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Hundstorfer: Grundsatzrede

Die Grundsatzrede im Wortlaut

ÖGB-Präsident Rudolf Hundstorfer am 16. ÖGB-Bundeskongress

Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Hoher Gewerkschaftstag!

Nach den beiden Kongresstagen haben wir jetzt neue Statuten, neue Organe, eine neue Organisation. Aber egal wie der ÖGB organisiert ist - was zählt ist unsere Arbeit für unsere Mitglieder.

Im Interesse unserer Mitglieder werden wir, wie in der Vergangenheit, heute, morgen und in der Zukunft, eine Politik für die ArbeitnehmerInnen einfordern und dazu auch entsprechende Vorschläge und Konzepte unterbreiten, verhandeln, durchsetzen.

Wir werden uns dabei weder an der Zusammensetzung einer Regierung noch an parteipolitischen Interessen orientieren, sondern einzig und allein daran was für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Beste ist.

Nur so können wir neue Mitglieder werben. Nur wenn jene, die bereits Gewerkschaftsmitglieder sind, ihren Kolleginnen und Kollegen stolz sagen können, "das hat der ÖGB für uns durchgesetzt", werden wir auch neue Unterstützung bekommen. Und das brauchen wir, das wollen wir. Wir müssen wachsen, wachsen, wachsen.

Nicht nur aus finanziellen Gründen. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen eine starke Stimme, eine starke Interessenvertretung.

In der Sozialpolitik hat es in den vergangenen Jahren keine großen Fortschritte gegeben. Wir haben aber dennoch einiges im Sinne unserer Mitglieder erreicht:

In der Arbeitslosenversicherung haben wir die Abschaffung des Berufsschutzes und die Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen verhindert. Statt dessen haben wir erreicht, dass die Betreuung von Arbeitslosen verbessert wird und dass ein Entgeltschutz eingeführt wird, der verhindert, dass man besonders schlecht bezahlte Angebote annehmen muss.

Auch dass es Übergangsfristen für die neuen EU-Länder zum Schutz der Arbeitsmärkte auf beiden Seiten gibt, können wir als Erfolg verbuchen. Wir haben auch erreicht, dass diese Fristen heuer noch einmal verlängert wurden und auch die neuen EU-Mitglieder Rumänien und Bulgarien einbezogen werden. Jetzt werden wir uns dafür einsetzen, dass es im Pflegebereich seriöse und faire Lösungen der Probleme gibt - die Öffnung des heimischen Arbeitsmarktes im Pflegebereich hilft weder den Menschen bei uns, noch den Pflegerinnen und Pflegern, die aus anderen Ländern zu uns kommen, auf Dauer.

Wir konnten einer weiteren wichtigen Forderung des ÖGB zum Durchbruch verhelfen: dem passiven Wahlrecht zur Betriebsratswahl für alle Kolleginnen und Kollegen. Wir werden hier in nächster Zeit einen besonderen Schwerpunkt setzen. Denn das ist eine große Chance, zusätzliche Betriebsratskörperschaften in bisher nicht organisierten Betrieben zu gründen und Mitglieder in neuen Zielgruppen zu werben.

Erfolge gab es auch in einigen anderen Bereichen: Beispielsweise wurden schlimmere Einschnitte im Pensionssystem verhindert oder die Korrektur der arbeitnehmerfeindlichen EU-Dienstleistungsrichtlinie erreicht und damit Lohn- und Sozialdumping verhindert.

Das neue Regierungsprogramm geht zwar nach sechs Jahren wieder mehr auf die Interessen der ArbeitnehmerInnen ein und verspricht eine Trendwende. Unsere Erwartungen erfüllt es aber dennoch nicht zur Gänze.

Unsere Aufgabe ist es, die Umsetzung unserer Forderungen voranzutreiben, die die Regierung aufgegriffen hat: Beispielsweise die sozialrechtliche Absicherung Freier Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer oder beschäftigungswirksame Investitionen in Infrastruktur.

Unsere Aufgabe ist es aber auch, jene Punkte einzufordern, die vergessen wurden, die als unfinanzierbar zurückgestellt wurden oder die den Interessen der starken Wirtschafts- und Kapital-Lobby zum Opfer gefallen sind.

Die Programme, die uns dabei Wegweiser sind, habt ihr heute beschlossen. Sie zeigen, dass wir uns den Herausforderungen der Zukunft stellen, dass wir Visionen haben, dass wir neue und innovative Lösungen anbieten können. Und dass wir nicht nur Forderungen, sondern auch Finanzierungsvorschläge zu bieten haben. Ich möchte euch allen für eure Ideen, eure Mitarbeit dabei, danken.
 
Liebe Kolleginnen, Liebe Kollegen!

Wir brauchen diese Ideen. Wir brauchen die Vorschläge, die Programme. Wir alle gemeinsam müssen in allen Bereichen für die Umsetzung eintreten. Verhandeln, überzeugen, kämpfen!

Mit allen einer starken Gewerkschaftsbewegung zur Verfügung stehenden Mitteln. Und macht euch keine Sorgen. Wir haben die nötigen Mittel!

Wir haben die MitarbeiterInnen und FunktionärInnen, die unsere gemeinsamen Anliegen überzeugend argumentieren und geschickt verhandeln können. Wir haben die Organisationstalente, die in kürzester Zeit öffentlichkeitswirksame Aktionen auf die Beine stellen.

Wir haben die Kontakte zur Zivilgesellschaft, zu den NGO, um für wichtige Anliegen Verbündete zu gewinnen.

Und auch das muss gesagt werden - nicht als Drohung sondern als Feststellung: Wir haben die Möglichkeit im Notfall - wenn es wirklich wieder einmal hart auf hart geht - jeden Streik durchzuhalten.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!

Alle arbeitenden Menschen in Österreich müssen durch das Arbeitsrecht und Kollektivverträge geschützt werden. Das heißt: Mindestlohn, Kündigungsschutz, ArbeitnehmerInnenschutz für alle Erwerbstätigen. Das heißt: keine Beschäftigten zweiter Klasse mehr. Wir haben bei den LeiharbeiterInnen gezeigt, dass das möglich ist. Wir werden das auch für die atypisch Beschäftigten durchsetzen. Konzepte dafür haben wir heute vorgelegt. Wir werden sie umsetzen.

In der Kollektivvertragspolitik haben die Gewerkschaften viel erreicht. Der bekannte Universitätsprofessor Franz Traxler schrieb vor Kurzem: "In kollektivvertraglicher Hinsicht weisen die österreichischen Gewerkschaften insgesamt eine hervorragende Bilanz auf. Flächendeckende Kollektivvertragsabschlüsse tragen unter anderem zu Beschäftigung, Preisstabilität und sozialem Frieden bei."

Wir ruhen uns aber nicht auf diesen Lorbeeren aus, denn viele Aufgaben stehen noch vor uns: Die Flucht aus dem Kollektivvertrag muss durch klarere gesetzliche Bestimmungen verhindert werden. Denn nicht nur durch die Beschäftigung Atypischer entziehen sich immer mehr ArbeitgeberInnen ihren kollektivvertraglichen Pflichten, sondern auch dadurch, dass sie einfach die Gewerbeberechtigung wechseln. Das müssen wir verhindern, denn sonst verhandeln wir zwar tolle Kollektivverträge, die aber für niemanden mehr gelten.

Auch die Entwicklung der Einkommen von Frauen haben wir mit unserer Lohn- und Gehaltspolitik positiv beeinflusst. Trotzdem verdienen Frauen in der Praxis noch immer weniger als ihre männlichen Kollegen. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" kein leeres Schlagwort bleibt. Jeder und jede hat das Recht, für harte Arbeit ein Einkommen zu beziehen, von dem er und sie auch leben kann.

Unter diesem Gesichtspunkt ist auch die laufende Arbeitszeitdiskussion zu betrachten. Ständig wird über weitere Flexibilisierung geredet, die nur dazu dient, die Einkommen der ArbeitnehmerInnen zu kürzen. Wir müssen zuerst einmal dafür sorgen, dass geleistete Überstunden auch bezahlt werden. Verstöße gegen Arbeitszeitbestimmungen dürfen nicht weiter Kavaliersdelikte bleiben. Die derzeitigen Strafen sind lächerlich gering und wurden seit Jahren nicht erhöht.
 
Man kann gerne darüber reden, die Spielräume des Arbeitszeitgesetzes zu nutzen - aber  in einer Form, die auch den ArbeitnehmerInnen nützt. Dass das möglich ist, haben wir, habt ihr, in vielen Kollektivverträgen bewiesen.

Das gibt mir ein wichtiges Stichwort: Dass die Arbeitszeiten weiterhin in den Kollektivverträgen geregelt werden, steht auch im Programm der neuen Regierung vollkommen außer Frage. Alle, die anderes behaupten, können das dort gerne nachlesen. Die Regierung war so klug, die Vorschläge der Sozialpartner auch in diesem Punkt aufzugreifen. Und ich kann von dieser Stelle aus noch einmal beruhigen: Es gehen keine Überstundenzuschläge verloren. Arbeitszeit bleibt Sache der Kollektivvertragspartner - Punkt.

Arbeitszeit heißt für immer mehr Menschen Teilzeitarbeit. Wenn wir wollen, dass Vollzeitarbeit und damit Vollzeiteinkommen die Regel bleibt, dann brauchen die Teilzeitbeschäftigten unsere volle Solidarität. Mehrarbeit von Teilzeitbeschäftigten muss teurer werden. Nur wenn für Mehrarbeit Zuschläge zu bezahlen sind wie für Überstunden, nur wenn Unternehmen für kurzfristige Arbeitszeitverschiebungen Zuschläge bezahlen müssen, werden wir dieses Problem in den Griff bekommen.

Hier ist der erste Schritt getan: Die neue Regierung hat unsere diesbezügliche Forderung aufgenommen. Nun müssen und werden wir gesetzliche Maßnahmen durchsetzten.

Liebe Kolleginnen, Liebe Kollegen!

Niedrige Einkommen sind leider nicht nur für Teilzeitbeschäftigte problematisch. Die Zahl der Armen und Armutsgefährdeten in Österreich steigt und steigt  - da werden wir nicht zusehen. Wir unterstützen daher die Einführung einer bedarfsorientierten Mindestsicherung. Dabei ist uns vollkommen bewusst, dass diese Mindestsicherung nicht alle Probleme löst.

Die beste Versicherung gegen Armut ist noch immer ein sicherer Arbeitsplatz. Wir werden die Regierung jeden Tag daran erinnern, Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit zu setzen.

Wir brauchen zusätzliche Investitionen in Infrastruktur, eine Lohnsteuersenkung bei kleinen und mittleren Einkommen, eine Erhöhung der Negativsteuer, mehr Kinderbetreuungseinrichtungen, wirksame Maßnahmen gegen Sozialbetrug durch organisierte Schwarzunternehmer, weniger Saisoniers, kurz gesagt Vollbeschäftigungspolitik: mehr Arbeitsplätze und bessere Arbeitsplätze! Arbeitsplätze, von denen man leben kann.

Zur Stärkung der Kaufkraft und zur Sicherung des Lebensstandards der Menschen brauchen wir die Steuerreform so schnell wie möglich. Die Regierung hat in ihrem Programm steuerliche Entlastung von kleinen und mittleren Einkommen auf 2009/2010 verschoben. Wir halten es aber für enorm wichtig, in diesem Bereich rasch zu handeln. Denn bei der letzten Steuerreform sind gerade diese Gruppen zu kurz gekommen.

In der Arbeitsmarktpolitik waren wir in der Vergangenheit ja schon erfolgreich: Es ist nur auf die Hartnäckigkeit des ÖGB zurückzuführen, dass die abgewählte Regierung bereit war, endlich Geld für aktive Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung zu stellen. Die neue Regierung wird diesen Weg fortsetzen.

Dadurch haben wir die Chance, unsere Forderungen umzusetzen und in Zukunft jedem jungen Menschen eine schulische oder betriebliche Ausbildung zu garantieren.

Wir werden keine Ruhe geben. Ziel gewerkschaftlicher Politik ist und bleibt Vollbeschäftigung. Das ist die aller beste Absicherung unserer Sozialsysteme. Das gilt für das Gesundheitssystem ebenso wie für das Pensionssystem.

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte bei dieser Gelegenheit ein paar Worte zur Sozialpartnerschaft sagen: Wir bekennen uns zu einer aktiven, professionellen Sozialpartnerschaft. Wir wollen keine Nebenregierung sein - aber auch kein Feigenblatt für ungeliebte Initiativen und auch keine Feuerwehr, die erst dann zum Einsatz kommt, wenn es brennt. Wir sind bereit, mutige Lösungen für die Zukunft zu erarbeiten.

Wir haben im vergangenen Herbst 60 Jahre Sozialpartnerschaft gefeiert. Diese 60 Jahre sind untrennbar mit 60 Jahren sozialem Fortschritt und Sicherheit verbunden. Die Erfolge bewirkten, dass wir international als Vorzeigemodell gelten.

Unsere Stärke setzt sich zusammen aus dem Wissen unserer Expertinnen und Experten, aus der Erfahrung aus der Praxis, aus der Idee der gleichberechtigten Partnerschaft sowie aus unserem Grundsatz, Konflikte im Gespräch, am grünen Tisch, anstatt auf der Straße zu lösen. Das sind die besten Zutaten für eine erfolgreiche Weiterentwicklung unseres Sozial- und Wirtschaftsystems.

Bei all dem Lob halte ich aber doch eines fest: Die Sozialpartnerschaft ist nicht das Allheilmittel. Wenn wir auf diesem Weg unsere Anliegen nicht durchsetzen können, dann werden wir uns auch in Zukunft anderswo Verbündete suchen und mit ihnen gemeinsam auf der Straße für unsere Sache kämpfen.

Aber zurück zur Finanzierung des Gesundheitssystems: Bis zu 50 Prozent aller Krankheiten sind arbeitsbedingt. Vielfach führt Stress am Arbeitsplatz zu Erkrankungen, vor allem bei Schichtarbeit. Aber auch körperliche Belastungen und gefährliche Arbeitsstoffe machen krank. Es gibt keinen vorbeugenden Schutz gegen Mobbing und Gewalt am Arbeitsplatz.

Der ÖGB wird sich mit Nachdruck für eine Modernisierung und Weiterentwicklung des ArbeitnehmerInnenschutzes auf nationaler und europäischer Gesetzesebene einsetzen! Der ÖGB hat erreicht, dass Teil des Regierungsprogramms ein Präventions- und Gesundheitsförderungsgesetz ist, das Prävention und Gesundheitsförderung in allen Lebensbereichen umsetzt.

Aber ein gutes Gesundheitssystem kostet Geld. Aus unserer Sicht sollen alle nach ihren Möglichkeiten beitragen. Wir wollen die Beitragsgrundlagen verbreitern. Das ist nämlich der einzige Weg, die Lohnnebenkosten zu senken, ohne Ansprüche von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu kürzen. Die Wertschöpfungsabgabe ist zweifellos die modernste, zukunftsträchtigste, vernünftigste - vor allem aber gerechtere - Form der Finanzierung.
 
Ein weiterer Beitrag zur gerechteren Finanzierung ist die Anhebung der Höchstbeitragsgrundlage. BezieherInnen von Spitzeneinkommen, die bisher keinen Krankenversicherungsbeitrag bezahlen, müssen auch Beiträge bezahlen. Nur so werden weitere Belastungen von kranken Menschen durch Selbstbehalte oder die Kürzung von Leistungen für Einkommensschwache verhindert. Wir werden hartnäckig dabei bleiben, diese wichtige Forderung umzusetzen!

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!

Wie hartnäckig und erfolgreich der ÖGB sein kann, zeigt sich in der Pensionsfrage. Wir haben mit Streiks und Demonstrationen drastische Pensionskürzungen verhindert. Die Maßnahmen, die die letzte Regierung beschlossen hat, sind schlimm genug. Man kann aber durchaus noch Reparaturen anbringen - das zeigt auch das Regierungsprogramm, in dem zumindest einmal die Hacklerregelung bis 2010 verlängert wird. Es ist uns außerdem gelungen, die neue Regierung dazu zu bringen, doppelte und dreifache Abschläge wieder abzuschaffen und Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, in Pension gehen zu lassen, anstatt sie in die Arbeitslosigkeit zu schicken. An weiteren Reparaturen werden wir in nächster Zeit mit voller Kraft arbeiten. Der ÖGB hat ja ein Pensionskonzept - die Österreichpension - erarbeitet, und es ist noch nicht zu spät, diese umzusetzen.

Auch in der Schwerarbeitsdiskussion ist nicht aller Tage Abend. Zwar ist die jetzt bestehende Regelung eine Verhöhnung aller schwer arbeitenden Menschen, denn nur wenige werden davon profitieren. Aber allein die Tatsache, dass es eine derartige Regelung gibt, ist ein Erfolg unserer Arbeit. Das gibt uns die Chance für Schwerarbeiterinnen und Schwerarbeiter in Zukunft Pensionen ohne doppelte und dreifache Abschläge durchzusetzen. Und diese Chance werden wir nutzen. Dafür werden wir kämpfen!

Dass die Regierung unsere weitergehenden Forderungen zur Verbesserung des Pensionssystems - vor allem die bessere Absicherung der Frauen - im Moment noch nicht erfüllt, soll uns nicht entmutigen. In dieser Frage haben wir drei Millionen arbeitende Menschen an unserer Seite. Diese Kraft werden wir nutzen!

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die solidarische Finanzierung des Gesundheitssystems, Lebensstandard sichernde Pensionen - das ist auch in Österreich leider nicht mehr selbstverständlich. Die rechtliche Absicherung des Sozialstaats ist daher unumgänglich. Wir haben im Zuge des Österreichkonvents mit der Wirtschaftskammer eine Sozialpartnervereinbarung über soziale Grundrechte in der Verfassung abgeschlossen. Die würde den Kollektivvertrag, die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, die Arbeiterkammer und die solidarische Finanzierung der Sozialsysteme verfassungsrechtlich absichern. Wir müssen dafür sorgen, dass sie auch Gesetz wird. Wir wollen soziale Grundrechte in der Verfassung.

Und nicht zuletzt fordern wir bessere Rahmenbedingungen für die allerwichtigsten MitkämpferInnen der Gewerkschaftsbewegung. Für die, die an der Front stehen, sozusagen. Für unsere Betriebsrätinnen und Betriebsräte, PersonalvertreterInnen, JugendvertrauensrätInnen und Behindertenvertrauenspersonen. Weil wie würde ohne sie - wie würde ohne euch - die Arbeitswelt in zehn Jahren aussehen?

Viele prophezeien uns ja amerikanische Verhältnisse. Drei Jobs um leben zu können, keine soziale Absicherung, keine ArbeitnehmerInnenrechte. Nehmen wir zum Beispiel den Urlaub: Bei uns gesetzlicher Anspruch auf fünf Wochen Mindesturlaub. Für US-amerikanische ArbeitnehmerInnen gibt es keinen gesetzlichen Anspruch. Wer Glück hat, arbeitet in einem gewerkschaftlich organisierten Unternehmen. Denn dann gibt es Urlaubsregelungen wenigstens über den KV, allerdings mit ungefähr folgendem Muster:
- kein Urlaub im ersten Jahr
- eine Woche vom zweiten bis zum zehnten Jahr
- drei Wochen vom elften bis zum achtzehnten Jahr.

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind der Willkür des Unternehmers ausgeliefert. So weit kommt es, wenn man denen glaubt, die vom freien Markt und freien Spiel der Kräfte sprechen. Wenn man jenen glaubt, die behaupten Schutzbestimmungen bevormunden die Beschäftigten. Die Menschen können dann wählen. Aber wie? Sie können sich dann aussuchen: Urlaub oder Krankenversicherung oder Pensionsversicherung.

Wir wollen aber eine andere Arbeitswelt!

Wir wollen Vollbeschäftigung, soziale Sicherheit, Einkommensgerechtigkeit, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, freier Bildungszugang, Chancengleichheit.

Wie erreichen wir das?

Der Sozialstaat ist ein positiver Standortfaktor und eine europäische Errungenschaft. Wenn wir ihn erhalten und verbessern wollen, müssen wir daher international denken und international handeln.

Ich bin für ein gemeinsames Europa, ich bin auch für eine verstärkte Integration der mittel- und osteuropäischen Länder.

Wir haben eine Verpflichtung, mit unseren Nachbarn gemeinsam den Weg in eine erfolgreiche europäische Zukunft zu gehen, denn nur gemeinsam können wir als Europa eine Wirtschaft mit mehr und besseren Jobs, mit Perspektiven für alle ArbeitnehmerInnen, die älteren und auch für unsere Jugend, erreichen.

Ein Europa mit sozialem Zusammenhalt, menschenwürdigen Arbeitsbedingungen, einer solidarischen Gesellschaft als Gegenmodell zum schrankenlosen Kapitalismus.

Diese Werte können wir nur gemeinsam voranbringen und da bleibt noch viel zu tun.

Die Kommission verfolgt weiter mit Duldung der nationalen Regierungen ihren Liberalisierungskurs. Wir müssen daher - auch um in der Zukunft stark zu sein - den Befürwortern des schrankenlosen Wettbewerbs weiterhin zeigen: Mit uns nicht!

Und wenn es notwendig ist, dann müssen wir wieder einen Kraftakt, wie er uns bei der Dienstleistungsrichtlinie gelungen ist, vollbringen.

Eng mit der Frage des sozialen Zusammenhalts ist jene des Standortwettbewerbs verbunden. Um die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes zu halten und die Abwanderung der Unternehmen zu verhindern, suggerieren uns Politik und Wirtschaft, müssen wir bereit sein Opfer zu bringen.

Argumentiert wird dies so: "Wenn diese Anpassungen nicht vorgenommen werden, dann können wir unseren Standort nicht halten. Es gibt einfach keine Alternative".

Immer neue Vorschläge werden präsentiert um die von den Gewerkschaften mühevoll erkämpften Rechte aufzuweichen und abzuschaffen. Dabei waren diese bisher kein Hindernis für das Ansteigen der Produktivität und des Wohlstands.

Selbst wenn in Europa wieder 50, 60 Stunden gearbeitet werden, wird es weltweit Standorte geben wo 70 oder 80 Stunden gearbeitet wird.

Es wird immer einen Standort geben der niedrigere Standards bietet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sagen wir nein zu diesem Standortwettbewerb! Lassen wir uns nicht in diesen erwiesenermaßen schädlichen Senkungswettlauf einspannen! Politik und Staat müssen den Markt regulieren, und nicht der Markt als Regulator der Staaten auftreten.

Hier wird der Internationale Gewerkschaftsbund wohl eine besondere Rolle spielen müssen. Und damit sind wir wohl bei einer der erfreulichsten internationalen Entwicklung der letzten Jahre.

Ich bin stolz, dass es uns gelungen ist, den historischen Gründungskongress des Internationalen Gewerkschaftsbundes nach Wien zu holen und sozusagen die Rolle als Geburtshelfer einer neuen, starken, globalen Gewerkschaftsorganisation zu übernehmen.

Das ist ein starkes Zeichen dafür, dass sich der ÖGB weltweit Ansehen und Anerkennung erworben hat und dieses internationale Vertrauen trotz des außerordentlich schwierigen Umfeldes im vergangen Jahr erhalten werden konnte.

Wenn wir auf internationaler Ebene stark sein wollen - und das wollen wir - dann müssen wir als ÖGB in Österreich stark sein. Betriebe organisieren, BelegschaftsvertreterInnen und BetriebsrätInnen zum Gewerkschaftsbeitritt überreden und besseres Service für sie bieten. Wir können das. Das hat die Betriebsratskampagne gezeigt, mit der es gelungen ist, über 1.700 neue Mitglieder aus dem Betriebsratsbereich zu gewinnen. Unsere Servicecenter bieten viele neue Leistungen für verschiedene Gruppen. Sie werden daher künftig in allen Bundesländern neben dem üblichen Beratungsangebot, Beratung für atypisch Beschäftigte, Mobbingopfer und andere neue Zielgruppen anbieten. Die gewerkschaftliche Arbeit wird durch Netzwerkarbeit, neue Plattformen und Zukunftswerkstätten modernisiert.

Alles steht und fällt aber mit unseren Mitgliederzahlen. Je stärker die Bewegung, desto schlagkräftiger sind wir.

Daher jetzt eine Bitte an jede und jeden von euch: Wenn ihr diesen Saal in wenigen Minuten verlassen werdet, tut das mit dem festen Vorsatz, noch in dieser Woche ein neues Mitglied zu werben. Und das darf jetzt kein Neujahrsvorsatz sein, der morgen vergessen ist. Vereinbaren wir gemeinsam hier und jetzt Folgendes: Alle werben innerhalb einer Woche zumindest ein neues Mitglied, und damit wir über unseren Erfolg besser berichten können, schickt ihr die Anmeldungen ausnahmsweise direkt an mein Büro.

Und jetzt bitte ich euch: Unterstützt den Start des neuen ÖGB mit mindestens einem neuen Mitglied!

Dann haben wir nächste Woche mindestens 1.000 neue Mitglieder.

Wir haben ein ambitioniertes Programm für die Zukunft. Viele Forderungen. Wir werden auch in Zukunft viel erreichen. Dafür müssen wir zusammenhalten. Wir werden zusammenhalten, wir werden unsere Programme im Interesse der ArbeitnehmerInnen umsetzen, durchsetzen, erkämpfen!