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Gewerkschaftsgeschichte

Johann Böhm – Vom Maurerlehrling zum ÖGB-Präsidenten

Als Johann Böhm am 26. Jänner 1886 im abgeschiedenen Dorf Stögersbach auf die Welt kam, deutete nichts darauf hin, dass er einmal Mitbegründer des überparteilichen Gewerkschaftsbundes oder Nationalratsabgeordneter werden wird

Johann Böhms Mutter Marie kümmerte sich um ihre vier Kinder und den Haushalt. Sie bestellte die gepachteten Felder mit Kartoffeln und Rüben, die Ernte teilten sich die Böhms mit ihren Hühnern, Schweinen und Ziegen. Statt Pacht zu zahlen, musste Marie Böhm auf den Feldern der Bauern arbeiten. 

Vater Josef war im Sommer Maurer und im Winter Waldarbeiter oder Drescher bei den Bauern. Johann und seine Geschwister arbeiteten schon im Vorschulalter auf dem Hof mit. Trotzdem reichte das Geld nie und der Hunger war immer groß. Auch für Johanns Besuch der Mittelschule gab es kein Geld, also musste er in Lohnarbeit. 

Geburtshaus von Johann Böhm in Stögersbach, o.J. ÖGB-Archiv

Kuhhändler oder Maurer 

Anfangs versuchte sein Vater, den Zwölfjährigen zum Kuhhändler auszubilden, doch Johann zeigte dafür kein Talent. Im Sommer 1900 ging er mit seinem Vater nach Wien und begann wie geplant eine Maurerlehre. Ungeplant war jedoch, dass er auch das Gewerkschaftshandwerk erlernte.  

In den ersten Lehrjahren lernte er Ziegel schleppen, Schnaps holen und Ohrfeigen ertragen. Eines Tages drückte ihm jemand einen Zettel in die Hand, mit dem Aufruf eine Maurerversammlung zu besuchen. Ein Kollege warnte ihn davor, hinzugehen: „Das sind die Vereinsmaurer, die Geld haben wollen, um es dann versaufen zu können.“ Böhm ging trotzdem hin und wurde am 24. Mai 1903 Gewerkschaftsmitglied. Zuvor hatte er sich noch durch einen Schelmenstreich zum Gesellen gemacht: In seinem Arbeitsbuch radierte er die Bezeichnung Lehrling aus und schrieb stattdessen Geselle.  

Bauarbeiter bei einer Straßenbahnbaustelle, 1954 Kammler/ÖGB.-Archiv

Schwarze Listen 

1904 wurde viel gebaut und das war ein Glück für die Gewerkschafter. Denn sie hatten beschlossen, für bessere Löhne zu streiken und sammelten am Zahltag bei den Maurern Geld für den Streikfonds. Das bedeutete, dass die Vereinsmaurer jeden Samstag von den Baustellen entlassen wurden und sich für Montag eine neue Arbeit suchen mussten.  

Im Mai 1904 fanden partielle Streiks statt, die Arbeitgeber antworteten mit der Aussperrung von rund 50.000 Bauarbeiterinnen und Bauarbeitern. Diese hielten auf einer von 10.000 Menschen besuchten Versammlung an ihren Forderungen fest: Lohnerhöhung, Errichtung von abschließbaren Baubuden und getrennte Toiletten für Frauen und Männer. Die Lohnerhöhung wurde schließlich durchgesetzt, die anderen Forderungen etwas später. Böhm und seine Kollegen landeten jedoch auf den „Schwarzen Listen“ der Arbeitgeber, was die Arbeitssuche erheblich erschwerte.  

ÖGB-Stipendien

5.000 EURO FÜR WISSENSCHAFTLICHE ARBEITEN

Der Johann-Böhm-Fonds will die Forschung zu Themen fördern, die für die Arbeitnehmer:innen-Vertretung von Bedeutung sind. Deshalb vergibt der ÖGB jedes Jahr Stipendien, die je nach Art der wissenschaftlichen Arbeit mit bis zu 5.000 Euro honoriert werden

Alle Infos hier1

„Irrenhaus Am Steinhof“  

Obwohl Böhms Name auf der „Schwarzen Liste“ stand, fand er Arbeit auf der damals größten Baustelle Wiens, dem „Irrenhaus Am Steinhof“, wurde mit nur 18 Jahren zum Hauptvertrauensmann gewählt, zettelte einen Streik an, setzte sich für seine Kolleginnen und Kollegen ein und verlor wieder seinen Posten.  

Böhm fand zwar immer wieder Arbeit, konnte aber nie genug verdienen, um über den Winter zu kommen. Hunger und Kälte waren seine ständigen Begleiter.  

Blut in den Gassen 

Böhm blieb der Gewerkschaftsbewegung trotzdem treu und wurde am 9. Verbandstag der Gewerkschaft 1909 in den Verbandsvorstand gewählt, dem er ohne Unterbrechung bis zur Auflösung der freien Gewerkschaften nach den blutigen Februarkämpfen 1934, angehörte.  

Es war nicht das erste Mal, dass Arbeiter- und Böhms Blut in den Gassen Wiens floss. Am 17. September 1911 löste die Staatsmacht die Teuerungsdemonstration mit Polizeigewalt auf. Drei Arbeiter starben, 90 wurden verletzt – einer von ihnen war Böhm. Ein Polizist schlug ihm zweimal mit dem Säbel auf den Kopf. Arbeiterfrauen retteten Böhm das Leben. 

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Durchschossene Oberschenkel 

Noch mehr Blut floss während des Ersten Weltkrieges. Neun Millionen Soldaten starben, unzählige wurden verwundet. Unter ihnen auch Böhm. Ihm wurde seine Sucht zum Verhängnis. Mit einigen Kameraden rauchte er eine Zigarette in einer Schießscharte. Der Feind sah das Glimmen und kurz darauf durchschlug eine Kugel Böhms Oberschenkel. Nach einer Odyssee durch Feldlazarette, Barackenspitäler und das Wiener Militärspital wurde er im Dezember 1917 entlassen. In der Zwischenzeit war sein Sohn Johann geboren worden und seine Mutter an Knochentuberkulose gestorben. 

Das Glück, mit seiner Frau und dem Kind in eine eigene Wohnung zu ziehen, brachte auch viele Sorgen mit sich. Böhm konnte wegen seiner Verletzung nicht mehr Vollzeit als Maurer arbeiten. Seine Frau verdiente den Lebensunterhalt der Familie. Das zweite Kind kam zur Welt. Auf dem Tisch standen meist nur Ersatzkaffee und Kartoffeln. 

Gewerkschaftsführer Böhm 

Nach Kriegsende wurden in Österreich Arbeitsämter gegründet, darunter auch eines für die Bauarbeiter:innen. Böhm wurde Geschäftsführer in Wien. Ein leeres Büro wurde ihm übergeben, einige Mitarbeiter:innen erwarteten ihn. In nur zwei Wochen gelang es ihm, das Amt zu eröffnen. Der Andrang war enorm – auch noch, als er sich 1921 entschloss auszuscheiden und besoldeter Leiter der Ortsgruppe Wien der Baugewerkschaft zu werden, die er seit 1912 ehrenamtlich leitete.  

Er hatte viel zu tun. Die Hyperinflation fraß die Löhne auf, was pausenlose Lohnvertragsverhandlungen notwendig machte. Die politische Situation heizte sich auf, paramilitärische Verbände der Sozialdemokraten und der Heimwehr lieferten sich Straßenschlachten, zahlreiche Arbeiter:innen wurden ermordet. Gleichzeitig mussten Mitglieder für die Baugewerkschaft geworben werden. Im Jahr 1928 waren es bereits 100.000. 

Schicksalsschlag 

Böhm war im Dauereinsatz. Auch deshalb, weil er als Personalreferent der Wiener Bezirkskrankenkasse, als stellvertretender Vorsitzender der Industriellen Bezirkskommission und als Vorstandsmitglied der Wiener Arbeiterkammer weitere Funktionen ausübte. 1927 wurde er als Gemeinderat angelobt, 1929 wurde er zum Vorsitzenden der Baugewerkschaft und in den Vorstand des Freien Gewerkschaftsbundes und 1930 in den Nationalrat gewählt. Dann der Schicksalsschlag: Am 22. Dezember 1930 starb seine Frau Rosa an einem Herzschlag und der Vielbeschäftigte war plötzlich Alleinerziehender. Nach zwei Jahren heiratete er Marianne Grem. 

Im März 1933 verhindert die Polizei das Zusammentreten des Parlaments VGA

Krisen 

Als Vorsitzender der Baugewerkschaft hatte er ab 1930 andere Sorgen. Eine Krise jagte die nächste. Die Wirtschaftskrise kostete rund 600.000 Menschen ihren Arbeitsplatz und die Gewerkschaft der Bauarbeiter rund 40.000 Mitglieder.Fehlende Mitgliedsbeiträge bei erhöhten Ausgaben für die Arbeitslosenunterstützung fraßen das Vermögen der Gewerkschaft auf.  

Im Jahr 1933 sperrte Engelbert Dollfuß nach der Geschäftsordnungskrise die sozialdemokratischen Nationalratsabgeordneten, darunter Johann Böhm, aus dem Parlament aus. Die Kanzlerdiktatur begann. Die Sozialdemokrat:innen unterlagen im Februar 1934 dem Bundesheer und der Polizei. Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei und die freien Gewerkschaften wurden aufgelöst, ihr Vermögen eingezogen.  

Gefangenschaft 

Eine Verhaftungswelle füllte den Aufnahmeraum im Polizeigefangenenhaus. Darunter war auch Böhm. Ein Wachmann begrüßte ihn: „Da kommt wieder so ein roter Falott! Aufhängen sollte man sie alle!“ Viele der “roten Falotten” (Gauner) wurden von den Austrofaschisten erschossen. Böhm wurde am 31. März 1934 aus dem Polizeigefangenenhaus in das Landesgericht überstellt. Während er auf seinen Prozess wartete, verbreiteten seine drei Kinder illegale Drucksachen und Aufrufe.  

Die Anklage lautete auf Veruntreuung von Gewerkschaftsgeldern. Wie viele andere Gewerkschaften hatte auch Böhm das verbliebene Gewerkschaftsvermögen ins Ausland geschafft, um es den Austrofaschisten zu entziehen. Diese konnten ihm nichts nachweisen, ließen ihn aber nicht frei und brachten ihn in das Anhaltelager Wöllersdorf. Erst im September 1934 wurde er freigelassen. Der ehemalige Gewerkschaftsführer und Nationalrat arbeitete nun als Angestellter bei der Urlaubskommission der Bauarbeiter.  

Nationalsozialismus 

Sieben Jahre Nationalsozialismus brachten nur Unglück und kosteten Millionen Menschen das Leben. Böhm verlor immer wieder seine Arbeit, beide Söhne mussten im Zweiten Weltkrieg an die Front, Josef starb im August 1942 den „Heldentot“. Nach dem Hitlerattentat 1944 wurde Böhm verhaftet und wieder freigelassen. Bei Kriegsende wog er nur noch 48 Kilogramm. Trotzdem machte er sich Mitte April 1945 auf den Weg zu seinem Kollegen Josef Battisti. Gemeinsam mit Kollegen setzten sie die Statuten für einen überparteilichen österreichischen Gewerkschaftsbund auf und gründeten am 15. April 1945 den ÖGB.  

ÖGB-Präsident Johann Böhm in Paris, v.l.n.r. Johann Böhm, US-Verteidigungsminister George Marshall, ÖGB-Generalsekretär Anton Proksch, AK-Wirtschaftsfachmann Stefan Wirlander, 1948 ÖGB-Archiv

ÖGB und das Sozialministerium  

„Es hätte zwei Männer gebraucht“, schreibt Böhm in seiner Biografie. Er habe sich als Gewerkschaftspräsident und als Staatssekretär für soziale Verwaltung halb tot gearbeitet . Alles musste neu aufgebaut werden. 16 neue Gewerkschaften mussten gegründet, Mitglieder geworben und die Arbeit aufgenommen werden. Kollektivverträge und Lohntafeln mussten abgeschlossen und die Produktion wieder flott gemacht werden. Böhm gab das Amt des Staatssekretärs ab, übernahm aber viele andere Ämter. Er wurde Zweiter Präsident des Nationalrates und Präsident des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger.  

In all seinen Positionen kämpfte er für den Wiederaufbau Österreichs und für die Rechte der Arbeitnehmer:innen. Eine Vielzahl von Sozialgesetzen tragen seine Handschrift, darunter das Kollektivvertragsgesetz (1947), das Betriebsrätegesetz (1947), das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (1955). 

Im Jänner 1956 feierte ÖGB-Präsident Johann Böhm seinen 70. Geburtstag Kammler/ÖGB.-Archiv

Die letzten Jahre  

Zu Böhms 70. Geburtstag im Jahr 1956 lobte ihn der Metallgewerkschafter, ÖGB-Vizepräsident und Präsident des Arbeiterkammertages Karl Maisel: „Wir schätzen in dir den guten Freund, den besten Vertrauensmann. … Was dich auszeichnet, ist vor allem dein umfassendes Wissen, deine Persönlichkeit mit ihrem tiefen und echten Humor, der auch in aussichtslos erscheinenden Situationen das richtige Wort findet.“ Als Geburtstagsgeschenk hatten seine Kolleginnen und Kollegen die Johann-Böhm-Stiftung eingerichtet, der begabten Arbeiter:innen- und Angestelltenkindern das Studium ermöglichen sollte. Böhm hatte damit eine unbändige Freude und arbeitete weiter an neuen Gesetzen und für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmer:innen.  

Gerade als Böhm daran dachte, in Pension zu gehen, verstarb er am 13. Mai 1959. Er war mit dem Gewerkschaftsbund groß geworden und der ÖGB mit ihm. 
 

Quellen:  
Guenther Steiner, Hauptverbandspräsident Johann Böhm zum 125. Geburtstag, in Soziale Sicherheit 1/2011
In Memoriam Johann Böhm, in Solidarität Nr. 336/337, 27. April 1959
Hammer Pol, Kopf des Monats, Der Mann auf dem Ast, in Der jugendliche Arbeiter, April 1949
Die Geburtstagsfeier für Johann Böhm, Solidarität, Nr. 258, 6. Februar 1956
Böhm Johann, Erinnerungen aus meinem Leben, Europa Verlag Wien, 1964
50.000 Bauarbeiter ausgesperrt, in Grazer Volksblatt, 25.05.1904 

 

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