Runter mit den Belastungen in Betreuungs-, Pflege- und Gesundheitsberufen
Gewerkschaften einig: Personalmangel kann nur durch bessere Arbeitsbedingungen beseitigt werden
Obwohl die Hochphase der Corona-Pandemie mittlerweile vorbei ist, arbeiten die Beschäftigten in den Betreuungs-, Pflege- und Gesundheitsberufen nach wie vor am Limit. Ob in den Spitälern, Pflegeheimen, der mobilen Pflege oder in den Behinderteneinrichtungen: die Lage ist ernst und es muss alles daran gesetzt werden, die Kolleg:innen einerseits in der Branche zu halten und andererseits mehr Menschen für diese Berufe begeistern zu können.
„Die Arbeitsbelastungen sind zu hoch, nicht erst seit der Pandemie. Mit den aktuellen Personalberechnungsmodellen brennen die Kolleg:innen aus und das müssen wir mit allen Mitteln verhindern“, sagt die stellvertretende Landesvorsitzende der Gewerkschaft vida, Martina Reischenböck, die als Konzernbetriebsratsvorsitzende der Vinzenz-Gruppe selbst im Spitalsbereich arbeitet. Der Personalschlüssel muss österreichweit verbindlich, transparent und bedarfsorientiert gestaltet werden und es muss auch Konsequenzen geben, sollte er nicht eingehalten werden. „Dann müssen eben Betten oder ganze Stationen gesperrt werden“, so Reischenböck. Klar sei, dass der Personalmangel nicht ständig auf dem Rücken der Kolleg:innen ausgetragen werden kann. „Wenn der Personalschlüssel kurzzeitig unterschritten wird, muss es umgekehrt Entlastungsmaßnahmen für die Beschäftigten geben“, stellt die im Krankenhaus Ried beschäftigte Gewerkschafterin klar.
Um erträgliche Personalschlüssel auch umsetzen zu können, wird künftig mehr Personal benötigt. Das bedeutet auch, dass die Aus- und Weiterbildung attraktiver gestaltet werden muss. „Es muss eine Entlohnung schon während der Ausbildung geben, von der die Menschen auch leben können“, sagt Reischenböck, die auch eine Forcierung berufsbegleitender Ausbildungsmöglichkeiten fordert. „Ganz generell benötigen wir eine Ausbildungsoffensive mit der die Berufe schon an den Pflichtschulen und polytechnischen Schulen genauso wie bei Berufsmessen beworben werden“, fügt die Gewerkschafterin an. Als Sofortmaßnahme fordert Reischenböck eine Arbeitszeitverkürzung. Diese würde eine finanzielle Aufwertung für die mehr als 70 Prozent Teilzeit-Mitarbeiter:innen in den Spitälern bedeuten. Vollzeit-Mitarbeiter:innen würden durch eine Abgeltung der Überstunden profitieren.
Schluss mit ungleicher Behandlung!
Für den Vorsitzenden der Gesundheitsgewerkschaft in der Gewerkschaft öffentlicher Dienst (GÖD) in Oberösterreich, Alfred Mayr, gilt es, bei künftigen Maßnahmen sehr darauf zu achten, dass wirklich alle Berufe im Spital mitbedacht werden. „In der letzten Zeit war es oft so, dass Verbesserungen nicht für alle gegolten haben. Das hat dann regelmäßig zu Unzufriedenheit geführt und die Kolleg:innen auseinanderdividiert. Damit muss Schluss sein, das ‚Wir‘ muss in den Vordergrund gerückt werden“, so Mayr. Konkret geht es dabei auch um den Pflegebonus, bei dem viele Kolleg:innen ausgeschlossen waren. Dieser müsse dringend repariert werden.
Unbedingt verbessern müsse sich die Dienstplansicherheit. „Die Berufe werden nicht attraktiver, wenn man ständig einspringen muss. Das führt zu Ärger bei den Beschäftigten“, stellt Mayr klar. Ein ordentliches Ersatzpersonalmanagement und mehr Erholung sind Gebote der Stunde.
Auch die Sozialleistungen müssen im Vordergrund stehen, um attraktiv für aktuell Beschäftigte und Interessent:innen zu sein. „Zum einen müssen bereits bestehende Angebote bekannter gemacht werden, zum anderen natürlich auch ausgebaut werden. Das gilt zudem für die Kinderbetreuung, die es etwa in manchen Spitälern bereits gibt, in anderen aber noch nicht in ausreichendem Ausbau“, sagt Mayr. Richtung Bund adressiert er, dass es für die Mitarbeiter:innen eine Möglichkeit geben müsse, die Schwerarbeitspension in Anspruch nehmen zu können.
Neben den Spitälern sind auch die Mitarbeiter:innen in den oberösterreichischen Alten- und Pflegeheimen am Belastungslimit. Sie leiden darunter, nicht genügend Zeit für die soziale und pflegende Betreuung der Heimbewohner:innen aufwenden zu können und denken oft an einen Berufswechsel. „Eine erste Entlastung kann geschaffen werden, wenn auch hier durch den Personalschlüssel mehr Zeit für die persönliche Betreuung bleibt – angefangen von Aktivitäten mit den Bewohner:innen, Zeit für Gespräche zur emotionalen Stärkung bis hin zur Begleitung von versterbenden Heimbewoh-ner:innen“, sagt der Landesvorsitzende der Gewerkschaft younion, Christian Jedinger.
Absage an Pflegelehre
Den Versuch, die Personalnot mit einer Pflegelehre in den Griff zu bekommen, lehnt er ab. „Wir sprechen uns gegen eine Pflegelehre aus, vor allem weil sie zu einer zu großen physischen und psychischen Belastung für Jugendliche führt. Immerhin werden Akutpatienten, Demenzkranke und Palliativpatienten gepflegt. Um junge Menschen für die Ausbildung in einem Pflegeberuf zu gewinnen, wird die Einführung einer Pflegelehre nicht helfen.“ Vielmehr muss der Pflegeberuf, parallel zum Angebot von hochwertigen und durchlässigen Ausbildungsmöglichkeiten, durch Verbesserung der Arbeitsbedingungen attraktiver gestaltet werden.
Zudem haben die bestehenden Pflegeschulen hervorragende Pfleger:innen hervorgebracht. Jedinger ergänzt: „Wenn die Pflegelehre beschlossene Sache ist, sollten die Verantwortlichen rasch über die Rahmenbedingungen nachdenken: also Zeit für die Lehrlingsausbildner:innen und ein attraktives Lehrlingseinkommen. Da fehlen aber immer noch die politischen Entscheidungen, selbst die Höhe der Lehrlingsentschädigung ist noch nicht beschlossen. Die Zeit drängt und die Politik hat ihre Hausaufgaben nicht erledigt.“
Mobile Pflege zahlt bei Fahrten drauf
Schwierig ist die Situation auch in der mobilen Pflege und der Betreuung von Menschen mit Beeinträchtigungen. Einer der Gründe in der mobilen Pflege sind die Fahrtkosten, da das Kilometergeld nach wie vor nicht an die hohen Preise angepasst wurde. „Mittlerweile sind die Fahrten teurer als die Refundierung dafür. Es kann nicht sein, dass Beschäftigte privat draufzahlen, damit sie ihrer Arbeit überhaupt erst nachgehen können“, sieht Gottfried Lichtenberger, stv. Landesgeschäftsführer der zuständigen Gewerkschaft GPA, eine gewaltige Schieflage. Auch die zu knapp bemessene Zeit, die pro Klient:in zur Verfügung steht, verursacht großen Stress und Unbehagen bei den Angestellten, da sie oft nur das Nötigste erledigen können und die zu pflegenden Menschen die Leidtragenden sind.
In der Betreuung von Menschen mit Beeinträchtigung ist der Betreuungsschlüssel viel zu niedrig, was die Einrichtungen zu reinen Aufbewahrungsstätten macht. „Es geht soweit, dass Beschäftigte, die nicht die entsprechende Ausbildung haben, Dienste an den Klient:innen versehen, die für beide Seiten nicht zumutbar sind. Da kann es dann schon mal vorkommen, dass jemand, der nicht dazu befugt ist, Medikamente ausgibt, weil einfach niemand da ist, der das übernehmen könnte“, ist Lichtenberger entsetzt, wie fahrlässig vieles mittlerweile gehandhabt wird. „Solche Vorgehensweisen werfen nicht nur Haftungsfragen auf, sondern sind einfach für beide Seiten absolut unzumutbar. Die Beschäftigten sollen ihren Beruf, den sie ja gewählt haben, weil er
ihnen Freude bereitet, ohne Angst ausüben können. Und die Menschen mit Beeinträchtigung haben ein Recht darauf, Zuwendung zu bekommen würdevoll behandelt zu werden, damit es ihnen gut geht“, sagt Lichtenberger.