Gewerkschaftsgeschichte
72 Jahre, 19 Kongresse - eine Geschichte
1951 fand der erste ÖGB-Frauenkongress statt, im April 2023 kommt Nummer 19. Wir blicken zurück auf mehr als sieben Jahrzehnte, in denen viel gekämpft und noch mehr erreicht wurde.
Die ehemalige ÖGB-Frauenvorsitzende Sabine Oberhauser brachte es auf den Punkt: „Politik ist Bohren harter Bretter. Bei Frauenpolitik kommt noch eine Stahlplatte hinzu.“ Alle fünf Jahre treffen sich daher die Gewerkschaftsfrauen zum ÖGB-Frauenkongress, um die Kräfte zu bündeln und sich für den Kampf für Gerechtigkeit zu stärken. 72 Jahre sind seit dem ersten Kongress im Jahr 1951 vergangen. Sieben Jahrzehnte, in denen Gewerkschaftsfrauen gefordert, gekämpft und vieles errungen haben.
Wenn auch einige Forderungen noch offen sind, konnten große Meilensteine erreicht werden. Etwa das Mutterschutzgesetz (1957), der bezahlte Karenzurlaub (1961), die Reformierung des Familienrechts (1975) oder die Valorisierung der Familienleistungen (2022).
Die ersten Stahlplatten
Der Bericht des 1. ÖGB-Frauenkongresses im Jahr 1951 begann mit traurigen Nachrichten. Die ÖGB-Frauenvorsitzende Wilhelmine Moik verlas die Namen der von Nationalsozialisten ermordeten und der in der Emigration verstorbenen Gewerkschafterinnen. In ihrer Rede über die letzten Jahre nahm sie auch ein altes Thema wieder auf: das Recht der Frauen auf außerhäusliche Erwerbsarbeit: „Es ist ein alter gewerkschaftlicher Grundsatz, dass der Mensch das Recht auf Arbeit haben muss, und wir wollen heute hier aussprechen, dass dieses Recht auch der Frau zugebilligt werden muss.“
Aber es gab auch Positives zu berichten. Trotz der harten Zeiten während des Wiederaufbaus war es den ÖGB-Frauen gelungen, Frauenreferate in den Gewerkschaften zu gründen, das Mitspracherecht bei den Kollektivvertragsverhandlungen zu erkämpfen sowie beim Aufbau der Sozialgesetzgebung mitzuarbeiten.
Für die nächsten Jahre setzen sie sich ambitionierte Ziele. Auf der Ebene der Gesetzgebung forderten sie die Verabschiedung des Mutterschutzgesetzes (1957), des bezahlten Karenzurlaubs (erreicht 1961), des Heimarbeitsgesetzes (erreicht 1960), des Hausgehilfengesetzes (erreicht 1962) und des Hausbesorgergesetzes (erreicht 1970) sowie die Ratifizierung des ILO-Übereinkommens über gleichen Lohn für gleiche Arbeit (erreicht 1953).
Die dicke Karenz-Stahlplatte
Bei anderen Forderungen war und ist die zu bohrende Stahlplatte besonders dick. Wie etwa bei der bereits in der Ersten Republik geforderten Reform des Familienrechts (erreicht 1975) oder die in den 1970er-Jahren vorgeschlagene Väterkarenz (erreicht 1990).
Wenn auf gesetzlicher Ebene nichts weiterging, übertrugen die Gewerkschafterinnen ihre Forderungen auf die Kollektivvertragsverhandlungen, um trotzdem für möglichst viele Kolleginnen Verbesserungen zu erreichen. Etwa, als sich der Gesetzgeber bei der Anrechnung von Karenzzeiten bei dienstzeitabhängigen Ansprüchen taub stellte. Die Anrechnungen standen schon lange in Kollektivverträgen, als das diesbezügliche Gesetz im Jahr 2019 in Kraft trat.
Ich bin völlig überzeugt, dass eine Anzahl von Referaten im ÖGB ebenso gut von Frauen geleitet werden könnten.
Mitspracherecht der Frauen
Eine der zentralen Forderungen der Gewerkschaftsfrauen war das Mitspracherecht auf allen Ebenen im Betrieb, in den Gewerkschaften und im ÖGB. Die erste Ministerin Österreichs, die Textilgewerkschafterin Grete Rehor, sagte bei einem Frauenkongress: „Ich bin völlig überzeugt, dass eine Anzahl von Referaten im ÖGB ebenso gut von Frauen geleitet werden könnten.“ Sie sollte recht behalten.
Die Gewerkschafterinnen setzen Aktionen, damit sich mehr Frauen als Betriebsrätinnen zur Wahl stellten. Gewerkschaftsintern verlangten sie, dass höhere Posten mit Frauen besetzt werden. Es war ein zäher Prozess. Im Jahr 1975 wurde die ÖGB-Frauenvorsitzende Maria Metzker als erste Frau Vizepräsidentin im ÖGB und im Jahr 2007 setzten die Frauen eine Quotenregelung durch. Heute sind beinahe 35 Prozent aller Betriebsräte weiblich, zehn von 23 Mitgliedern des ÖGB-Vorstandes sind Frauen. Darunter die Leitende Sekretärin Ingrid Reischl, die GPA-Vorsitzende Barbara Teiber und natürlich die ÖGB-Bundesfrauenvorsitzende Vizepräsidentin Korinna Schumann.
Diese Forderung – gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit – ist eigentlich ein jahrzehntelanger Schrei der Frauen, ein Schrei nach mehr beruflicher Gerechtigkeit bei der Lohnarbeit beziehungsweise bei der Entlohnung der Frauen.
Frauenlöhne: ein Relikt der Vergangenheit
Auch wenn es Gesetze gegen Lohndiskriminierung gibt, war und ist der Kollektivvertrag das beste Mittel zur Schließung des Einkommensunterschieds.
Im Jahr 1951 betrug der Gender Pay Gap rund 50 Prozent, heute liegt er bei 17,1 Prozent. Gelungen ist die Verringerung durch viele Maßnahmen der Gewerkschaftsfrauen wie die Streichung der Frauenlöhne aus den Kollektivverträgen (1961–1992) oder die sukzessive überproportionale Erhöhung bzw. Streichung der niedrigen Lohngruppen seit den 1980er-Jahren. In den 2000er-Jahren kam das Gender-Mainstreaming im ÖGB an. Bei der Durchsicht der Kollektivverträge zeigte sich, dass viele Frauen in den niedrig dotierten „Leichtlohngruppen“ eingestuft waren und bei Prämien und Zulagen benachteiligt waren.
Jetzt unterstützen die Gewerkschaftsfrauen die ÖGB-Forderung nach 2.000 Euro kollektivvertraglichem Mindestlohn.
Frauen und Pensionen
Der Verfassungsgerichtshof veröffentlichte am 6. Dezember 1990 die Erkenntnis , dass die geschlechtsspezifischen Regelungen des Pensionsanfallsalters dem verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz widersprechen. Das löste bei politischen und gewerkschaftlichen Frauenorganisationen Kritik und Ablehnung aus.
Zwei Jahre lang kämpften die ÖGB-Frauenvorsitzende Irmgard Schmidleithner, die Frauenministerin Johanna Dohnal und Abgeordnete der ÖVP, SPÖ und Grünen, um das Gleichbehandlungspaket. Im Gegenzug zur Umsetzung von frauenpolitischen Forderungen soll das Frauenpensionsantrittsalter ab 1. Jänner 2024 schrittweise dem der Männer angepasst werden. Bis dahin sollten alle bestehenden gesellschaftlichen, familiären, wirtschaftlichen Benachteiligungen der Frauen abgebaut werden.
Österreichs Arbeitnehmer:innen brauchen eine starke Gewerkschaftsbewegung, die sich um ihre Anliegen kümmert. […] Was wir nicht brauchen, das ist eine kosmetische Verschönerung der Arbeitsmarktstatistik ohne echte Perspektiven für die Arbeitsuchenden!
Rückschritte
Der 14. Frauenkongress im Jahr 2003 stand unter dem Zeichen der ÖVP-FPÖ-Regierung. Die damalige Bundesfrauenvorsitzende Renate Csörgits musste von Rückschritten in der Frauen- und Familienpolitik berichten. Etwa, dass das Kinderbetreuungsgeld eingeführt, die Mittel für den Wiedereinstieg gekürzt, Sparmaßnahmen bei Kindergärten und Kinderkrippen gesetzt wurden. Außerdem wurden Sozialleistungen abgebaut, die vorzeitige Alterspension abgeschafft und die Ladenöffnungszeiten liberalisiert.
Sie forderte aber: „Österreichs Arbeitnehmer:innen brauchen eine starke Gewerkschaftsbewegung, die sich um ihre Anliegen kümmert. […] Was wir nicht brauchen, das ist eine kosmetische Verschönerung der Arbeitsmarktstatistik ohne echte Perspektiven für die Arbeitsuchenden!“
Löcher in den Stahlplatten
Das konstante Bohren der Stahlplatten in der Frauenpolitik zahlte sich aber immer wieder aus. Auch wenn die Forderungen in den 2000er-Jahren ganz anders klangen als 1951. So wurde etwa ein Mehrarbeitszuschlag für Teilzeitbeschäftigte (2007) erreicht, seit 2018 müssen 30 Prozent der Aufsichtsratsmitglieder Frauen sein, der Rechtsanspruch auf das Papamonat (2019) wurde erkämpft oder die Valorisierung der Familienleistungen wurde erreicht (2022).
Es ist wieder hoch an der Zeit, echte Frauenpolitik zu machen. Gerade angesichts der großen Herausforderungen der Klimakrise, Digitalisierung und dem demographischen Wandel ist es unerlässlich, dass Frauen mitbestimmen, wie wir leben und arbeiten. Politik muss unterstützen, dass wir alte Rollenmuster hinter uns lassen und Frauen nicht mehr selbstverständlich für unbezahlte Arbeit herhalten müssen. Dafür werden die ÖGB-Frauen mit aller Kraft kämpfen. Wir freuen uns über alle Verbündeten, die uns dabei unterstützen!
Klimagerechtigkeit ist Frauengerechtigkeit
Im April 2023 findet der 19. Frauenkongress unter dem Motto „Frauen machen Zukunft“ statt. Die Frauen können auf einige Erfolge der letzten fünf Jahre zurückblicken, wie den Rechtsanspruch auf den Papamonat oder die Valorisierung der Familienleistungen. Sie haben sich aber auch für die nächsten fünf Jahre einiges vorgenommen, etwa die gleichberechtigte Mitbestimmung von Frauen bei Zukunftsentscheidungen, bei Klima- und Digitalisierungsfragen, oder die Erleichterungen bei Leben und Arbeiten mit Kindern.