Geschichte
Verfolgt, verhaftet, ermordet – GewerkschafterInnen in der Nazizeit
Eine Geschichte vom frühen Widerstand bis zum Neuanfang 1945
Das erste österreichische Opfer der Nationalsozialisten war ein Gewerkschafter. Im Februar 1923 schossen Mitglieder der paramilitärischen Wehrformation „Ostara“ den Betriebsrat Franz Birnecker nieder – er war das erste von vielen Opfern politischer Gewalttaten während der Ersten Republik. Mit dem Erstarken des Faschismus eskalierte die Gewalt und mündete schließlich in den Februarkämpfen 1934, die mit dem Verbot der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) und den freien Gewerkschaften endeten. Danach begann die Geschichte der GewerkschafterInnen im Widerstand, ihrer Verfolgung, Verhaftung und Ermordung.
Zuerst leisteten sie Widerstand gegen die Austrofaschisten und nach dem sogenannten „Anschluss“ im März 1938 gegen die Nationalsozialisten. Jene, die erwischt wurden, klagte der Staat an und verurteilte sie zu langen Haftstrafen. Andere wurden von den Nationalsozialisten „präventiv“ verhaftet und vor Gericht gestellt, zu längjährigen Haftstrafen oder zum Tode verurteilt oder in Konzentrationslager gesteckt, wo sie starben. Die Liste der Opfer ist lang.
KZ-Überlebender und Zeitzeuge, Marko Feingold, spricht über die dramatischen Tage vor der Befreiung der Konzentrationslager.
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WIDERSTAND
Während des Nationalsozialismus WiderstandskämpferIn zu sein, war lebensgefährlich. So bezahlte etwa der Sekretär der Freien Gewerkschaft der Industrieangestellten, Johann Riedl, mit seinem Leben. Er wurde wegen Vorbereitung zum “Hochverrat, Wehrkraftzersetzung, Feindbegünstigung und illegaler gewerkschaftlicher Tätigkeit” im September 1943 hingerichtet. Er hatte an Organisationsbesprechungen der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) teilgenommen und ein „wehrkraftzersetzendes Flugblatt“ entworfen.
Rudolfine Muhr
Trotz der drakonischen Strafen und der Angst um das eigene Leben und das ihrer Familien, machten WiderstandskämpferInnen weiter: etwa Rudolfine Muhr. Sie war Metallgewerkschafterin und Betriebsrätin aus Wien. Bereits im austrofaschistischen Regime war sie im Widerstand gewesen. Während der NS-Zeit wurde sie von der Gestapo mehrfach verhaftet; trotzdem machte sie weiter, sammelte im Untergrund Spenden, kaufte im – streng verbotenen – Schleichhandel Lebensmittel und schickte diese in Konzentrationslager – an die sozialdemokratischen PolitikerInnen Roman Felleis, Helene Potetz und Rosa Jochmann sowie die Gewerkschafter Franz Rauscher und Franz Olah. Nach Kriegsende arbeitete sie bei den ÖBB, war SPÖ-Gemeinderätin und blieb Gewerkschaftsfunktionärin.
Agnes Promocic
Agnes Primocic
Wer nichts gegen die Tyrannei unternimmt, erklärt sich mit ihr einverstanden.
Auch die Tabakarbeiterin Agnes Primocic war mehrmals von der Gestapo verhaftet worden, sie wurde gefoltert und wochenlang eingesperrt. Einer Deportation entkam sie nur, weil ihr Mann und ihr Sohn an der Front kämpften. 1943 verhalf sie dem Widerstandskämpfer Sepp Plieseis zur Flucht aus dem KZ-Außenlager in Hallein. Während der Vorbereitungen zu weiteren Fluchthilfen wurde sie im Jahr 1944 abermals verhaftet und für vier Wochen eingesperrt – um nach ihrer Entlassung sofort wieder Fluchthilfe zu leisten. Noch kurz vor Kriegsende rettete sie 18 KZ-Häftlinge vor der Erschießung. Nach Kriegsende saß Primocic im paritätisch besetzten Gemeinderat von Hallein und war zuständig für die Fürsorge. Bis an ihr Lebensende im Jahr 2007 blieb sie eine stetige Mahnerin gegen den Faschismus.
Wilhelmine Moik
Wilhelmine Moik
Die erste Frauensekretärin des Bundes der freien Gewerkschaften, Wilhelmine Moik, war eine der Angeklagten im ersten Prozess des Volksgerichtshofs gegen FunktionärInnen der Widerstandsgruppe Revolutionäre Sozialisten und der Sozialistischen Arbeiterhilfe im Juni 1939. Sie war seit 14. September 1938 in Untersuchungshaft und befand sich in den Jahren 1934, 1937, 1938 bis 1941 und 1944 in Haft. Sie und die Mitangeklagten wurden beschuldigt, zwischen März und Juli 1938 gemeinschaftlich und hochverräterisch mit Gewalt die Verfassung des Dritten Reichs abzuändern. Moik wurde vorgeworfen, Gelder aus der illegalen Kasse der Sozialistischen Arbeiterhilfe als Unterstützungszahlungen an Angehörige politischer Gefangener weiterzuleiten. Sie wurde zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Sie überlebte und begann unmittelbar nach Kriegsende mit dem Aufbau der Frauenorganisation im ÖGB.
Käthe Leichter
KONZENTRATIONSLAGER
Die Liste der in Konzentrationslagern ermordeten GewerkschafterInnen und MitarbeiterInnen der Arbeiterkammer ist lang:
- die Gründerin und Leiterin des Frauenreferats der Arbeiterkammer, Käthe Leichter, ist im Jahr 1942 im KZ Ravensburg ermordet worden;
- der Obmann der Gewerkschaft der Chemiearbeiter Julius Weiß wurde im KZ Buchenwald schwer misshandelt und erlag den dadurch verursachten Verletzungen;
- Viktor Stein, Redakteur mehrerer Gewerkschaftszeitungen, wurde schon 1938 von den Nazis wegen „Hochverrats“ angezeigt; nach 15 Monaten Untersuchungshaft wurde er zwar freigesprochen, aber bereits beim Verlassen des Landesgerichts neuerlich verhaftet und ins KZ Buchenwald deportiert. Er verstarb im Jahr 1940 im KZ Sachsenhausen.
Aber nicht nur Vertreter der sozialdemokratischen Gewerkschaften wurden deportiert und ermordet: Johann Staud, Präsident der austrofaschistischen Einheitsgewerkschaft, wurde bereits am 12. März, am Tag des „Anschlusses“, verhaftet und im sogenannten „Prominentenexpress“ mit mehr 100 anderen politischen Persönlichkeiten der Ersten Republik nach Dachau deportiert. Er starb im Oktober 1939 in Flossenbürg. (Weitere Namen siehe Infokasten am Ende.)
Rosa Jochmann
Rosa Jochmann
Die Gewerkschaftssekretärin des Chemieverbandes und sozialdemokratische Politikerin Rosa Jochmann war im August 1939 von der Gestapo verhaftet worden und im März 1940 mit dem Vermerk „Rückkehr unerwünscht“ ins Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück deportiert worden. Sie hatte sechs Monate Dunkelhaft mit Essensentzug und Zwangsarbeit überlebt und mitansehen müssen, wie Mithäftlinge misshandelt und ermordet wurden.
Wie können wir jemals vergessen, was wir in den Konzentrationslagern gesehen haben.
Mit der Befreiung der Konzentrationslager durch die Alliierten war die Tortur aber noch nicht vorbei: Nachdem sowjetischen Truppen das KZ befreit hatten, wurden die norwegischen und dänischen Häftlinge von den „Weißen Bussen“ des schwedischen Roten Kreuzes abgeholt und in ihre Heimatländer gebracht; die Österreicherinnen hingegen warteten vergeblich auf eine Rückholung. Also machten sich Jochmann und ihre Lagergefährtin, die kommunistische Widerstandskämpferin Friederike Sedlaček, selbst auf den Weg nach Wien, um für die Mitgefangenen die Heimreise zu organisieren, was letztlich auch gelang. Rosa Jochmann setzte nach ihrer Rückkehr ihre politische Tätigkeit fort. Sie war Mitglied des SPÖ-Parteivorstandes, Nationalratsabgeordnete und SPÖ-Bundesfrauenvorsitzende. Außerdem engagierte sie sich bis zu ihrem Tod 1994 für die Opfer des Faschismus.
Karl Mantler
Karl Mantler
Auch der Leiter des gewerkschaftlichen Widerstands während des Austrofaschismus, Karl Mantler, wurde bei der Verhaftungswelle vor Kriegsbeginn im August 1939 gefangen genommen und ins Konzentrationslager deportiert. Nach der Befreiung des KZ Buchenwald waren er und seine Mitgefangenen an der russisch-amerikanischen Zonengrenze aufgehalten worden, und als die Amerikaner sie zurück ins KZ schicken wollten, flüchtete er. Mit Hilfe der internationalen Gewerkschaftsbewegung erhielt er ein Visum für die Schweiz. Er kehrte im November 1945 nach Wien zurück und wurde nur wenige Tage später provisorischer Vorsitzender der Gewerkschaft der Lebens- und Genussmittelarbeiter.
Josef Hindels
EXIL
Einige GewerkschafterInnen waren schon nach den Februarkämpfen 1934 ins Exil gegangen, andere nach dem sogenannten „Anschluss“ im März 1938. Viele von ihnen waren überzeugt, dass sich das nationalsozialistische Regime nicht lange halten würde und engagierten sich im Ausland bereits für den Wiederaufbau Österreichs und der freien Gewerkschaften. Josef Hindels etwa, Mitglied des Zentralvereins der kaufmännischen Angestellten und Widerstandskämpfer, emigrierte nach Schweden und war dort Mitarbeiter einer Gruppe der österreichischen Gewerkschafter. In dieser Gruppe wurde beschlossen, dass es im „neuen“ Österreich keine Richtungsgewerkschaften mehr geben dürfe: Statt nach politischen Ansichten organisierte Gewerkschaften sollte es einen einheitlichen und überparteilichen Gewerkschaftsbund geben.
Franz Novy
Der Baugewerkschafter Franz Novy flüchtete zuerst in die Tschechoslowakei, von dort nach Schweden und schließlich nach London; er war dort in der Exilbewegung aktiv und wurde am 7. März 1943 zum Obmann des Austrian Labour Clubs gewählt. Hindels und Novy wollten nach Kriegsende so schnell wie möglich nach Österreich zurückkehren; Novy musste dies auf illegalem Weg erreichen: Anders als die Schweden verweigerten die Briten den Rückkehrwilligen die Ausreise. Sie begründeten dies mit der fehlenden Lebensmittelversorgung und der Wohnungsnot in der britischen Besatzungszone. Das hielt Novy nicht auf. Seine abenteuerliche Rückreise führte ihn über Paris nach Wien. Josef Hindels arbeitete nach seiner Rückkehr im ÖGB, war Zentralsekretär der Gewerkschaft der Privatangestellten und Autor. Franz Novy wurde Gemeinderat und Stadtrat für Bauangelegenheiten in Wien. Unter seiner Ägide entstanden große Wohnsiedlungen oder auch das Strandbad Gänsehäufel.
Karl Maisel
NACH DER RÜCKKEHR
Wäre es gelungen, die Beschäftigung aufrecht zu erhalten, den Menschen eine auskömmliche Lebenshaltung und ihre sozialen Rechte zu sichern, so wäre es weder zum Faschismus noch zum Krieg gekommen.
Die aus den Konzentrationslagern und dem Exil zurückgekehrten GewerkschafterInnen nahmen ihre Arbeit wieder auf, wo sie im Jahr 1934 geendet hatte, beteiligten sich am Wiederaufbau Österreichs, des Sozialstaats und der Gewerkschaften. Unter ihnen waren der Metallgewerkschafter und Sozialminister Karl Maisel, während dessen Amtszeit eine Vielzahl von Sozial- und Arbeitsgesetze entstanden: vom Betriebsrätegesetz über das Arbeiterurlaubsgesetz bis hin Opferfürsorgegesetz. Oder dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Privatangestellten, Friedrich Hillegeist, der neben Maisel als Vater des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (1955) gilt.
Seither hat der ÖGB eine Vielzahl von Meilensteinen gesetzt: Arbeitszeitverkürzungen und Urlaubsverlängerungen, Schutzbestimmungen für ArbeitnehmerInnen, Sozialgesetze sowie wirtschaftspolitische Maßnahmen und eine Kollektivvertragsabdeckung von 98 Prozent.
Auszug aus der Liste der in Konzentrationslagern ermordeten GewerkschafterInnen:
- Der Gewerkschaftssekretär Julius Bermann wurde im Jänner 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt ermordet.
- Der führende Funktionär des Handels- und Transportarbeiterverbandes, Johannes Pokorny, verstarb im Jahr 1940 an den Folgen der KZ-Haft.
- Der Ortsgruppenobmann der Metallarbeiter in Wien, Edmund Reisman, wurde im Dezember 1942 im KZ Auschwitz ermordet.