Gewerkschaftsgeschichte
Irmgard Schmidleithner: „Sie geben uns nichts freiwillig“
Ein Porträt der ehemaligen ÖGB-Frauenvorsitzenden, einer Frau mit ordentlichem Biss
Irmgard Schmidleithner wuchs als ältestes Kind in einer ArbeiterInnenfamilie auf, konnte als Mädchen keinen Beruf erlernen und wurde dennoch erfolgreich. Ihre Erfahrungen in der Familie und in der Arbeitswelt prägten sie und bestimmten ihre Forderungen, ihre Kämpfe und auch ihre Erfolge. Zuerst als Betriebsrätin, als ÖGB-Frauenvorsitzende in Oberösterreich (1980-1987), dann als Leiterin der ÖGB-Bildungsabteilung (1988-1991) und schließlich als ÖGB-Frauenvorsitzende (1991-1999) und ÖGB-Vizepräsidentin (1991-1995).
Die Wünsche der Menschen erfüllen
„Ich habe gelernt, dass die Männer uns nichts freiwillig geben,“ sagte Irmgard Schmidleithner in einem Interview im Jahr 1994. Diese Erfahrung machte sie bereits in Kindheitstagen. Sie war das erste von sieben Kindern einer ArbeiterInnenfamilie. Schon als Fünfjährige musste sie auf die jüngeren Geschwister aufpassen, wenn der Vater in der VOEST als Gußgießer arbeitete und die Mutter beim Bauern aushalf.
Während ihre Geschwister nach dem Essen nach draußen liefen und spielten, musste sie beim Aufräumen und Abwaschen helfen. Dies empfand sie ebenso als Ungerechtigkeit, wie dass sie als Mädchen keine Ausbildung machen durfte, ihre Brüder hingegen schon.
Dennoch, das Wichtigste für den Vater waren die Kinder. Er stellte seine eigenen Wünsche immer hinten an, verschob Freizeitaktivitäten auf die Pension. Als Schmidleithner nur zwei Jahre nach seiner Pensionierung an seinem Totenbett saß, dachte sie sich: „Es gibt so viele Menschen mit Wünschen, die sollen bessere Arbeitsbedingungen haben und ihre Wünsche nicht auf die Pension aufschieben müssen.” Die Erfahrungen in der Familie waren einer der Grundsteine für ihre Arbeit als Gewerkschafterin.
Frauenlöhne auch ohne eigene Lohnkategorie
Der nächste Grundstein für ihre Arbeit als Gewerkschafterin wurde während ihrer Zeit als Angestellte gelegt. Schmidleithner wurde nach ihrem Schulabschluss mit 15 Jahren als Anlernkraft in einen Metallbetrieb geschickt. Sie war aber bildungshungrig, besuchte die Gewerkschaftsschule und belegte neben der Arbeit Fortbildungskurse und wurde schließlich Lohnverrechnerin (1966-1980) und Betriebsrätin.
Als Lohnverrechnerin sah sie täglich, dass Frauen für die gleiche Leistung weniger Lohn als ihre Kollegen erhielten. Bis zur Verabschiedung des Gleichbehandlungsgesetzes im Jahr 1979 war dies sogar noch legal. Denn in den Kollektivverträgen standen Frauen- und Männerlöhne. Doch mit der Abschaffung der Kategorie „Frauenlöhne” entstanden wurden viel mehr Lohngruppen erschaffen, und Frauen waren meist in den unteren Stufen zu finden. „Ich habe bemerkt, dass sich Frauen schlechter verkaufen, viel seltener Gehaltserhöhungen verlangen als Männer,“ sagte Schmidleithner außerdem in einem Zeitungsinterview 1994.
Also übernahm sie es, für die Frauen zu verhandeln. Als ÖGB-Frauenvorsitzende drängte sie darauf, dass der kollektivvertraglichen Mindestlohn 12.000 Schilling (rund 875 Euro) betragen soll. Schließlich gab es im Jahr 1994 noch 290.000 Frauen, die weniger verdienten. Die Gewerkschaften engagierten sich und die Umsetzung gelang. Ein Schritt in Richtung finanzielle Unabhängigkeit und selbstbestimmtes Leben der Frauen war getan.
Emanzipation ist auch eine Bildungssache
Schmidleithner wusste auch, dass Weiterbildung ein wichtiger Baustein für ein besseres Leben ist. Im Jahr 1980 wurde Schmidleithner zur ÖGB-Landesfrauenvorsitzenden in Oberösterreich gewählt. Da hatte sie schon die kaufmännische Ausbildung im zweiten Bildungsweg absolviert und sollte im Jahr 1986 die Berufsreifeprüfung abgelegen, um an der Uni Linz Soziologie zu studieren.
Gleichzeitig verstand Schmidleithner als Mutter einer Tochter aber auch, dass es Frauen oft unmöglich war, auf wochenlange Seminare zu fahren. Dies lies ihr Zeitbudget als Mutter, Hausfrau, Nebenerwerbsbäuerin und Arbeiterin einfach nicht zu. Also organisierte sie kurzerhand Seminare während der Karwoche samt Kinderbetreuungsangebot. Ihre Kollegen lästerten, dass keine der Frauen kommen würde, wären sie doch mit Ostereierfärben beschäftigt. Sie irrten sich, die Seminare waren gut besucht. Außerdem gründete Schmidleithner Studienzirkel. Frauen organisierten diese nach ihren Zeitplänen und suchten sich auch die Inhalte aus.
Die Meisterin der Motivation
Ihr Engagement für die Weiterbildung von Frauen führte sie im Jahr 1988 nach Wien. Sie wurde als erste Frau Leiterin des Referats für Bildung, Freizeit und Kultur (heute VÖGB). Gleich zu Beginn zeigte sie die eklatante Unterrepräsentanz von Frauen auf allen Ebenen der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit auf. Als Gegenmaßnahme führte sie spezielle Kursangebote für Frauen ein und setzte auf den Stundenplan der Gewerkschaftsschulen Frauenthemen: Gleichberechtigung, Partnerschaft- und Arbeitswelt oder die Frau in der Arbeitswelt.
Bei diesen Stunden wurde neben Arbeiterinnengeschichte auch die Benachteiligung der Frauen in der Berufswelt, die geringeren Aufstiegschancen, die Einkommensschere und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz thematisiert.
Sie gründete auch den Kultur- und Bildungscocktail, bei denen mit Vorträgen, Musik-, Film- und Gedichtabenden die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung nähergebracht wurde
Besonders wichtig waren ihr aber die Seminare, bei denen Frauen Selbstbewusstsein vermittelt wurde. Sie freute sich über jede Frau, die ihr Licht nicht mehr unter das Scheffel stellte, sondern erfolgssicher auftrat. All dies brachte ihr den Ruf, eine Meisterin der Motivation zu sein.
Auf ihrem Weg als ÖGB-Frauenvorsitzende stieß sie dabei nicht immer auf Unterstützung, vor allem der Beistand der Männer hatte Grenzen. Schmidleithner sagte in einem Interview: „Manchmal war sie [Zusammenarbeit mit Männern] ausgezeichnet. Doch wenn es um ein Stück Macht ging, um gewisse Plätze, die Frauen einnehmen wollten, dann war es immer schwierig und oft unmöglich, Unterstützung zu bekommen.“
Frauentypische Benachteiligung
Ein Markenzeichen von Schmidleithner war, dass sie immer den direkten Kontakt zu Frauen suchte. „Ich wollte ja nicht vom Schreibtisch aus bestimmen, was für die Frauen wichtig ist,“ sagte sie in einem Interview.
Im Jänner 1991 wählten die Delegierten des 11. ÖGB-Frauenkongresses Schmidleitner wohl auch deshalb zur Nachfolgerin von Hilde Seiler als Frauenvorsitzende. Bei ihrer Antrittsrede zählte sie die vielen Diskriminierungen der Frauen in der Arbeitswelt auf: Frauen trifft Arbeitslosigkeit häufiger als Männer; „frauentypische“ Fähigkeiten wie Geduld, Ausdauer und Geschicklichkeit werden als natürliche Fertigkeiten angesehen und nicht bezahlt.
Jene, die typischerweise Männern zugerechnet werden, wie Körperkraft oder technischer Verstand, hingegen schon; Facharbeiterinnen verdienen bei gleicher Qualifikation um 36 Prozent weniger als ihre Kollegen; sexuelle Belästigung und fehlenden Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Es gab noch viel zu tun.
Ganz oben auf ihrer To-Do-Liste standen in den nächsten acht Jahren Gegenmaßnahmen zu Entscheidungen der GesetzgeberInnen: Zwei Sparpakete, die vor allem Frauen betrafen, die Aufhebung des Frauennachtarbeitsverbots, die Abschaffung des einkommensabhängigen Karenzgeldes und die Angleichung des Pensionsantrittsalters der Frauen an jenes der Männer.
Das Dreamteam: Johanna Dohnal und Irmgard Schmidleithner
Im Dezember 1990 hatte die Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, dass das ungleiche Pensionsantrittsalter von Frauen und Männern verfassungswidrig sei, die Frauen erschüttert. Weder die ÖGB-Frauen noch, andere Frauenorganisationen oder die damalige Frauenministerin Johanna Dohnal wollten diese Erkenntnis hinnehmen. Sie forderten, das gleiche Pensionsrecht für Frau und Mann nur bei völliger Gleichstellung der Frau in Arbeitswelt, Familie und Gesellschaft.
Daraufhin ackerten die Frauen gemeinsam mit einer Juristin der Arbeiterkammer alle relevanten Gesetze auf frauendiskriminierende Passagen durch, erstellten einen Forderungskatalog und sagten: „Erst wenn alle erfüllt sind, darf das Pensionsantrittsalter angeglichen werden.“ Verhandlungen mit den Sozialpartnern wurden aufgenommen, stockten aber immer wieder.
Darauf antworteten die Frauen mit Aktionismus und Hartnäckigkeit und sie waren erfolgreich, 1993 trat der Gleichbehandlungspakt in Kraft. Das Frauenpensionsantrittsalter wurde nicht wie ursprünglich geplant 1995, an das Männer angepasst, sondern erst ab 2024. Innerhalb kürzester Zeit verabschiedete der Nationalrat 15 Gesetzesnovellen im Sinne der Frauen. Aber ein großer Teil der Forderungen sind bis heute nicht umgesetzt.
Sprachrohr für jene ohne Lobby
Ein weiteres besonderes Anliegen von Schmidleithner war: die sozialrechtliche Absicherung von geringfügiger Beschäftigung, die vor allem Frauen betraf. Das brachte ihr den Ruf, eine Lobbyistin für jene zu sein, die keine haben. Sie war das Sprachrohr für Frauen, denen der Mut, die Zeit, die Eloquenz und auch Möglichkeiten fehlten, die Durchsetzung der Rechte selbst zu erkämpfen.
Acht Jahre lang war sie das Sprachrohr, nach außen und auch innerhalb des ÖGBs. Intern war sie als ÖGB-Vizepräsidentin an dem Präsidiumsbeschluss des ÖGB im Jahr 1995 beteiligt, der Frauen in Schlüsselpositionen bringen sollte. Etwas, das seither konsequent umgesetzt wurde, auch wenn es bisher noch keine ÖGB-Präsidentin gab.
Die Frau mit ordentlichem Biss
ZeitgenossInnen sagen über Schmidleithner, dass sie mit Hartnäckigkeit ihre Themen vertreten hat. Das brachte ihr den Ruf ein, eine „Frau mit ordentlich Biss“ zu sein. Sie sagt über sich selbst, „Wenn ich einmal von etwas überzeugt bin, gehe ich nicht mehr davon ab.“
Bis zu ihrem gesundheitsbedingten Ausscheiden im Jahr 1999 konnte sie so vieles für die Frauen erreichen.
Im Jahr 2022 erhielt Irmgard Schmidleithner für ihr Lebenswerk den Käthe-Leichter-Preis.