Gewerkschaftsgeschichte
Doppelmord in Schattendorf
Wie ein Gerichtsurteil das Ende der Demokratie einläutete
Schattendorf, Burgenland, Sonntag, 30. Jänner 1927, kurz nach 16 Uhr: Der Doppelmord
Der Vater hob den Leichnam seines Sohnes, den sechsjährigen Josef Grössing, hoch und trug ihn in das Gemeindeamt. 16 Schrotkugeln, abgefeuert von drei Mitgliedern der antisemitischen paramilitärischen Frontkämpfer hatten den Buben in Herz und Lunge getroffen. Der Vater platzierte ihn neben den dort liegenden Matthias Csmarits – Gewerkschaftsmitglied, Kriegsversehrter, Sozialdemokrat. Ihm hatten die Mörder mit 20 Schrotkugeln die rechte Kopfhälfte weggeschossen.
Csarmits war Teil des Aufmarsches des Republikanischen Schutzbundes gewesen, der kleine Josef war nur aus Neugierde auf der Straße gestanden.
Der Doppelmord von Schattendorf verschärfte die Radikalisierung in der österreichischen Innenpolitik, an deren Ende die Auflösung des Parlaments und das Verbot der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und der freien Gewerkschaften stand.
Die Morde im 2.000-Seelen-Dorf wurden von allen österreichischen Zeitungen aufgegriffen. Es folgten Rechtfertigungsversuche in der konservativen Presse, aber vor allem Empörung, Proteststreiks und Demonstrationen der ArbeiterInnenschaft. In Wien versprachen Zehntausende, dass „in diesem Land faschistische Methoden keinen Eingang finden werden“ – und irrten sich gewaltig.
Die beiden Mordopfer wurden am 2. Februar 1927 in Schattendorf beigesetzt und tausende Menschen begleiteten sie auf ihrem letzten Weg. Um 11 Uhr vormittags heulten die Fabriksirenen. Es war das Zeichen für den von den freien Gewerkschaften ausgerufenen viertelstündigen Generalstreik. Auch Eisenbahnzüge hielten auf offener Strecke. Ein deutliches Zeichen der Stärke der freien Gewerkschaften und ihrer Position als antifaschistische Organisation.
24. April 1927: Nationalratswahlen
Als in Schattendorf die Schüsse fielen, befand sich Österreich im Wahlkampf. Christlichsoziale regierten unter Bundeskanzler Ignaz Seipel, dem „Prälat ohne Milde“ und Förderer der paramilitärischen antisemitischen Frontkämpfer und der faschistischen Heimwehr, seit 1920 mit harter Hand. Denen stand der sozialdemokratische Republikanische Schutzbund gegenüber, gegründet nach der Ermordung eines Betriebsrates.
Seit 1923 gab es immer wieder Aufmärsche, blutige Kämpfe, Störaktionen bei Versammlungen und Morde. All dies spiegelte sich im Wahlkampf wider. Die Wahlen im April 1927 gewann die Einheitsliste bestehend aus Christlichsozialen, Großdeutscher Volkspartei und nationalsozialistischen Gruppierungen. Seipels Ziel war es, die Ausbreitung der Errungenschaften des Roten Wien – öffentliche, kostenlose Kindergärten, kommunalen Wohnbau oder kostenlose medizinische Versorgung – auf ganz Österreich zu verhindern.
14. Juli 1927: Der Freispruch
Nach den Wahlen verschärfte sich die Lage. Auch wegen des anstehenden Prozesses gegen die drei Schattendorfer Schützen. Ihnen wurde zwischen 5. und 14. Juli 1927 in Wien der Prozess gemacht, verteidigt wurden sie vom Nationalsozialisten Dr. Walter Riehl. Die Anklage lautete nicht auf Mord, sondern „Verbrechen der öffentlichen Gewalttätigkeit, Verbrechen der schweren körperlichen Beschädigung und Vorgehen gegen die körperliche Sicherheit.“
Am 14. Juli 1927 wurden die „Arbeitermörder“ freigesprochen und auf freien Fuß gesetzt. Die Justiz setzte damit die Tradition, dass Morde an ArbeiterInnen als Kavaliersdelikt behandelt wurden, fort. Denn schon in den Jahren davor endeten Mordprozesse immer wieder mit Geldstrafen, kurzen Haftstrafen oder gar Freisprüchen. Beispiele sind die Morde an dem sozialdemokratischen Betriebsrat der Semperit-Gummiwerke, Franz Birnecker, durch die gewaltbereite monarchistische Wehrformation Ostara oder an sozialdemokratischen Arbeitern wie dem Eisenbahnschaffner Karl Still oder dem Tischlerlehrling Rudolf Kovarik durch die Nationalsozialisten. Sozialdemokratische Täter wurden hingegen zu langen Haftstrafen verurteilt.
15. Juli 1927: Der Justizpalastbrand
Kaum war die Arbeiter-Zeitung mit dem Leitartikel „Die Mörder von Schattendorf freigesprochen“, erschienen, beschlossen in Wien die Betriebsräte der Städtischen Elektrizitätswerke – als Zeichen des Protests – den Strom für die Straßenbahnen abzuschalten.
Immer mehr empörte Menschen sammelten sich an diesem Freitag vor dem Justizpalast. Die Polizei, befehligt vom christlichsozialen Polizeichef Johann Schober, schoss in die Menge. Demonstranten drangen in den Justizpalast ein und zündeten ihn an. Am Abend waren 919 Menschen angezeigt, über 1.000 verletzt und 89 tot.
Am Tag darauf beschloss die Gewerkschaftskommission: Eisenbahner, Post-, Telegrafen- und Telefonangestellte stellen in ganz Österreich, bis auf weiteres, die Arbeit ein. Wiener ArbeiterInnen und Angestellte sollen nur am 16. Juli streiken. Die GewerkschafterInnen hofften, dass der Proteststreik mit wirtschaftlichen Mitteln den „Terror der Polizei“ brechen könnte – aber sie irrten sich.
Der Polizeichef schickte Polizisten mit Karabinern und aufgepflanzten Bajonetten los. In der Stadt knallten Schüsse. Das Parlament wurde vom Militär besetzt. Rund um den Justizpalast trocknete das Blut vom Vortag. Anklagen gegen die Demonstrierenden wurden vorbereitet, harmlose Delikte sollten schwer bestraft werden.
1927-1933: Die Radikalisierung
Nun waren die Gräben zwischen den beiden großen politischen Parteien unüberwindbar geworden.
Auf der einen Seite standen die freien Gewerkschaften, die auf die Einhaltung der ArbeiterInnenrechte und der Kollektivverträge achteten, und das „Linzer Programm“ der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Dies enthielt u. a. die Stärkung der betrieblichen Mitbestimmungsrechte, Gleichberechtigung der Frauen, Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Schutz von Schwangeren, unentgeltliches Schulwesen, Förderung von Volksbildung, gemeinnütziger Wohnbau und den Aufruf zum Klassenkampf – von den politischen Gegnern wurde es als Affront gesehen.
Auf der anderen Seite standen die Rechten. Die Heimwehren erfuhren einen signifikanten Aufschwung, von Industriellen finanzierte „Unabhängige Gewerkschaften“ sollten den „roten Betriebsterror“ brechen. Der deutschnationale Antisemit Walter Pfrimer bereitete den schließlich gescheiterten Marsch auf Wien vor, die faschistischen Heimwehren schworen den „Korneuburger Eid“ und wollten die Macht im Staat ergreifen.
Die Radikalisierung passierte in der Zeit einer neuen Weltwirtschaftskrise, die die Arbeitslosenzahlen emporschnellen ließ. Die christlichsoziale Regierung antwortete mit Steuererhöhungen und Sparmaßnahmen – alles auf Kosten der ArbeiterInnen.
4. März 1933: Die Geschäftsordnungskrise
Am 1. März 1933 streikten die Eisenbahner gegen die verzögerte Auszahlung der Märzgehälter. Die regierenden Christlichsozialen verhängten Strafen über die Streikenden wie Lohnkürzungen und Suspendierungen.
Die freien Gewerkschaften protestierten dagegen, und schließlich wurde eine Sondersitzung im Parlament am 4. März 1933 einberufen, um über die Strafmaßnahmen abzustimmen. Sie endete mit dem Rücktritt der drei Nationalratsvorsitzenden und das Parlament ging verhandlungsunfähig auseinander. Die Geschäftsordnung sah dies nicht vor, aber es hätte leicht behoben werden können. Der damalige christlichsoziale Bundeskanzler, Engelbert Dollfuß, sah aber seine Chance und unterband durch Einsatz der Exekutive ein neuerliches Zusammentreten aller gewählten Nationalratsabgeordneten.
Dollfuß erließ schnell ein Versammlungsverbot, stellte die Presse unter Zensur und reaktivierte das „Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz“ aus dem Jahr 1917 – und bereitete damit den Austrofaschismus vor. Die Freien Gewerkschaften gingen dagegen auf die Straße, warnten vor dem Faschismus, wusste man doch genau, was dieser in Deutschland anrichtete: Verbot der Gewerkschaften, Antisemitismus, Verfolgung von Andersdenkenden.
12. Februar 1934: Die Februarkämpfe
In den frühen Morgenstunden wollte die Polizei in Linz das Parteiheim der Sozialdemokraten nach Waffen durchsuchen und stieß auf Widerstand. Der Republikanische Schutzbund eröffnete das Feuer. Die Meldung verbreitete sich schnell. In Wien und in Industrieorten griffen Antifaschisten zu den Waffen: für Freiheit, für Demokratie und betriebliche Mitbestimmung. Sie wurden vom Militär, von Polizisten und der Heimwehr niedergeschossen. Nach fünf Tagen unterlagen sie, der Kampf der ArbeiterInnen um Demokratie und Freiheit war verloren.
Sofort zeigten die siegreichen Faschisten ihr hässliches Gesicht: Verbot der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und der freien Gewerkschaften sowie Einzug ihrer Vermögen. Dem sozialdemokratischen oder kommunistischen Lager zugerechnete BetriebsrätInnen verloren ihr Mandat und damit die ArbeiterInnen und Angestellten ihr Mitbestimmungsrecht in den Betrieben.
Die Lage schien aussichtslos und die Austrofaschisten übermächtig. Ihre Mittel waren Unterdrückung, Überwachung, Angst, Aussetzung des Rechtsstaates und Massenverhaftungen. Die Antwort der nun illegalen Freien GewerkschafterInnen war Widerstand. Sie trafen sich heimlich in Wohnungen, in Kellern oder in Hinterzimmern von Kaffeehäusern, gründeten illegale Gewerkschaften und planten Aktionen. Sie griffen zu altbewährten, nun aber verbotenen Mitteln: Boykotts, Streiks und eigene Zeitungen. Doch, obwohl die GewerkschafterInnen ihr Leben einsetzten, konnten sie die Austrofaschisten nicht entmachten und den Nationalsozialismus nicht aufhalten.
Damit dies nie wieder geschieht, kämpft der ÖGB seit 1945 für ein Österreich, in dem Faschismus, Rassismus, Sexismus und Diskriminierung keinen Platz haben.
Falls du uns bei diesem Kampf unterstützen willst, werde jetzt Gewerkschaftsmitglied!