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Absolventinnen der Gewerkschaftsschule 1959 beim Hueberhaus
Absolventinnen der Gewerkschaftsschule 1959 ÖGB

Gewerkschaftsgeschichte

Gewerkschaftsschulen – Energiezentren des gewerkschaftlichen Lebens

Von der Idee “Bildung für alle” bis zu den Gewerkschaftsschulen

Gewerkschaftsschulen – Energiezentren des gewerkschaftlichen Lebens

Von der Idee “Bildung für alle” bis zu den Gewerkschaftsschulen

Zwischen dem ersten Lehrgang der Gewerkschaftsschule im November 1926 und dem Lehrgang im Jahr 2022 liegen nicht nur fast 100 Jahre, sondern auch gesellschaftliche und politische Umbrüche, ein Weltkrieg, Wirtschaftskrisen, die Corona-Pandemie und eine vollkommen veränderte Arbeitswelt. Gleich geblieben ist hingegen das Ziel der Gewerkschaftsschule, FunktionärInnen und Gewerkschaftsmitgliedern das geistige Rüstzeug zu vermitteln, damit sie ihre Aufgaben als ArbeitnehmervertreterInnen bestmöglich erledigen können. Nur die pädagogischen Ansätze und die Inhalte wandelten sich über die Jahre.

Bildung für alle

Am Anfang der Geschichte der Gewerkschaftsschulen stand Mitte des 19. Jahrhunderts die Idee, dass nicht nur Eliten Zugang zu Bildungseinrichtungen haben sollten, sondern auch ArbeiterInnen. Denn deren Bildungsweg endete meist mit dem Abschluss der Volksschule.

Das wollte der „Radikal-Liberale Verein“ für die FabrikarbeiterInnen und der Buchbindergeselle Friedrich Sander für die Handwerksgesellen im Revolutionsjahr 1848 ändern. Sander gründete den „Ersten Allgemeinen Arbeiterverein“ mit den zentralen Zielen „Belehrung durch leicht fassliche Vorträge“ und „Unterhaltung in würdiger, belehrender Weise“. Die beiden Vereine, wie viele andere auch, wurden nach der Niederschlagung der Revolution aufgelöst.

Gründungsfoto des Arbeiterbildungsvereins Gumpendorf mit Bannern, 1867
Arbeiterbildungsverein Gumpendorf, 1867 VGA - Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung

Rüstzeug für Verbesserungen

Nicht aufgelöst wurde allerdings die Idee der ArbeiterInnenbildung. Im Jahr 1864 formierte sich der „Fortbildungsverein für Buchdrucker“ mit dem Ziel der fachlichen Weiterbildung der Mitglieder. Im Jahr 1867 dann der „Arbeiterbildungsverein Gumpendorf“ mit dem Ziel, ArbeiterInnen durch Vermittlung von Wissen, Bildung und Fachkenntnisse das Rüstzeug zu geben, ihre politische und wirtschaftliche Lage aus eigener Kraft zu verbessern.

Die Blumenmacherin Albertine Moseberg gründete 1870 den ersten Arbeiterinnen-Bildungsverein, der sich für die Unabhängigkeit der Frau, gleichen Lohn für gleiche Arbeit einsetzte und, dass die Lebenssituation der Arbeiterinnen so verbessert werden solle, dass sie sich als Menschen und nicht als Sklavinnen fühlen können. Diese Vereine waren nur einige von den 237 Arbeitervereinen in Österreich-Ungarn.

Gewerkschaftliche Bildung

Auch die junge Gewerkschaftskommission setzte sich mit Bildungskonzepten auseinander und organisierte Vorträge zu Themen wie zum Beispiel Taktik der Gewerkschaften bei Lohnkämpfen, Arbeitsschutz, Arbeitsverträgen und Kampfmittel der Unternehmer gegen die Gewerkschaften sowie Bildungskurse.

Im späten 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Landschaft der ArbeiterInnenbildung zerstückelt. Neben den Gewerkschaftsschulungen gab es auch die vom Verein Zukunft gegründete Wiener Arbeiterschule und zahlreiche Bildungsangebote der politischen Parteien.

Nach dem Ersten Weltkrieg entstanden weitere Bildungsmöglichkeiten, wie die Volkshochschulen. Es gab ein umfangreiches Angebot an Vorträgen, Kursen, Funktionärs- und Betriebsräteschulen.

Statistik der Gewerkschaftsschulen Arbeit und Wirtschaft 1931

Braucht es Gewerkschaftsschulen?

Der Bildungsfunktionär Richard Wagner fragte in einem Artikel im Jahr 1926 „Braucht es Gewerkschaftsschulen“ und gab auch gleich die eindeutige Antwort: Ja. Er hatte aber erkannt, dass bisher alles nur „Zufallsbildung“ sei und “oft so kunterbunt einhergeht, dass man schon ein tüchtig trainiertes Hirn, einen geübten, ordnenden und gliedernden Verstand braucht, um das beziehungslose Nebeneinander der vielen Eindrücke und Gedanken in fruchtbare Ordnung zu bringen.”

Wagner schlug eine systematische Ausbildung vor und forderte, dass an Stelle der Tradition Wissenschaft treten müsse. Die jungen GewerkschafterInnen sollten alle geistigen Werkzeuge erhalten, um Kampf- und Organisationsarbeit leisten zu können. Er legte auch gleich einen Vorschlag zur Ausgestaltung der Gewerkschaftsschule vor, die dreijährige Ausbildung sollte von der Wissensvermittlung zur selbstständigen geistigen Arbeit unter Anleitung aufsteigen.

Eröffnung der ersten Gewerkschaftsschule

Ende November 1926 war es dann so weit. Der erste Lehrgang in der Wiener Gewerkschaftsschule begann. Der Kern der Schulung war die wirtschaftliche, sozialpolitische und gewerkschaftliche Wissensbildung in Form von Vorträgen. Mit Übungen und Veranstaltungen wurde das Gelernte vertieft. Dazu kamen noch schriftliche Hausarbeiten über erlebnisnahe Themen als Konzentrations- und Aufsatzübung sowie wissenschaftliche Führungen und eine Studienreise durch Österreich.

Für die jungen GewerkschafterInnen waren die Anforderungen hoch und das resultierte in hohen Ausfallsquoten. Nichtsdestotrotz erhielten bis zum Jahr 1933 bereits 90 SchülerInnen ihr Abschlusszertifikat.

ÖGB-Bildungssekretär Franz Senghofer spricht anlässlich der 50 Jahre Gewerkschaftsschulen Feierlichkeiten, 1976
ÖGB-Bildungssekretär Franz Senghofer 1976 ÖGB

Wiederauferstehen der Gewerkschaftsschulen 

Mit dem Verbot der Freien Gewerkschaften nach den Februarkämpfen 1934 mussten auch die Gewerkschaftsschulen schließen. Aber kaum war der Austrofaschismus und der Zweite Weltkrieg überstanden, nahm Franz Senghofer die Bildungsarbeit im ÖGB Ende 1945 auf.

Bald gab es wieder Internatsschulungen und Zentralkurse und ab Oktober 1947 auch die Wiener Gewerkschaftsschule. Prominente Vortragende unterrichteten die SchülerInnen, etwa in Fremdsprachen, Allgemeinwissen, Arbeitsrecht oder Gewerkschaftskunde. Zudem fanden Themenabende und auch die Studienreisen wieder statt. Das Ziel war es, ein gründliches Elementarwissen zu vermitteln und somit den Teilnehmenden das Rüstzeug für ihre Aufgaben als ArbeitnehmervertreterInnen zu geben.

In weiterer Folge wurden dann auch die Gewerkschaftsschulen in den Bundesländern gegründet: 1949 in der Steiermark, 1962 in Niederösterreich, 1963 in Oberösterreich, 1964 in Kärnten und 1974 in Salzburg.

Tagesmutter mit Kindern in Innsbruck, 1960er-Jahre
Tagesmutter in Innsbruck 1960er-Jahre ÖGB

Demokratie, Gleichberechtigung und globales Handeln

Die Inhalte, die Methodik und die Didaktik änderten sich über die Jahre. In der unmittelbaren Nachkriegszeit lag der Fokus auf der Vermittlung der Werte der Demokratie. In den 1960er-Jahren war eines der Hauptthemen das betriebliche Mitspracherecht und in den 1970er-Jahren kamen internationale Inhalte dazu.

Mit der ersten Frau als Leiterin des Referats der ÖGB-Bildung, Irmgard Schmidleithner, standen erstmals Frauenthemen am Stundenplan wie zum Beispiel: Gleichberechtigung, Partnerschaft- und Arbeitswelt oder die Frau in der Arbeitswelt.

Seither ist eine Vielzahl neuer Fächer dazugekommen, wie praktische Gewerkschaftsarbeit, Präsentationstechnik, Persönlichkeitstraining, Integration, Antidiskriminierung, Gender-Mainstreaming oder globales Handeln.

Teamwork in der Gewerkschaftsschule
Gewerkschaftsschule 2021 ÖGB

Moderne Wissensvermittlung

Aber nicht nur die Unterrichtsfächer veränderten sich, sondern auch die Vermittlung der Inhalte. Statt alleinigem Lernen wurden Gruppenarbeiten verstärkt. Statt Frontalvorträgen gab es partizipative Vermittlungsmethoden, statt möglichst viel zu lernen wurde nun exemplarisch gelernt.

Zwischen 2018 und 2019 kam es abermals zu einer Neuausrichtung. Seither wird verstärkt auf praxisnahes Lernen gesetzt, das bedeutet, die Erfahrungen der Teilnehmenden werden aktiv in die Lerneinheiten geholt, diskutiert, Gemeinsamkeiten gefunden und Unterschiede aufgearbeitet.

Mit Sabine Letz übernahm erstmals eine Diplom-Pädagogin die Verantwortung für gewerkschaftliche Bildung. Unter ihrer Ägide wurde das gewerkschaftliche Bildungssystem und somit auch die Gewerkschaftsschule systematisiert und ein altes Ziel neu definiert: Lebenslanges Lernen.

Das Hauptaugenmerk in der Ausbildung liegt seither auf der stärkeren Vermittlung der grundlegenden gewerkschaftlichen Werte: Solidarität, Mitbestimmung, gerechte Verteilung und Intensivierung der politischen Bildung.

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