Europa
Mit Knowhow gegen die Übermacht der Konzerne
Wie Arbeitnehmervertreter in Brüssel gegen die Dominanz der Lobbyisten ankämpfen
Mindestens 50.0000 Personen sind in der EU-Hauptstadt vollberuflich als LobbyistInnen unterwegs, im offiziellen EU-Lobbyregister waren 2019 rund 12.000 Organisationen eingetragen. Unter „Lobbying” versteht man gemeinhin die Einflussnahme verschiedener Interessensgruppen auf politische Entscheidungen – ein wesentlicher Faktor der EU-Politik. Der überwiegende Teil der LobbyistInnen vertritt Konzerne und Wirtschaftsverbände. GewerkschafterInnen sind dagegen nur marginal vertreten. Auf 100 WirtschaftslobbyistInnen kommen zwei ArbeitnehmervertreterInnen.
David Hafner vom ÖGB-Büro in Brüssel erklärt, wie sich Gewerkschaften dieser Übermacht entgegenstellen können, um sicherzustellen, dass Gesetze keine Nachteile für ArbeitnehmerInnen bringen.
oegb.at: Was machen LobbyistInnen genau und warum gibt es so viele in Brüssel?
David Hafner: „EU-Richtlinien und Verordnungen betreffen den gesamten Binnenmarkt und 450 Millionen EuropäerInnen. Einzelne EU-Gesetze können dadurch enorme Bedeutung für betroffene Unternehmen und Wirtschaftssektoren entwickeln. Darum herum hat sich über die Jahre eine riesige Lobbyindustrie gebildet, die wir auf nationaler Ebene so überhaupt nicht kennen. LobbyistInnen bringen sich in den komplizierten EU-Gesetzgebungsprozess, in dem sich 27 nationale Regierungen, ebenso viele KommissarInnen und 705 Abgeordnete abstimmen müssen, mit Gutachten, Positionspapieren und Änderungsanträgen ein. Für den tatsächlichen Einfluss spielen Kenntnis der Prozesse und Kontakte ebenso eine Rolle, wie hochwertige Studien oder das wirtschaftliche und politische Gewicht der vertretenen Organisation. Laut dem offiziellen EU-Lobbyregister werden jährlich 1,8 Milliarden Euro für die politische Einflussnahme ausgegeben. Die EU verlässt sich in gewisser Weise auch darauf. Die Fülle und Komplexität der Themen wären ohne externe Expertise von BeamtInnen und PolitikerInnen nicht zu bewältigen."
„Laut dem offiziellen EU-Lobbyregister werden jährlich 1,8 Milliarden Euro für die politische Einflussnahme ausgegeben."
oegb.at: Wie kann sich die kleine Minderheit der ArbeitnehmervertreterInnen und GewerkschafterInnen in diesen Prozess einbringen?
„Mit einem Verhältnis von zwei zu 100 zugunsten der WirtschaftsvertreterInnen sind wir von einer ausgeglichenen Sozialpartnerschaft auf EU-Ebene weit entfernt. Auch in Bezug auf finanzielle Ressourcen sind wir stark im Nachteil. Allerdings vertreten wir als Gewerkschaften die Interessen der breiten Bevölkerung und keine Partikularinteressen. Wir können auf unsere Anliegen viel besser aufmerksam machen und den Druck der Öffentlichkeit nutzen. Der ÖGB setzt dabei auf seine Mitglieder und besonders auf die BetriebsrätInnen. Sowohl die EU-Kommission als auch das Parlament sind tatsächlich interessiert an einem regen Austausch mit den BürgerInnen in den einzelnen Ländern."
oegb.at: Wie schaut so ein Austausch in der Praxis aus?
„Aktuell ist es beispielsweise gelungen, dass sich europaweit mehr als 145.000 Menschen im Rahmen unserer Kampagne für ein europäisches Lieferkettensystem an einer Konsultation der EU-Kommission beteiligen. Der Großteil der UnterstützerInnen kommt aus Österreich. Bei Konsultationen kann man sich zu einem frühen Stadium zu Gesetzesvorhaben einbringen. Der tatsächliche Prozess ist aber für Laien nicht zu bewältigen. Deshalb haben wir ein Onlinetool erstellt, mit dem vorbereitete Antworten direkt an die Kommission geschickt werden konnten. Die enorme BürgerInnen-Beteiligung hat die zuständigen Beamten beeindruckt, wir erwarten einen entsprechend ambitionierten Gesetzesvorschlag für mehr Unternehmerverantwortung."
oegb.at: Gibt es weitere Beispiele für erfolgreiche Einflussnahmen, was wurde für ArbeitnehmerInnen erreicht?
„Mit ähnlich gelagerten Online-Kampagnen konnten unsere Mitglieder zur Europäischen Säule der Sozialen Rechte sowie zur Errichtung der Europäischen Arbeitsbehörde gegen Lohn- und Sozialdumping maßgeblich beitragen. Ein anderes Beispiel ist die verhinderte Europäische Ich-AG (SUP). 2014 wollte die Kommission diese neue europäische Gesellschaftsform schaffen. Mit Onlinegründung ohne Stammkapital in jedem EU-Land, unabhängig von der tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit, wäre sie die ideale Rechtsform für Briefkastenfirmen und Steuervermeider geworden. Mangelnder Schutz der Mitbestimmung war ein weiterer Kritikpunkt."
Wir haben damals schnell auf die Gefahren aufmerksam gemacht und Seminare für BetriebsrätInnen veranstaltet. Gut informiert konnten sie dann selbst bei den EU-Abgeordneten intervenieren. Mit Erfolg: Nachdem der Gesetzesentwurf hartnäckig vom Parlament blockiert wurde, hat ihn die Kommission 2018 zurückgezogen.
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