2020: Mahnwachen, Demonstrationen und Protestaktionen
Die Coronavirus-Pandemie konnte Proteste, Betriebsversammlungen und Warnstreiks gegen Werksschließungen oder Pflegenotstand und für Verbesserungen in Kollektivverträgen nicht verhindern.
Kollektivvertrag
Sozialwirtschaft Österreich: Mahnwachen, Warnstreiks
Die zentrale Forderung der Beschäftigten in der Sozialwirtschaft war die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Dafür gingen sie auf die Straße. In Graz hielten am 5. Februar 2020 rund 100 Menschen eine Mahnwache ab. Die 35 aufgestellten Pappfiguren symbolisierten die Arbeitszeitverkürzung von 38 auf 35 Wochenstunden.
Am 24. Februar 2020 streikten die Caritas-Mitarbeiter:innen, nachdem es beim letzten Kollektivvertragsverhandlungstermin zu keiner Einigung gekommen war. Mehr als 400 Teilnehmende wurden über den aktuellen Stand der Verhandlungen informiert.
Die nächsten Streiks und Demonstrationen fanden am 26. und 27. Februar 2020 statt. In 400 Betrieben wurde landesweit gestreikt und 3.000 Beschäftigte aus dem privaten Pflege-, Gesundheits- und Sozialbereich beteiligten sich an der Demonstration in Wien.
Die für März 2020 geplanten Demonstrationen und Streiks mussten wegen der Coronavirus-Pandemie abgesagt werden. Schließlich wurde der Kollektivvertrag abgeschlossen. Die Wochenarbeitszeit wurde auf 37 Stunden reduziert und die Löhne und Gehälter um durchschnittlich 2,7 Prozent erhöht.
Demonstration der Kulturschaffenden
Seit dem Jahr 2000 gibt es für die ausgegliederten Betriebe der Österreichischen Bundesmuseen und der Österreichischen Nationalbibliothek keinen Kollektivvertrag mehr. Dabei sind die Beschäftigten jene, die an der wissenschaftlichen Erschließung der kostbaren Kunstwerke arbeiten und Interessierte durch die Häuser führen. In den letzten 20 Jahren haben die Beschäftigten rund 30 Prozent ihrer Kaufkraft eingebüßt. Während der Coronavirus-Pandemie mussten sie wegen der Kurzarbeit noch weitere Einkommenseinbußen hinnehmen. Deshalb demonstrierten sie am 29. Mai 2020.
Chemische Industrie: Protestaktion
Am 20. Mai 2020 beschlossen Betriebsrätinnen und Betriebsräte von mehr als 100 Körperschaften online bei einer Konferenz, gewerkschaftliche Maßnahmen in den Betrieben durchzuführen. Dies war notwendig, weil das Arbeitergeber:innenangebot „ätzend“ war. Sie boten 1,45 Prozent Lohnerhöhung für die rund 45.000 Beschäftigten. Als weitere Verhandlungen scheiterten, protestierten die Beschäftigten am 27. Mai 2020 für höhere Löhne.
Es dauerte bis zum 17. Juni 2020, bis in der fünften Verhandlungsrunde der Kollektivvertrag abgeschlossen werden konnte. Die Mindestlöhne stiegen um 1,6 Prozent, dazu gab es 150 Euro Corona-Zulage.
Corona
Mehr Respekt für den Tanz
Die Corona-Krise stellte die meisten Beschäftigten vor nie gekannte Herausforderungen. Besonders traf es Einpersonenunternehmen oder „kleine“ Selbstständige, denn viele von ihnen fielen durch die finanziellen Sicherheitsnetze. Sie standen plötzlich vor dem Nichts. Dies betraf auch Tänzer:innen, Choreografinnen und Choreografen, Tanzlehrende oder Tanzstudiobetreiber:innen.
Gemeinsam mit vidaflex organisierten sie vom 31. August bis zum 2. September 2020 die erste Performance-Demonstration. Hunderte Tänzer:innen machten damit auf ihre prekäre Situation aufmerksam.
Pflege
Pappfiguren
Am 17. Februar 2020 stellten der Betriebsrat und die Gewerkschaft vida im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern 120 Kartonfiguren stellvertretend für fehlende Kolleginnen und Kollegen auf. Damit machten sie auch auf leere Betten in Krankenhäusern und Pflegeheimen sowie überlange Wartezeiten auf Leistungen mobiler Pflege und Betreuung sowie auf die Versorgungskrise aufgrund der akuten Personalnot aufmerksam.
Die Aktion ist Teil der von der Gewerkschaft vida und der Arbeiterkammer ins Leben gerufenen Initiative „Mehr von uns. Besser für alle.“ Die Hauptforderungen der Initiative sind 20 Prozent mehr Personal in Österreichs Krankenhäusern und eine bundesweit einheitliche Berechnungsmethode für die bedarfsgerechte Zahl der Pfleger:innen und eine Offensive in der Aus- und Weiterbildung.
Diese Aktion wurde auch in weiteren Krankenhäusern durchgeführt, etwa im Krankenhaus Göttlicher Heiland, hier standen 140 Pappfiguren.
Proteste gegen Werksschließungen und Personalabbau
APA-Beschäftigte protestieren gegen Stellenabbau
Rund 100 APA-Mitarbeiter:innen protestierten bei einer öffentlichen Betriebsversammlung gegen den geplanten Abbau von 25 Kolleginnen und Kollegen. Dieser Schritt sei „weder nachvollziehbar begründet“ worden, noch sei „mit dem Betriebsrat rechtzeitig darüber gesprochen oder über andere Möglichkeiten verhandelt“ worden.
Sie marschierten zum APA-Gebäude an der Wienzeile in Wien. Auf ihren Schildern stand zu lesen: „#WirsinddieAPA“, „Kein Personalabbau“, „Von APA-Heroes zu APA-Zeroes“ und „Make APA Great Again“, „Vom Homeoffice ins Arbeitsamt“ oder „Solidarität mit den Kolleg:innen“.
Unterstützung erhielten die APA-Mitarbeiter:innen von der Gewerkschaft GPA und dem Konzernbetriebsrat der Styria Media Group.
ATB-Spielberg: Kampf gegen Werksschließung
Im Juli 2020 gab der Elektromotorenhersteller ATB bekannt, dass 360 von 400 Beschäftigten im Werk Spielberg ihren Arbeitsplatz verlieren werden. Darauf antwortete die Bevölkerung mit einer Demonstration Ende August. Rund 1.100 Menschen standen vor den Werkstoren und forderten den Erhalt der Arbeitsplätze.
Doch der chinesische Eigentümer hörte sie nicht. Die Firma wurde in die Insolvenz geschickt und die Maschinen an Standorte in Polen und Serbien transferiert. Aber dem Betriebsratsvorsitzenden Michael Leitner gelang es gemeinsam mit dem Land Steiermark und dem AMS, eine Arbeitsstiftung einzurichten. Ab 1. Dezember 2020 konnten sich die gekündigten Arbeitnehmer:innen weiterbilden oder umschulen lassen.
MAN-Steyr: Kampf gegen Standortschließung
Im Jahr 2019 wurde das 100-jährige Jubiläum der Lastwagenproduktion gefeiert. Im September 2020 kam die Hiobsbotschaft. Der MAN-Standort sollte bis Jahresende geschlossen werden, rund 2.300 Arbeitnehmer:innen sollten ihren Arbeitsplatz verlieren, obwohl es einen Beschäftigten- und Standortsicherungsvertrags bis 2030 gab. Diesen kündigte der MAN-Vorstand einseitig. Gleichzeitig zahlte der Mutterkonzern eine halbe Milliarde Euro an Dividende aus. Dazu kam, dass MAN Corona-Staatshilfen von rund 11 Millionen Euro erhalten hatte, die Mitarbeiter:innen waren in Kurzarbeit. Auch sonst flossen in den letzten fünf Jahren rund vier Millionen Euro an öffentlichen Förderungen an den Konzern, vor allem für die E-Mobilität.
Die Reaktion kam postwendend: Eine große Demonstration mit 5.000 Teilnehmenden am 21. September 2020 und am 15. Oktober 2020 fanden eine öffentliche Betriebsversammlung und ein Warnstreik statt. ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian sagte: „Die gesamte Gewerkschaftsbewegung steht an der Seite der MAN-Beschäftigten.“
Am Vorabend des Protests einigten sich Betriebsrat, Gewerkschaft und der MAN-Vorstand in der fünften Verhandlungsrunde auf einen Sozialplan. Zu Jahresende waren die Verhandlungen über den Erhalt des Standortes noch nicht abgeschlossen.
Mayr-Melnhof: Protest gegen Werksschließung
In den Jahren 2018 und 2019 zahlte der Kartonhersteller Mayr-Melnhof jeweils zehn Millionen Euro an Dividenden aus. Trotzdem beschloss das Unternehmen im Jahr 2020, das Werk in Hirschwang in Niederösterreich zu schließen. Rund 250 Menschen hielten am 15. Oktober 2020 vor der Wiener Konzernzentrale eine öffentliche Betriebsversammlung ab. Der Betriebsrat und die Produktionsgewerkschaft PRO-GE konnten so genügend Druck aufbauen, dass ein Sozialplan und eine Arbeitsstiftung eingerichtet wurden.
Elementarpädagogik
Warum sprecht ihr nicht mit uns?
Am 30. September 2020 fand die erste Sitzung des Beirats für Elementarpädagogik im Bildungsministerium statt. Aber die Sozialpartner waren nicht eingeladen. Das Gremium tagte hinter verschlossenen Türen über einheitliche Qualitätsmindeststandards für Kindergärten und Horte.
Die Gewerkschaften younion, vida, GPA-djp, die Arbeiterkammer und die ÖGB-Frauen demonstrierten mit einem stillen Protest dagegen. „Gerade die Corona-Krise hat die große Bedeutung der Kinderbetreuung und Elementarbildung für Arbeitnehmer:innen und Gesellschaft aufgezeigt“, betonte ÖGB-Vizepräsidentin und ÖGB-Frauenvorsitzende Korinna Schumann und bedauerte, dass die Sozialpartner in die Gespräche nicht einbezogen wurden. Es brauche dringend ein bundeseinheitliches Rahmengesetz, um einheitliche und qualitativ hochwertige Mindeststandards zu gewährleisten und Eltern und Beschäftigte zu entlasten.
Betriebsratsgründung
Sabrina E. sah, dass in ihrer Filiale manches nicht korrekt ablief. Es gab fragwürdige Kündigungen, Taschen- und Spintkontrollen oder Missachtung von Brandschutzgesetzen. Es gab im Unternehmen keine Stelle, an die sie sich wenden hätte können, also wollte sie mit Kolleginnen einen Betriebsrat gründen. Das Unternehmen berief sie ins Büro und teilte ihnen mit, dass sie Unruhe stiften würden und deshalb gekündigt und am gleichen Tag dienstfrei gestellt werden. Daraufhin wandte sich Sabrina an die GPA-djp.
Die Gewerkschaft richtete eine Hotline ein. Das Ergebnis war, dass 84 Prozent über Personalmangel klagten, dass fast jede/r Zweite/r keine Zuschläge für Mehr- und Überstunden bekam und dass sich 89 Prozent einen Betriebsrat wünschten.
Am 26. Juni 2020 fand vor dem „House of Beauty“ in Wien eine Demonstration statt und auch das Gericht befand, dass die ausgesprochene Kündigung gegenstandslos sei.