerhöhungen. Allerdings unter besonderen Voraussetzungen. Der Aggressionskrieg Russlands gegen die Ukraine trieb die Inflation in die Höhe. Natürlich fordern die BrauerInnen einen entsprechenden Ausgleich.