Kollektivvertrag
„Viele BetreuerInnen werden selbst zu Betroffenen“
Herr Poppe, als Caritas-Betriebsrat unterstützen Sie die Forderung nach einer 35-Stunden-Woche für die Beschäftigten in der Sozialwirtschaft, also im privaten Pflege‑, Gesundheits- und Sozialbereich. Warum?
Im Sozialbereich stehen wir unter enormer Arbeitsbelastung und müssen viel aushalten. Dabei ist das eines der wichtigsten Arbeitsfelder überhaupt, weil es wiederum anderen Menschen hilft, sie schützt und rettet. Eine Arbeitszeitverkürzung würde nicht nur die Beschäftigten entlasten, sondern auch zu einer Verbesserung des Berufsstandes beitragen. Und auch die Teilzeitkräfte würden dadurch eine Gehaltserhöhung bekommen.
Wie ist es konkret in der Arbeit für Sie?
In der Caritas, bei der ich in einer psychiatrischen Einrichtung arbeite, erlebe ich, dass viele BetreuerInnen selbst irgendwann zu Betroffenen werden. Sie sind dann mittendrin und brauchen selbst Hilfe und Unterstützung. Diese KollegInnen müssen betreut und versorgt werden, fühlen sich aber alleine gelassen, weil es dafür kein Budget gibt und auch kein allzu großes Verständnis. Darüber redet man auch in der Arbeit nur selten. Deshalb ist der Zusammenhalt zwischen den KollegInnen besonders wichtig. Sonst steht man diesen schweren Job nicht lange durch. Gerade psychische Erkrankungen sind auch für BetreuerInnen sehr nervenaufreibend und kräftezerrend. Aber niemand spricht darüber.
Wie sieht es finanziell aus?
Also ich würde behaupten, dass die meisten Menschen, die in diesem Bereich tätig sind, IdealistInnen sind. Finanziell sieht es nicht gut aus. Man kommt auf wenig Geld für viel Arbeit und hat dazu noch viel zu tun und wenig Ruhephasen. Das muss sich unbedingt ändern. In Wahrheit lebt man selbst an der Armutsgrenze. Die eigenen Kinder sind dann auch armutsgefährdet. Und dann plakatieren wir groß, dass wir gegen Kinderarmut sind.
In der Caritas wurde nach 18 Jahren wieder gestreikt. Warum erst jetzt?
Die Stimmung ist nicht mehr gut. Keiner traut sich, „nein“ zu sagen. Viele haben Angst, ihren Job zu verlieren und nehmen dafür schwere Arbeitsbedingungen in Kauf. Auch von den leitenden Persönlichkeiten kommt Druck. Das sehen wir am Beispiel der Reinigungskräfte bei uns: Die „magdas REINIGUNG“ bekam einen neuen Kollektivvertrag, der noch schlechter war, als der alte. Das war dann ein Punkt, der das Fass für uns zum Überlaufen gebracht hat.