Zu niedrig
Arbeitslosengeld schützt nicht vor Armutsgefährdung
Die Hälfte der Arbeitslosen erhält weniger als 1.068 Euro netto pro Monat.
Nach der Covid-19-Pandemie, die vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern den Job gekostet hat, kämpfen nun viele Menschen mit den Auswirkungen der Teuerungskrise. Seit Anfang 2021 stieg das allgemeine Preisniveau in Österreich um fast ein Viertel – auch, weil sich die Bundesregierung weigerte preissenkende Maßnahmen zu setzen. Die Europäische Zentralbank wiederum bekämpft die Teuerung mit hohen Zinsen. Das dämpft aber das Wirtschaftswachstum und lässt die Arbeitslosigkeit ansteigen. Im April 2024 waren fast 368.000 Personen arbeitslos oder in Schulung (plus 11,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat).
Während Arbeitnehmer:innen im Rahmen der Lohnverhandlungen die Reallohnverluste zumindest zeitverzögert wieder aufholen, gilt das für Arbeitslose nicht. Einmal festgesetzt bleibt das Arbeitslosengeld für die Dauer des Anspruchs gleich hoch. Rutscht man danach (je nach Anspruch zwischen fünf und zwölf Monaten nach Beginn der Arbeitslosigkeit) in die Notstandshilfe ab, sinkt das Arbeitslosengeld sogar noch weiter – auf 92 (beziehungsweise in manchen Fällen 95) Prozent des Arbeitslosengelds. Deshalb braucht es dringend eine Anhebung des Arbeitslosengelds auf 70 Prozent des Nettoeinkommens vor der Arbeitslosigkeit und eine laufend Anpassung der Arbeitslosenleistungen an die Teuerung.
Großer Teil der Arbeitslosen erhält weniger als 1.000 Euro netto pro Monat
Wie viel – oder eher wie wenig – erhalten Österreichs Arbeitslose eigentlich? Unsere Berechnungen auf Basis einer Sonderauswertung des AMS zeigen die Verteilung der Arbeitslosenleistungen in Österreich im Jahr 2023. Sowohl beim Arbeitslosengeld als auch bei der Notstandshilfe sind, falls Anspruch besteht, ein Ergänzungsbetrag (für niedrige Anspruchsleistungen) und ein Familienzuschlag (für Kinder oder Partner:in) enthalten.
Wenn man alle Arbeitslosen, also Bezieher:innen von Arbeitslosengeld und von Notstandshilfe, zusammen betrachtet, beträgt die mittlere Arbeitslosenleistung 1.068 Euro netto pro Monat: Das bedeutet, die Hälfte der Arbeitslosen erhält weniger als diesen Betrag. Ein großer Teil der Arbeitslosen – rund 100.000 Personen – bekommt zwischen 1.000 und 1.200 Euro netto. Mehr aus 1.500 Euro erhalten nur ganz wenige Arbeitslose.
Zwischen den Bezieherinnen und Beziehern von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe gibt es große Unterschiede. Während die Hälfte der Menschen mit Anspruch auf Arbeitslosengeld zumindest 1.125 Euro erhält, sind es bei den Arbeitslosen mit Notstandshilfebezug nur 952 Euro. Kaum jemand mit Notstandshilfebezug erhält mehr als 1.200 Euro pro Monat. Für die niedrigeren Werte bei der Notstandshilfe gibt es zwei Gründe. Einerseits liegt es daran, dass die Notstandshilfe wie bereits erwähnt 92 (beziehungsweise 95) Prozent des Arbeitslosengelds beträgt, also per Definition niedriger ist. Andererseits hatten Notstandshilfebezieher:innen meist niedrigere Einkommen vor der Arbeitslosigkeit als Arbeitslosengeldbezieher:innen und auch der Beginn der Arbeitslosigkeit – und damit die Berechnung der Arbeitslosenleistung – liegt im Schnitt länger zurück.
Wie wird das Arbeitslosengeld berechnet?
Wer in Österreich Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, bekommt grundsätzlich 55 Prozent des Nettoeinkommens vor der Arbeitslosigkeit. Liegt das berechnete Arbeitslosengeld unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz (2024: 1.217,96 Euro netto pro Monat), erhalten die Arbeitslosen einen Ergänzungsbetrag – allerdings nur bis maximal 60 Prozent (beziehungsweise 80 Prozent, wenn man Anspruch auf den Familienzuschlag hat) des Nettoeinkommens. Als Nettoeinkommen vor der Arbeitslosigkeit wird allerdings nicht einfach das letzte Monatseinkommen herangezogen, sondern im Normalfall werden die zwölf Monatseinkommen von vor zwei Jahren betrachtet. Ein Beispiel: Wird eine Person im Mai 2024 arbeitslos, wird das meist viel niedrigere Einkommen von Mai 2022 bis April 2023 zur Berechnung des Arbeitslosengelds herangezogen – und nur der Teil des Einkommens, der ins Jahr 2022 fällt, wird aufgewertet. Die Einkommensgrundlage für die Berechnung des Arbeitslosengelds hinkt also hinterher. Vor allem wenn die Inflation schnell stark ansteigt, wie zuletzt der Fall, trifft das Arbeitslose besonders hart. Denn die Preise zu Beginn der Arbeitslosigkeit sind nicht mehr jene aus dem Jahr 2023.
Das Arbeitslosengeld alleine schützt nicht vor Armutsgefährdung
Die niedrige Nettoersatzrate des Arbeitslosengelds und die unzureichende Aufwertung des Einkommens, das zur Berechnung herangezogen wird, führen dazu, dass beinahe alle Arbeitslosen in Österreich ein Arbeitslosengeld erhalten, das unter der Armutsgefährdungsschwelle von 1.592 Euro netto pro Monat liegt. Das Arbeitslosengeld alleine schützt also nicht vor Armutsgefährdung. Betrachtet man alle Arbeitslosen, liegen fast 94 Prozent unter der Armutsgefährdungsschwelle. Bei den reinen Bezieherinnen und Beziehern von Arbeitslosengeld sind es zwar etwas weniger, aber immer noch neun von zehn Personen. Besonders stark sind Arbeitslose mit Notstandshilfebezug betroffen: Mit über 98,2 Prozent gibt es hier kaum jemand, der über der Armutsgefährdungsschwelle liegt.
Noch dramatischer sieht die Situation aus, wenn man nur arbeitslose Frauen analysiert. Hier liegen insgesamt fast 97 Prozent der Arbeitslosen unter der Armutsgefährdungsschwelle. Auch wenn man nur das Arbeitslosengeld betrachtet, sind es beinahe 95 Prozent und bei der Notstandshilfe liegen sogar 99 Prozent der arbeitslosen Frauen darunter. Ohne weitere Sozialleistungen oder Unterstützung durch Partnerin oder Partner – falls vorhanden – sind also praktisch alle Arbeitslosen in Österreich armutsgefährdet.
In der von der Statistik Austria durchgeführten Erhebung zu den Einkommen und Lebensbedingungen der Österreicher:innen werden auch andere Sozialleistungen und etwaige Einkommensquellen weiterer Familienmitglieder berücksichtigt. Dadurch reduziert sich die Zahl der armutsgefährdeten Arbeitslosen 2023 auf 42 Prozent, was allerdings immer noch ein enorm hoher Wert ist. Zum Vergleich: Bei den Erwerbstätigen sind „nur“ acht Prozent der Personen armutsgefährdet, bei den Pensionistinnen und Pensionisten sind es 16 Prozent.
Detaillierte Auswertung der Arbeitslosenleistungen 2023
Noch detailliertere Blicke auf die Verteilung der Arbeitslosenleistungen erhält man, wenn man die Arbeitslosen nach dem Einkommen aus Arbeitslosengeld und/oder Notstandshilfe aufsteigend aufreiht und in zehn gleich große Gruppen teilt. Die abgebildeten Werte sind die Obergrenze der jeweiligen Gruppe. Das bedeutet beispielsweise, dass zehn Prozent der Bezieher:innen von Arbeitslosengeld weniger (und 90 Prozent mehr) als 697 Euro netto pro Monat erhalten. Die Hälfte (Median) bekommt weniger als 1.125 Euro netto und 90 Prozent erhalten weniger als 1.566 Euro pro Monat.
Teilt man die Arbeitslosen zusätzlich noch nach Männern und Frauen auf, sieht man, dass sich die geschlechtsspezifischen Einkommensunterschiede aus der Arbeitswelt auch bei den Arbeitslosenleistungen widerspiegeln. Die Hälfte der männlichen Arbeitslosen mit Anspruch auf Arbeitslosengeld erhält weniger als 1.183 Euro netto pro Monat, die Hälfte der weiblichen Arbeitslosen aber nur weniger als 1.052 Euro. Insgesamt erhalten 90 Prozent der männlichen Arbeitslosen weniger als 1.521 Euro pro Monat, bei den Frauen erhalten 90 Prozent maximal 1.247 Euro.
Das Arbeitslosengeld muss erhöht und laufend valorisiert werden
Die Ableitung aus diesen erschreckenden niedrigen Zahlen zu Arbeitslosengeld und Notstandshilfe sind klar: Das Arbeitslosengeld muss erhöht werden und die Arbeitslosenleistungen müssen laufend an die Teuerung angepasst werden. Eine Erhöhung der Nettoersatzrate auf 70 Prozent ist ein erster Schritt, um die Zahl der armutsgefährdeten Arbeitslosen zu senken. Vor allem wenn die Preise so stark steigen wie zuletzt, muss das Arbeitslosengeld auch valorisiert werden. Gerade für Langzeitarbeitslose bedeutete die Teuerungskrise einen enormen Realeinkommensverlust und massive Einschränkungen des materiellen und sozialen Wohlstands.