Starke Stimme
30 Jahre Mitbestimmung ohne Grenzen
Der erste Euro-Betriebsrat Österreichs erinnert sich
1994 setzten sich die europäischen Gewerkschaften mit ihrer Forderung endlich durch – im September wurde die EU-Richtlinie für Euro-Betriebsräte beschlossen. In großen Unternehmen, die grenzüberschreitend tätig sind, kann seither ein Euro-Betriebsrat gegründet werden.
Voraussetzung: Sie müssen insgesamt mehr als 1.000 Beschäftigte und an mindestens zwei Standorten in mehreren europäischen Ländern mehr als 150 Beschäftigte haben.
Mayr-Melnhof spielt heute mit 15.000 Beschäftigten in 70 Ländern in der obersten Liga am Weltmarkt für die Herstellung und Weiterverarbeitung von Karton. Im Konzern, der aus einem Sägewerk in der Steiermark entstand, wurde schon vor 30 Jahren auch in der Betriebsratsarbeit sozusagen über die Grenzen gedacht: Am 10. März 1995 unterzeichneten Geschäftsführung und Arbeitnehmervertreter die Vereinbarung zur Errichtung eines Europäischen Betriebsrat. Jeder der damaligen Standorte war im siebenköpfigen Arbeitnehmergremium vertreten.
Den Vorsitz übernahm Manfred Grundauer, seit 1964 im Unternehmen in Frohnleiten, in dem er als Elektriker-Lehrling begann und der 1994 auch schon mehrere Jahre Erfahrung als Betriebsrat hatte.
Geschäftsführung erkannte Win-Win-Situation
„Für uns war das nichts ganz Neues. Wir haben uns schon in den Jahren davor regelmäßig mit den Betriebsratskollegen in den anderen Ländern ausgetauscht!“, erzählt Grundauer, das waren damals Standorte in Deutschland, Holland und in der Schweiz. Der 76-Jährige Frohnleitner, seit dem Jahr 2009 in Pension, ist überzeugt davon, dass auch die Geschäftsführung von Anfang des internationalen Austauschs an erkannt hatte, dass das eine Win-Win-Situation war.
„Wir haben uns gegenseitig besucht, aus jedem Betrieb ist einer gekommen. Wir haben Erfahrungen ausgetauscht, und Probleme besprochen“, erzählt er, „irgendwann haben wir auch die Geschäftsführer eingeladen, sie sind gerne gekommen und das hat Lösungen natürlich leichter gemacht.“
Verhandlungsgespür war trotzdem gefragt, daran dürfte es dem ersten EBR Österreichs jedenfalls nicht gefehlt haben: „Ich war nie der große Klassenkämpfer“, erzählt er, „aber ich hab schon gewusst, wann die Kuh gemolken werden kann.“
900 Unternehmen mit EBR, Tendenz steigend
Was bei Mayr Melnhof ohne Rechtsgrundlage begonnen hatte, hat sich in 30 Jahren in vielen europäischen Unternehmen durchgesetzt. Derzeit haben rund 900 von 2.500 möglichen EU-weit tätigen Unternehmensgruppen einen EBR, jährlich kommen 30 bis 40 neue dazu. In Österreich haben alle großen Banken, viele Industriebetriebe oder etwa die Strabag einen EBR.
In erster Linie geht es um den Informationsaustausch: „Die größten Herausforderungen waren und sind Werksschließungen, der Verkauf von Werken,“ berichtet Andreas Hemmer, der Grundauer als EBR nachfolgte und von 2015 bis 2025 auch den Vorsitz innehatte.
Infogremium mit großer Wirkung
Der EBR ist also eher ein Info-Gremium, das sich in vielen Situationen als sehr wichtig herausstellt: Man erfahre vorzeitig von Entwicklungen, die sich abzeichnen, und könne dann rechtzeitig handeln. „Je früher man etwas weiß, desto besser kann man Maßnahmen ausarbeiten und die Konsequenzen für die Beschäftigten abfedern“, so Hemmer, der wie sein Vorgänger auch die gute Zusammenarbeit mir dem Management betont.
Mitbestimmungsrechte stärken
Das ist nicht in allen Unternehmen der Fall, Gewerkschaften fordern deswegen Verbesserungen der Richtlinie. Um die Mitbestimmungsrechte zu stärken, präsentierte die EU-Kommission im Vorjahr einen neuen Vorschlag. Wichtigster Punkt darin ist die Verbesserung der Informations- und Konsultationsrechte. So müssen Euro-Betriebsräte über transnationale Entwicklungen konsultiert werden, bevor eine Entscheidung auf Unternehmensebene gefällt wird. Transnational heißt, dass Arbeitnehmer:innen in mehr als einem Land betroffen sind, etwa bei konzernweitem Jobabbau. Weiters sieht der Vorschlag vor, dass bei der Bestellung des Betriebsrats auf ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis zu achten ist.
Einheitliche Sanktionen gefordert
ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian, der auch Präsident des europäischen Gewerkschaftsbundes ist, begrüßt den Vorschlag, vermisst aber einheitliche Vorgaben für Sanktionen bei Nicht-Einhaltung. Derzeit unterscheiden sich diese von Land zu Land. „Besser wäre es, einheitliche Sanktionen in Höhe von 2 Prozent des weltweiten Umsatzes festzulegen“, so Katzian. Nachschärfen müsse man auch bei der Vertraulichkeit. Es müsse klare Leitlinien geben, welche Informationen die Unternehmensleitung als vertraulich einstufen kann.
Die Frage, ob sich in der Arbeit als Euro-Betriebsrat in den vergangenen 30 Jahren etwas geändert hat, beantwortet Hemmer mit „Die Vernetzungsmöglichkeiten sind heute viel schneller und effektiver, aber vom Grundsatz her: nein “. Oder um es mit den Worten von Manfred Grundauer zu sagen: „Es geht damals wie heute darum, das Beste für die Kolleginnen und Kollegen herauszuholen.“