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Fotos: Hintergrund © JD8 – stock.adobe.com, H. Schuberth © Elisabeth Mandl

Der Ruf nach Lohnkürzungen bringt uns nicht weiter

Wer möchte, dass die Löhne künftig nicht mehr so stark steigen, muss die Teuerung verlangsamen. Eingriffe in den Energiemarkt wären ein Anfang.

Dieser Artikel ist unter dem Titel „Der Ruf nach Lohnkürzungen bringt uns nicht weiter“ am 06. April 2025 im Standard erschienen.

Gerade in Zeiten tiefgreifender wirtschaftlicher Verwerfungen – die aktuelle Rezession ist die längste seit 1945 – darf es keine Denkverbote geben. Dass Lohnzurückhaltung bei sinkender Wertschöpfung und steigenden Löhnen ein Allheilmittel wäre, wie es dieser Tage von renommierten Wirtschaftsforschern unermüdlich wiederholt wurde, erfordert jedoch Widerspruch.

Es stellt sich daher die Frage: Ist der Anstieg der Lohnquote im vergangenen Jahr tatsächlich wesentlich für die Rezession verantwortlich? Sollte man gar die Benya-Formel – also jene über Jahrzehnte etablierte Lohnregel, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Wahrung ihrer Kaufkraft und eine Beteiligung am durchschnittlichen Produktivitätswachstum zusichert – über Bord werfen? Ist sie mitverantwortlich für die Krise der Industrie, gar der österreichischen Volkswirtschaft? Die kurze Antwort: Nein. Warum? Seit Anfang 2023 hat sich tatsächlich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der Industrie verschlechtert – das aber nach einem Jahrzehnt kontinuierlicher Verbesserungen. Bemerkenswert ist dabei, dass gerade die Benya-Formel in der Phase des Aufschwungs einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit geleistet hat. Ihre Orientierung am mittelfristigen Produktivitätszuwachs der Gesamtwirtschaft kam insbesondere der Industrie zugute, deren Produktivität in den letzten 15 Jahren etwa dreimal so stark wuchs wie der gesamtwirtschaftliche Durchschnitt. Die Industrie profitierte somit in besonderem Maße von dieser Lohnregel.

Solidarische Lohnpolitik

Die Sozialpartner gleichen die Interessen beider Seiten aus. Sie sichern die Kaufkraft der Beschäftigten und nehmen Rücksicht auf die Lage der Branchen. Für die Industrie sehen sie Ausnahmen für Betriebe, die wirtschaftlich unter Druck geraten sind, vor. Für mehr wirtschaftliche Planbarkeit – wie von den Unternehmen gewünscht – gibt es in einigen Branchen zweijährige Abschlüsse. Die solidarische Lohnpolitik sorgt auch für sozialen Ausgleich: Viele Lohnabschlüsse der letzten Jahre fielen höher für Beschäftigte mit wenig Einkommen aus, dafür etwas unter der Teuerung für Besserverdiener.

Gesamtwirtschaftlich sichern ausreichende Löhne die Kaufkraft der Menschen, die Finanzierung des Sozialstaats wie auch die Einnahmen vieler heimischer Branchen vom Handel bis zur Gastronomie. Dass Löhne als Kostenfaktor in manchen Industrieunternehmen Investitionen erschweren, mag im Einzelfall zutreffen. Der Anteil der Löhne an den Gesamtkosten ist aber gerade in Branchen, die im internationalen Wettbewerb stehen, oft gering – in der österreichischen Industrie bewegt er sich zwischen zehn und 30 Prozent.

Analysen der Nationalbank wie auch des ÖGB zeigen andere Probleme auf: Der Einbruch der Produktion war am größten in Industriezweigen, die viel Energie verbrauchen. Die Gewinne der Energiekonzerne sind zum Teil die Verluste der Industrie. Fast genauso schlecht erging es der Industrie, die Material für die unter der hohen Zinslast leidenden Bauwirtschaft produziert.

Warum ist Österreich bei der Entwicklung der Wirtschaftsleistung also Schlusslicht im Euroraum? Die restriktive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank traf Industrie und Bau in allen Ländern –

und Österreich aufgrund des hohen Industrieanteils besonders stark. Vor allem aber die ausgebliebenen Eingriffe in explodierende Preise verschärften die Krise. Von Beginn an forderten Gewerkschaften Eingriffe – Wirtschaftsforscherinnen und Wirtschaftsforscher lehnten das lange Zeit strikt ab. Zwar unterstützte die Regierung die Einkommen, doch es waren die Gewerkschaften, die einen Ausgleich der Teuerung durchsetzten. 2023 und 2024 konnten dann die Löhne aufholen.

Hohe Gewinne

Unverständlich ist auch, dass die Wirtschaftsforscherinnen und -forscher auf einem Auge blind sind, nämlich wenn es um die andere Seite der Medaille geht: die Rekordgewinne der vergangenen Jahre. Das Aufkommen aus der Körperschaftssteuer stieg 2022 trotz Krise um die Hälfte im Vergleich zum Vorkrisenniveau und blieb selbst 2024, im zweiten Jahr mit Wirtschaftsrückgang, auf hohem Niveau. Anstatt unternehmerischen Weitblick zu beweisen und sich für die unsichere Zukunft zu wappnen, wurden alleine von den börsennotierten Unternehmen Gewinne in Rekordhöhe ausgezahlt.

Trotz unzureichender Analyse präsentiert die Wirtschaftsforschung nun Lohnzurückhaltung als Lösung. Doch wer das hört, spart lieber – Vertrauen und Konsum entstehen so nicht.

Eine Strukturkrise

Neben den fehlenden Preiseingriffen ist ein weiterer Grund für die lang anhaltende Krise, dass Teile der österreichischen Industrie von einer veritablen Strukturkrise betroffen sind. So schwächt etwa die Verdrängung deutscher Verbrennerautos durch chinesische E-Autos die österreichische Zulieferindustrie; der seit 2023 zu verzeichnende Exporteinbruch reflektiert schließlich überwiegend Exporte nach Deutschland. Die Zölle von US-Präsident Donald Trump sind hier auch nicht hilfreich. Mit Löhnen haben die Probleme der Industrie aber wenig zu tun.

Möchte man, dass die Löhne künftig nicht mehr so stark steigen, muss die Teuerung verlangsamt werden. Die Gewerkschaften haben eine Preiskommission mit Zähnen vorgeschlagen, um ungerechtfertigte Preisaufschläge zu verhindern. Eingriffe in den Energiemarkt oder eine generelle Reform des Preisbildungsmechanismus am Strommarkt können die Energiepreise senken. Die Mietpreisbremse muss auch noch für den privaten Neubau gelten. So gelingt die Preis- und Gewinnzurückhaltung – als eine konzertierte Aktion der Sozialpartner. Dann müssen die Löhne auch nicht mehr so stark nachziehen.

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