Gewerkschaftsgeschichte
Die Gewerkschaftsgründerin Lucie Loch
Mitten im Ersten Weltkrieg gründete eine Frau eine Gewerkschaft der Krankenpflegerinnen
Viel ist von der Gründerin der Gewerkschaft der Krankenpflegerinnen, Lucie Loch, nicht bekannt. Sie kam am 8. Februar 1881 in Ostpreußen auf die Welt, lebte in Berlin, zog während des Ersten Weltkrieges nach Wien, kämpfte im Widerstand gegen die Austrofaschisten, flüchtete vor den Nationalsozialisten zuerst in die Schweiz, dann nach Frankreich und starb am 13. Dezember 1943 in New York. Die englische Exilzeitung der österreichischen Sozialisten widmete der „bekanntesten weiblichen Gewerkschaftsvertrauenspersonen in Österreich“ einen kurzen Nachruf.
Darin stand zu lesen, dass es ihr gelungen war, die Krankenpflegerinnen beinahe vollständig zu organisieren, dass die Gewerkschaftsmitglieder ihr vertraut und sie verehrt hätten, sie eine willensstarke und unkonventionelle Persönlichkeit gewesen sei.
Dann geriet sie in Vergessenheit, geblieben ist nicht einmal ein Foto – und nur Fragmente ihrer Biografie.
Kopfschussstation
Lucie Loch kam während des Ersten Weltkriegs nach Wien und arbeitete als Pflegerin im Kriegslazarett für Kopfverletzte – der Kopfschussstation – in der Heniksteinvilla im heutigen Bezirk Döbling. Der militärische Spitalskommandant Otto Buchner leitete das Lazarett mit eisernem Drill und Disziplinierungen gegenüber den Pflegerinnen.
Darüber war Loch empört. Sie begann, sich zu wehren und wurde Sprecherin des Personals. Im November 1917 gründete sie mit Kolleginnen eine gewerkschaftliche Organisation, die Fachorganisation der geschulten Krankenpflegerinnen, Fürsorgerinnen und verwandter Berufe. Ihre Ziele waren das Ende der 36-Stunden-Schichten sowie die Normierung der Ausbildung und Gehaltserhöhungen, damit die Pflegerinnen nicht mehr auf die Trinkgelder der Kranken angewiesen waren. Denn von den während des Krieges verliehenen Goldenen Verdienstkreuzen am Bande und den Tapferkeitsmedaillen konnten sich die Frauen nichts kaufen.
Kriegskrankenschwestern
Loch gab im Jahr 1919 ihre Tätigkeit als Krankenpflegerin auf und widmete sich ganz der Gewerkschaftsarbeit. Unmittelbar nach Kriegsende fokussierte sie auf die Versorgung der rund 25.000 Krankenschwestern, Hilfsschwestern und Helferinnen, die während des Kriegs unbezahlt oder für geringe Löhne in Lazaretten an der Front gearbeitet hatten. Sie standen nach ihrer Rückkehr „vom Felde“ vor dem Nichts. Die Monarchie hatte für die Frauen nicht vorgesorgt und die junge Republik war anfangs mehr mit der Versorgung der heimkehrenden Soldaten beschäftigt.
Erste Erfolge
Der erste Durchbruch gelang im März 1918 für diplomierte Krankenschwestern: Verdoppelung des Gehalts und Verbesserungen beim Bezug von Naturalbezügen sowie die Einführung des Zehnstundentags, zwei freie Halbtage pro Woche, Anspruch auf vier Wochen bezahlten Erholungsurlaub sowie volle Verpflegung und kostenlose Arbeitskleidung. Die Unterbringung von diplomierten Krankenschwestern in Schlafsälen wurde verboten und Ober- und Lehrschwestern standen Einzelzimmer zu.
Der zweite Erfolg war die Versorgung der Armeeschwestern. Sie erhielten die Möglichkeit, sich zu diplomierten Krankenschwestern oder in anderen Berufszweigen ausbilden zu lassen. „Kriegsbeschädigte“ erhielten in Ambulatorien kostenlose Behandlung.
Sparmaßnahmen
Im Jahr 1923 legte der Staat ein Sparprogramm vor und dieses enthielt u. a. auch, dass weltliches Pflegepersonal in Krankenhäusern gekündigt werden sollte. Der Grund dafür: Krankenschwestern mussten bezahlt werden, Nonnen arbeiteten hingegen für einen geringen Obolus. Loch kämpfte auf das „Energischste“ dagegen an, dass hunderte geschulte und seit Jahren berufstätige Krankenpflegerinnen abgebaut und durch ungeschulte Nonnen ersetzt werden sollen. Dies sei ein Verbrechen an der Volksgesundheit und für die arbeitslos gewordenen Krankenschwestern bedeute dies das Elend, sagte sie. Zur Hilfe kam ihr der simple Umstand, dass es einfach nicht genügend Nonnen gab und die Krankenschwestern ihre Posten behalten konnten.
Immer wieder vertrat Loch die Interessen der Krankenschwestern bei Versammlungen, bei stürmischen Debatten um Gehaltserhöhungen, aber auch, als das Dienstrecht verschlechtert werden sollte. Die Lage verschlimmerte sich während der Wirtschaftskrise in den 1930er Jahren. Im Jahr 1931 erging trotz massiven Widerstands der Frauen eine neue Dienst- und Besoldungsordnung: die Wochenarbeitszeit betrug nun 54 statt bisher 48 Stunden, Ausbildungszeiten wurden nicht mehr an die Pension angerechnet, die Pragmatisierung wurde abgeschafft, der Vierwochenurlaub gekürzt, die Dienstkleider mussten von den Krankenschwestern selbst gekauft und auch gereinigt werden. Statt wie bisher in Einzel- und Doppelbettzimmern sollten die Schwestern in „kasernenartigen Unterkünften“ untergebracht werden. Alle Aktionen gegen die Verschlechterungen endeten mit den Februarkämpfen 1934.
Im Untergrund
Nach den Februarkämpfen 1934 verboten die Austrofaschisten die Sozialdemokratische Arbeiterpartei und die Freien Gewerkschaften. Lochs offizielle Arbeit als Gewerkschaftssekretärin endete. Sie ging, wie viele ihrer sozialdemokratisch und/oder gewerkschaftlich engagierten Mitstreiterinnen in den Untergrund und sie war Mitglied des zentralen Frauenkomitees der illegalen Gewerkschaften. Ihre Wohnung wurde zum Treffpunkt und Versteck vieler von den Austrofaschisten Verfolgten. So trafen sich etwa Redakteure der nun verbotenen Arbeiter-Zeitung oder die Gründerin des AK-Frauenreferats Käthe Leichter bei ihr.
Nach dem sogenannten „Anschluss“ im März 1938 wollte sie eigentlich im Untergrund weiterarbeiten, aber die Nationalsozialisten suchten sie bereits: die Jüdin, die Gewerkschaftsgründerin. Sie floh zuerst in die Schweiz, dann nach Frankreich und schließlich nach New York – hielt aber immer Kontakt zu österreichischen SozialistInnen und GewerkschafterInnen im Exil.
Am 13. Dezember 1943 starb sie im Alter von nur 62 Jahren in New York. Der Nachruf in der Exilzeitung endete mit dem Satz: Lucie Loch war eine vorbildliche Gewerkschafterin, eine opferbereite und mit der Bewegung tief verbundene Sozialistin, (…) eine in sich geschlossene, kraftvolle Persönlichkeit.
Geblieben ist von Loch, dass aus ihrer 1917 gegründeten Fachorganisation die heute noch aktive ARGE Fachgruppenvereinigung für Gesundheits- und Sozialberufe im ÖGB entstanden ist.