Umfrage
Medizinisches Personal: 42 Prozent denken an Berufsausstieg
Nicht zuletzt seit der Corona-Pandemie erfährt das medizinische Personal große Belastungen – darunter leidet vor allem die psychische Gesundheit, wie eine aktuelle Umfrage der „Offensive Gesundheit” belegt
Für viele ArbeitnehmerInnen aus dem Gesundheitswesen ist es der Anfang vom Ende. Denn sie schlittern von einer Krise in die nächste. Schon vor der Pandemie waren die Arbeitsbedingungen in den österreichischen Gesundheits- und Langzeitpflegeeinrichtungen sehr angespannt. Viele ArbeitnehmerInnen machten ihre Arbeit zwar gerne, aber die schwierigen Arbeitsbedingungen sorgten für Unzufriedenheit und häufiges Nachdenken über einen Berufswechsel.
Seitdem haben sich die Arbeitsbedingungen – auch durch die Pandemie – weiter verschlechtert und bringen nun das Fass endgültig zum Überlaufen. Ein wesentliches Ergebnis aus der Umfrage „Ich glaub‘, ich krieg‘ die Krise“, die von der Offensive Gesundheit präsentiert wurde, unterstreicht das: 42,4 Prozent der Befragten aus den Gesundheits- und Sozialbetreuungsberufen denken an einen Berufsausstieg. Im Jahr 2018 waren es noch 25,5 Prozent - das bedeutet einen Anstieg um ganze 17 Prozent.
Mehrheit muss regelmäßig Überstunden machen
Zentral in der Online-Umfrage, an der fast 7.000 Menschen aus dem Gesundheitswesen teilgenommen haben, ist das deutliche Ansteigen der ohnehin bereits hohen Arbeitsbelastung durch ständige, kaum planbare Mehrarbeit. Mehr als sechs von zehn Befragten arbeiten regelmäßig mehr, als in ihrem Arbeitsvertrag vereinbart ist. Eine Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin aus Vorarlberg erzählt: „Geschätzt 90 Prozent unseres Teams haben Überstunden im Ausmaß von 180 bis 330 Stunden.“ Die Gründe dafür liegen in Corona-bedingten Zusatzaufgaben, wie das aufwändige Anlegen der Schutzausrüstung oder andere Hygienevorgaben, deren Umsetzung extrem herausfordernd ist.
Depressionen, Panikattacken, schreckliche Erlebnisse
Das führt auch zu einer Reihe psychischer Beeinträchtigungen: Mehr als drei Viertel (78,7 %) der Befragten zeigen zumindest eine „geringe“ Symptombelastung im Bereich Depression. Für fast die Hälfte (48,4 %) trifft dies auch für Angst zu. Eine Pflegeassistentin aus der Steiermark berichtet: „Ich hatte immer wieder kleine Panikattacken, wenn ich zu viel, zu lang und öfters im Corona-Bereich arbeiten musste!” Ein Viertel der Befragten (24,9 %) leidet unter „wiederkehrenden Träumen oder Erinnerungen an schreckliche Erlebnisse“. Im Bereich der Depressionssymptome berichteten fast drei Viertel (71,7%) von mangelnder Energie und schneller Ermüdung.
Bundesregierung in der Pflicht
„Alarmstufe Rot! Im Gesundheits- und Pflegebereich fehlt es an allen Ecken und Enden an Personal. Die Bundesregierung ist in der Pflicht”, fordert Gerald Mjka, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft vida, Fachbereich Gesundheit. Auch Gerald Gingold, Vizepräsident und Obmann der Kurie Angestellte Ärzte der Ärztekammer für Wien, warnt: „Die Situation ist dramatisch. Und wir sehen wenig Hoffnung, vor allem im Hinblick auf die jetzt beginnende kalte Jahreszeit, wo wir ganz klar auch einen Anstieg der Fallzahlen mit COVID-19 erwarten.“
Diesen Befund bestätigt auch Silvia Rosoli, Leiterin der Abteilung Gesundheitsberufe und Pflegepolitik der Arbeiterkammer Wien: „Fast die Hälfte aller Befragten denkt daran, den Beruf zu verlassen – und sie tun es auch, wie wir an den leerstehenden Betten in den Spitälern und Pflegeheimen sehen.“ Reinhard Waldhör, Vorsitzender der GÖD-Gesundheitsgewerkschaft, fügt hinzu: „Nur, wenn wir die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen verbessern, werden wir genügend Menschen für diese Professionen begeistern können.“