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Warschau. 1981. Herstellung von Propagandaplakaten für die Solidarność. Bruno Barbey / Magnum Photos / picturedesk.com

Polen

Vom Arbeiteraufstand zur Macht

Die Geschichte der Solidarność zeigt, wie Gewerkschaften eine Gesellschaft verändern können – und sich selbst

Es ist der Sommer 1980. Die Arbeiterinnen und Arbeiter der Lenin-Werft in Danzig sind sauer: Die langjährige Kranführerin Anna Walentynowicz soll fünf Monate vor ihrer Pensionierung entlassen werden. In den Monaten zuvor beteiligte sie sich an Streiks gegen Preiserhöhungen, schon in den 70er Jahren war sie als Aktivistin im illegalen Untergrund aktiv. Das gerade sie entlassen werden sollte, war also kein Zufall – und die Arbeiter:innen der Lenin-Werft wussten das.

Ein Porträt von Anna Walentynowicz Perigan Eraslan

Eine Gruppe von ihnen, die wie Walentynowicz bereits organisiert ist, will das nicht auf sich sitzen lassen. Sie ziehen von Werkstätte zu Werkstätte, um ihre Kolleginnen und Kollegen für einen Streik zu mobilisieren. Sie gründen Streikkomitees, lassen auch nach ersten Zugeständnissen nicht locker und legen damit den Grundstein für die erste unabhängige Gewerkschaft der Sowjetunion. 

Der Name ist Programm

Ein charismatischer Elektriker tut sich dabei besonders hervor und übernimmt schon bald eine zentrale Führungsrolle: Lech Wałęsa, der selbst zuvor für „aufmüpfiges Verhalten“ entlassen wurde. Gemeinsam mit Walentynowicz, anderen Arbeiter:innen der Werft und Intellektuellen, die die Streiks unterstützen, gründet er jene Bewegung, die einige Jahre später am Verhandlungstisch erstmals freie Wahlen in Polen erwirken sollte. Sie benennen die neu gegründete Gewerkschaft, nach dem, was sie antreibt: Solidarność, polnisch für Solidarität. 

Als Antwort auf die Unruhen verhängt die Staatsführung das Militärrecht und drängt die aufkeimende Bewegung in die Illegalität. Einige der Mitglieder werden verhaftet, es gibt strenge Ausgangssperren. Doch der Funke des Widerstands ist bereits übergesprungen: 1981 zählt die Solidarność zehn Millionen Mitglieder, die ihre Arbeit im Untergrund fortführen, Gewerkschafts-Zeitungen verteilen und Untergrund-Radios betreiben, bis ihre Mitkämpfer:innen wieder freigelassen werden. 

Als dieses Ziel fünf Jahre später erreicht wird, fängt der Kampf erst richtig an: Mit mehreren Streikwellen baut die Solidarność genug Druck bei der polnischen Regierung auf, um ihre Legalisierung und die ersten (halb)freien Wahlen zu erwirken. Die Probleme der Staatsführung sind zu groß und die Mobilisierung der Solidarność zu stark, um ihnen einen Platz am Verhandlungstisch zu verwehren. Bei den nächsten Wahlen tritt die Solidarność dann als Partei an – und gewinnt: Der arbeitslose Elektriker Lech Wałęsa wird zum ersten Präsidenten Polens. 

Gott und Gewerkschaft

Eher unüblich für Gewerkschaften hat die Solidarność damals wie heute eine sehr starke Verbindung zum Katholizismus. Die Kirche war eine große Unterstützerin der Bewegung, der Priester Jerzy Aleksander Popiełuszko ist bis heute eine der ikonischsten Figuren der Gewerkschaft. Vermutlich auch, da das Verhältnis zur anderen großen Ikone der Bewegung, Lech Wałęsa, mittlerweile angeschlagen ist. Denn die politische Ausrichtung der Solidarność hat sich über die Jahrzehnte stark verändert. 

Priester Popiełuszko auf der heutigen Solidarność-Zentrale Perigan Eraslan

Die Gewerkschaft folgt heutzutage der Linie der rechtskonservativen PiS-Partei. Mateusz Szymański, Internationaler Sekretär der Solidarność, sagt selbst, man richte sich nach der katholischen Sozialmoral, sei darüber hinaus aber unpolitisch. Ob die Solidarność mit dieser Ausrichtung gut fährt, ist fraglich: Ihre Mitgliederzahlen sind von zehn Millionen im Jahr 1981 auf heute circa 550.000 geschrumpft.

Dessen ungeachtet ist die Geschichte der Solidarność ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie wichtig freie, unabhängige Gewerkschaften für die Demokratie sind und was durch ambitionierte Mobilisierung, Hartnäckigkeit und Solidarität erreicht werden kann.

 

Diese Reportage entstand im Rahmen von „eurotours“, einem Projekt des österreichischen Bundeskanzleramts, finanziert aus Bundesmitteln.

Mehr Eindrücke der Autorin rund um die Solidarność und Danzig könnt ihr hier nachlesen.

 

 

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