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Mitbestimmung
Mit betrieblicher Mitbestimmung zu mehr Demokratie für alle
Demokratieforscherin Martina Zandonella erklärt im oegb.at Interview, wie wir unsere Demokratie durch mehr Teilhabe stärken können.
Das Jahr 2024 wird ein sogenanntes „Superwahljahr“: Zusätzlich zur EU-Wahl und den Nationalratswahlen, wird in der Steiermark, Salzburg und Vorarlberg auf Landes- bzw. Gemeinderatsebene gewählt. Zwischen den innenpolitischen Turbulenzen der letzten Jahre und den fünf Wahlterminen im kommenden Jahr, ist ein guter Zeitpunkt, um sich mit dem aktuellen Zustand der Demokratie in Österreich zu befassen. Wir haben dafür mit Demokratieforscherin Martina Zandonella vom SORA-Institut gesprochen.
Martina Zandonella hat an der Universität Wien studiert und ist seit 2008 Forscherin am Wiener SORA-Institut. Ihre Arbeit befasst sich mit den sozialen Fragen der Demokratie und politischer Psychologie.
Wie steht es um die demokratische Mitbestimmung in Österreich?
Zandonella: Was wir im Moment sehen, ist, dass sich in den letzten zwei, drei Jahrzehnten einiges zum Schlechteren entwickelt hat. Früher gab es die Entwicklung, dass sich immer mehr Gruppen beteiligen konnten, zum Beispiel durch das Frauenwahlrecht. Jetzt haben wir aber immer mehr Menschen in Österreich, die keine österreichische Staatsbürgerschaft haben und dadurch vom zentralen Beteiligungsmittel ausgeschlossen sind, nämlich der Wahl. Das sind inzwischen 22 Prozent in ganz Österreich, in Wien ist es fast jede und jeder Dritte, die bzw. der nicht mehr wählen darf. Das ist die eine Schieflage. Wir leben in einem repräsentativen System, in dem sich immer mehr nicht beteiligen dürfen.
Auf der anderen Seite sehen wir auch, dass das untere Einkommensdrittel immer stärker aufhört sich zu beteiligen. Da gibt es auch Überschneidungen mit den ausländischen Staatsbürgerschaften. Wenn wir uns das in den Berufen ansehen wollen, sind das die Reinigungskräfte, die Pflegekräfte, all die Leute, die wir während der Pandemie als systemrelevant definiert haben. Selbst wenn sie wählen dürfen, nehmen viele von ihnen nicht mehr teil. Das ist für die Demokratie ein großes Problem, gerade, wenn das Menschen aus Berufsgruppen mit schwierigen Arbeitsbedingungen sind.
Warum sollte uns das besorgen?
Weil Demokratie bedeutet, dass wir alle mitbestimmen. Das, was uns alle betrifft, wollen und sollen wir auch alle mitbestimmen. Das ist so nicht mehr gegeben, wenn große Teile der Bevölkerung ausgeschlossen werden oder sich aus, im Grunde nachvollziehbaren Gründen, selbst ausschließen.
Es gibt auch Formen der Beteiligung, die leichter zugänglich sind als Wahlen. Werden diese Formen auch genutzt?
Die Stadt Wien hat viele Projekte, bei denen man sich offen beteiligen kann, etwa die Grätzloasen oder offene Bezirksbudgets. Das sind alles schöne Sachen, aber auch hier sehen wir, dass gerade die Menschen, die dadurch angesprochen werden sollen, gar nicht wissen, dass es sowas gibt und auch gar nicht Zeit haben hinzugehen.
Auf der anderen Seite haben wir natürlich bei der betrieblichen Mitbestimmung den großen Vorteil, dass jeder und jede, egal welche Staatsbürgerschaft, wählen darf. Sie dürfen ihren Betriebsrat wählen, sie können bei der Arbeiterkammerwahl wählen. Das ist ein großer Vorteil. Es ist enorm wichtig, dass es diese Angebote gibt. Gerade für die Menschen, die sonst wenig Möglichkeiten haben, sich zu beteiligen, ist das oft das erste Mal, dass sie bei der Demokratie in Österreich mitmachen können und sich mitvertreten fühlen. Da leistet die betriebliche Demokratie enorm wichtige Demokratiearbeit.
Sieht man einen Zusammenhang bei Problemen mit der betrieblichen Demokratie und Problemen in der Demokratie generell?
Wir sehen, dass dort, wo die Menschen im Betrieb mitbestimmen können, wo es einen Betriebsrat gibt, der präsent und erreichbar ist, auch das Vertrauen in die Demokratie größer ist. Diese Menschen gehen auch häufiger zu Wahlen im Allgemeinen, wenn sie wählen dürfen.
Besonders stark ist dieser Effekt bei den Lehrlingen. Die bekommen aus der politischen Bildung in der Schule oft nicht das Gefühl, dass Demokratie etwas ist, wo sie mitmachen können und sollten. Es sind oft die Kolleginnen bzw. Kollegen und die Betriebsrätinnen bzw. Betriebsräte im Betrieb, die ihnen beibringen, warum das wichtig ist.
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Helfen wir gemeinsam mit, dass es in Österreichs Unternehmen noch mehr BetriebsrätInnen gibt, die einen Beitrag zu einer besseren Berufswelt leisten.
In den letzten Jahren gab es Angriffe auf diese Formen der Demokratie, etwa als unter Türkis-Blau die Jugendvertrauensräte abgeschafft werden sollten. Wie ist das in diesem Zusammenhang zu bewerten?
Da geht’s ganz klar darum, die Mitbestimmung der Arbeitnehmer:innen zu schwächen. Wir sehen, wie wertvoll das für die Demokratie insgesamt ist, Einschnitte in diesem Bereich wären eine Katastrophe. Im Gegenteil, wir beobachten, dass das Vertrauen in das politische System in Österreich sinkt, da müssten genau solche Beteiligungsmöglichkeiten gestärkt werden.
Welche Dimensionen gibt es bei wirtschaftlicher Ungleichheit und der Ungleichheit im Wahlverhalten?
Es ist egal, welches Ungleichheitsmerkmal wir heranziehen, ob Einkommen, Vermögen oder Erbschaften. Je weniger ökonomische Ressourcen die Menschen haben, desto weniger beteiligen sie sich auch. Wir haben nachgeforscht, warum das so ist, und es gibt ganz klare Erfahrungen, die das auslösen. Das sind vor allem Erfahrungen von Ungleichwertigkeit. Das schließt daran an, dass eine Demokratie aussagt, dass wir grundsätzlich alle gleich sind, egal woher ich komme oder wie viel ich habe. Da machen die Menschen in den unteren Einkommensgruppen genau gegenteilige Erfahrungen. Sie fühlen sich als Menschen zweiter Klasse und formulieren das auch ganz stark so. Sie bekommen viel zu wenig Anerkennung. Sie werden von der Politik als Menschen zweiter Klassen behandelt und die Arbeit, die sie machen, wird nicht wertgeschätzt.
Diese Berufsgruppen im unteren Einkommensdrittel, in der Gastronomie und der Pflege, die besonders betroffen sind, sind ja derzeit aufgrund des Fachkräftebedarfs sehr gefragt, oder?
Genau. Das sind die Berufsgruppen, in denen uns gerade Arbeitskräfte fehlen. Es sind die Berufe, in denen jetzt schon sehr viele Menschen arbeiten, die nicht wählen dürfen. Bei den Reinigungskräften sind es 90 Prozent, bei den Pflegekräften sind es zwei Drittel, in der Gastronomie ist es die Hälfte. Dazu kommen die schweren Arbeitsbedingungen. Und wenn ich mich eh nicht beteiligen darf, werden sie auch nicht meine Arbeitsbedingungen verbessern. Es bleibt nur das betriebliche Zusammenschließen, aber gerade in diesen Branchen ist das nicht leicht.
Da gibt es auch viel Scheinselbstständigkeit.
Genau. Auch die Saisonarbeit in der Gastronomie macht es für die Gewerkschaften nicht leichter, da die Menschen oft nur drei Monate da sind und dann wieder weg. Unterstützen und organisieren ist unter diesen Bedingungen nicht leicht.
Welche Hebel müsste man in Bewegung setzen, um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken?
Der eine Hebel ist, wenn man diesen immer größer werdenden Teil der Gesellschaft, der nicht wahlberechtigt ist, einbezieht. Ob das jetzt mit einem Einwohner:innenwahlrecht oder einem leichteren Zugang zu Staatsbürgerschaft geschieht, ist egal.
Übergeordnet geht es um ökonomische Ungleichheit, das darf man nicht vergessen. Demokratie braucht auch Rahmenbedingungen, und wenn die Einkommens- und Vermögensverteilung immer weiter auseinander geht, wird das auch immer schlechter werden. Niedrige Einkommen müssen rauf, hohe Einkommen können gerne runter. Niemand muss so viel verdienen, wie es manche tun. Alle Maßnahmen, die ökonomische Ungleichheit reduzieren können, sind gefragt.
Was noch sehr wichtig ist, dass wir die Betriebe stärker demokratisieren. Es ist ganz zentral zu verstehen, dass es nicht nur darum geht, die Stimme der Arbeitnehmer:innen zu stärken, sondern, dass diese Demokratiearbeit für die Demokratie im ganzen Land enorm wichtig ist. Da gewinnen Menschen vertrauen ins System. Davon hat auch das Parlament etwas.