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Krank in die Arbeit zu gehen, schadet der Belegschaft und dem Unternehmen
Präsentismus – Krank in die Arbeit zu gehen, schadet der Belegschaft und dem Unternehmen. StratfordProductions - stock.adobe.com

Gesundheit und Krankheit am Arbeitsplatz

Präsentismus – das unsichtbare Phänomen

Krank in die Arbeit zu gehen, schadet der Belegschaft und dem Unternehmen - die neue AK-Umfrage zeigt: 60 Prozent der Befragten gehen arbeiten, auch wenn sie krank sind

Wer krank ist, bleibt zu Hause, um nicht auch noch die Kolleg:innen zu gefährden. Im beruflichen Alltag scheint diese Devise allerdings nicht zu gelten: Die Krankenstandstage gehen zurück und die allermeisten Befragten geben an, immer mal wieder krank in die Arbeit zu gehen. Laut einer aktuellen Auswertung der Arbeiterkammer sind die Ergebnisse alarmierend. 60 Prozent der Befragten gehen krank in die Arbeit.  Präsentismus ist im Einzelhandel und im Bereich Gesundheit- und Soziales besonders ausgeprägt - also in jenen Branchen, in denen es oft Probleme mit den Arbeitsbedingungen gibt. Die Gründe sind vielfältig: Sie reichen von einem tiefen Pflichtgefühl gegenüber Kolleg:innen bis hin zu Ängsten vor Kündigung und Arbeitsplatzverlust. Parallel dazu sind diese Beschäftigten signifikant stärker durch Zeitdruck belastet: 37 Prozent der Krank-Arbeitenden geben an, (sehr) stark unter Zeitdruck zu leiden, während es bei den anderen lediglich ein Fünftel ist. 

Krankenstände seit 1980 rückläufig

Bevor das Coronavirus nach Österreich kam, galt hierzulande vielerorts: Krank zur Arbeit gehen, ist durchaus erwünscht. Und wer daheimbleibt, steht schnell unter Verdacht zu simulieren. Mitte Dezember sorgte die Forderung der Wirtschaft nach strengeren Kontrollen im Krankenstand für Schlagzeilen. Berufsdetektive witterten gleich das große Geschäft und boten unter dem Motto „Ihre Mitarbeiter feiern krank?“ sogenannte Krankenstandsobservationen an.

Dabei geht die durchschnittliche Anzahl der Krankenstandstage langfristig immer weiter zurück. Laut Fehlzeitenreport erreichten die krankheitsbedingten Fehlzeiten mit 17,4 Krankenstandstagen pro Jahr im Jahr 1980 ihren Höchstwert. Von da an ging es sukzessive nach unten. 1990 waren es durchschnittlich 15,2 Tage, zehn Jahre später waren die Beschäftigten nur mehr rund 14,4 Tage krank, im Jahr 2018 sank der Wert auf 13,1 Kalendertage. Dazu belegen Umfragen der vergangenen Jahre, dass immer mehr Menschen krank zur Arbeit gehen. Die aktuellste ÖGB-Umfrage bestätigt dieses Ergebnis.

92 Prozent aller Befragten geben in einer Facebook-Umfrage an, schon einmal krank zur Arbeit gegangen zu sein. Viele davon unfreiwillig, weil sie von ihren Vorgesetzten unter Druck gesetzt wurden. Nur 8 Prozent der Facebook-User bleiben bei Krankheit konsequent zu Hause, um sich auszukurieren - auf Instagram sind es 11 Prozent der Befragten, auf Twitter 3 Prozent.

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„Sich krank in die Arbeit zu schleppen, war praktisch Pflicht“

Der Metallarbeiter Franz*, Anfang 50, kann vom (erzwungenen) Präsentismus ein Lied singen. Sein Chef ist vor einigen Jahren auf die Idee gekommen, „dem Krankenstand“ den Kampf anzusagen. Nicht Gesundheitsförderung war da angesagt, sondern „das Ausspielen der Kollegen gegeneinander“ stand auf der Tagesordnung, erzählt Franz: „Eine Schicht gegen die andere, ein Kollege gegen den anderen. Sich krank in die Arbeit zu schleppen, war praktisch Pflicht“, so Franz. In der Tat, die Krankenstände sanken. Für ihn mit fatalen Folgen. Franz hat Burn-out. Anfang des Jahres begann er eine sechswöchige Rehabilitation. Wann er wieder arbeitsfähig ist, steht derzeit in den Sternen.

Auch Alex* hat so seine Erfahrung gemacht. Er steht wenige Monate vor seinem 65. Geburtstag und tritt bald den Gang in die Pension an. Er ist Buchhalter und blickt auf jahrzehntelange Erfahrung zurück. Aktuell ist er im Krankenstand und ärgert sich, weil ihn vor Kurzem sein Chef angerufen und ihn unverhohlen aufgefordert hat, doch endlich wieder in die Arbeit zu kommen. „So lange wie bei Ihnen kann doch keine Grippe dauern“, habe der Chef zu Alex gesagt.

*Name von der Redaktion geändert.

 

 

Präsentismus schadet auch den Unternehmen

Präsentismus ist ein unterschätzter, gefährlicher Trend, sagt Heiko Breitsohl, der mit seinem Team an der Universität Klagenfurt dieses „unsichtbare Phänomen“ erforscht. Das Forschungsprojekt steckt zwar noch in den Kinderschuhen, aber klar ist bereits, dass die Effekte von Präsentismus in der Regel negativ sind. Den Unternehmen drohen Produktivitäts- und Qualitätsverluste, und die Mitarbeiter:innen betreiben Raubbau an den eigenen Ressourcen, mit entsprechend negativen gesundheitlichen Folgen.

Breitsohl, beklagt, dass er mit seinem Projekt bei Unternehmen lange nicht überall offene Türen einlaufe. Der Forscher: "Viele haben gesagt, das sei bei ihnen kein Problem. Der erste Schritt wäre also vielfach, Bewusstsein dafür zu schaffen, dass das ein Thema sein kann.“ Im Endeffekt sollten Organisationen in sich gehen und überlegen, welches Verhalten sie wie unterstützen wollen und welche formellen und informellen Regeln im Unternehmen gelten sollen.

Mit Präsentismus (von Präsenz – Anwesenheit) bezeichnen Arbeitspsychologie und Arbeitsmedizin das Verhalten von Arbeitnehmer:innen, die trotz Krankheit am Arbeitsplatz sind. Das Gegenteil ist der Absentismus, umgangssprachlich auch „Krankfeiern“ genannt. Beim Präsentismus verordnen sich die ArbeitnehmerInnen selbst Anwesenheitspflicht – oft aus Angst um den Arbeitsplatz oder weil sie sich dazu verpflichtet fühlen. Präsentismus ist in mehrfacher Hinsicht nicht wünschenswert: Wenn Arbeitnehmer:innen trotz Krankheit arbeiten, gefährden sie ihre Kolleg:innen und schaden sie ihrer eigenen Gesundheit – Krankheiten werden „verschleppt“ und auch die Unfallgefahr steigt.