Arbeitsbedingungen
Moderne Sklaverei: Wie gegen die Ausbeutung von Erntearbeitern gekämpft wird
Die Sezonieri-Kampagne brachte das Arbeitsrecht zurück auf Österreichs Felder
2013 in Kukmirn, Burgenland. Auf einem Parkplatz in der prallen Sonne steht ein Blechcontainer. 16 Quadratmeter klein. Es ist der Schlafplatz von fünf Arbeitern. Der Bauer, für den sie arbeiten, hatte ihnen die Pässe abgenommen und zahlte ihnen weniger als ein Drittel des vereinbarten Lohns - für doppelt so viele Stunden wie vereinbart.
Selbes Jahr in Thaur, Tirol. Ein Ehepaar lebt mit zwei Verwandten in einem winzigen Zimmer des Personalhauses eines großen Gemüsebauers. Für die Unterkunft müssen die ArbeiterInnen zehn Prozent ihres Lohnes an den Bauer abgeben. Ihre „Normalarbeitszeit“ beträgt mehr als 400 Stunden pro Monat, ihr Stundenlohn liegt bei drei Euro.
Andernorts brechen im Hochsommer ArbeiterInnen auf den Feldern zusammen, wegen Schwäche, Müdigkeit oder ob der extremen Hitze. Lange unternahm niemand etwas gegen die massive Ausbeutung von ErntearbeiterInnen in Österreich. Doch nach Bekanntwerden dieser Fälle im Jahr 2013 tat sich plötzlich etwas.
Sezonieri und die Produktionsgewerkschaft
René Schindler, damals Bundessekretär der Produktionsgewerkschaft (PRO-GE) für Soziales und Recht, hatte von den massiven Arbeitsrechtsverletzungen erfahren und wollte diese Praktiken nicht weiter akzeptieren – die „Sezonieri”-Kampagne für die Rechte der ErntehelferInnen in Österreich wurde gegründet.
Innerhalb kürzester Zeit kamen daraufhin weitere Fälle ans Tageslicht, die immer deutlicher machten, dass die Ausbeutung auf Österreichs Feldern System hat und auf mannigfaltige, teils grausame Weise passiert: Massive Unterbezahlung, Anmeldungen auf Teilzeit bei bis zu 70 Wochenarbeitsstunden, fehlende Versicherungen, gefälschte Unterlagen, blanko unterschriebene Lohnzettel, menschenunwürdige Unterbringungen, Nichteinhaltung der gesetzlichen Arbeitszeiten, Kündigung von schwangeren Frauen, Zwang für erkrankte ArbeiterInnen weiterzuarbeiten, physische und sexuelle Gewalt bis hin zu verweigerter Hilfeleistung nach Arbeitsunfällen.
Die Entstehung des Sezonierinetzwerks
In der PRO-GE stellte man sich zu dieser Zeit vor allem die Frage, wie man die ErntearbeiterInnen am besten erreichen kann? Denn je nach Herkunftsland und Dauer der Arbeitsgenehmigung gestaltet sich die Situation der ErntearbeiterInnen oft sehr unterschiedlich: So arbeiten etwa im Burgenland viele TagespendlerInnen aus Ungarn, in Tirol hingegen leben ArbeiterInnen oft in Personalhäusern oder am Bauernhof, viele kommen aus EU-Ländern, andere aus Drittstaaten.
Abgesehen davon gilt es auch noch, sprachliche Hürden zu überwinden. Für René Schindler war deshalb bald klar: Die PRO-GE kann dieses Projekt nicht allein stemmen. Deshalb vernetzten sich die Sezonieri-InitiatorInnen mit dem Österreichischen Forum für Ernährungssouveränität, mit LEFÖ - Beratung, Bildung und Begleitung für Migrantinnen*, genauso wie mit der Land- und Forstinspektion, den Landarbeiterkammern, der Finanzpolizei und den Gebietskrankenkassen.
Nicht zuletzt spielte die muttersprachliche Beratung im ÖGB, an die sich ErntearbeiterInnen, die etwa rumänisch, ungarisch oder bulgarisch sprechen, anonym wenden können, um unverbindliche Erstauskünfte zu erhalten. Zahlreiche Fälle, die sonst im Verborgenen geblieben wären, wurden erst dadurch aufgedeckt.
Die Sezonieri in Tirol
Auch die Zivilgesellschaft wurde zunehmend in die Sezonieri-Kampagne miteinbezogen und das Netzwerk an UnterstützerInnen und AktivistInnen wuchs immer weiter. Eine Aktivistin, die von Anbeginn an dabei war, ist die Journalistin Sónia Melo.
2014 gibt sie erstmals in Tirol auf die Felder und verteilte mehrsprachige Informationsfolder an die ErntearbeiterInnen. Die Folder enthielten Informationen über den kollektivvertraglichen Mindestlohn, Überstundenzahlungen, Arbeitszeitgrenzen und die Sonntagsruhe, genauso wie Hinweise zur Mindestausstattung der Quartiere und die Sezonieri-Kampagne selbst. Später kamen Kalender dazu, in denen die ErntearbeiterInnen ihre Arbeitszeiten eintragen können - immer wieder eines der wichtigsten Beweismittel bei etwaigen Gerichtsfällen.
Die Sezonieri ziehen vor Gericht
Melo kann heute von vielen Fällen berichten, in denen die Sezonieri-Kampagne ErntehelferInnen zu ihrem Recht verholfen hat. So arbeiteten etwa bei einem Bauern in Absam, Tirol, zwei Rumänen unter sklavenähnlichen Bedingungen: Der Bauer ließ sie nicht nur in der Landwirtschaft schuften, sondern auch im Wald, im Haushalt und in der Gastwirtschaft, sieben Tage die Woche, bis zu 83 Stunden, für rund 700 Euro im Monat.
In diesem Fall reichte die PRO-GE Zivilklage ein und forderte eine Nachzahlung von fast 57.000 Euro. In einem anderen Fall arbeiteten ErntehelferInnen auf einem niederösterreichischen Kraut-Hof jahrelang für einen Stundenlohn von 3,50 Euro, bis zu 17 Stunden am Tag, bekamen keine Überstundenzuschläge und auch keine Sonderzahlungen. Als sie von den Sezonieri-AktivistInnen einen Flyer in die Hand gedrückt bekamen, wandten auch sie sich an die PRO-GE, die die offenen Ansprüche einklagte. Vier ErntehelferInnen erhielten eine Nachzahlung von insgesamt 27.500 Euro.
Derartige Feldaktionen der Sezonieri-Kampagne finden mittlerweile mehrfach jährlich in verschiedenen Bundesländern statt – und zwar so lange, bis die Ausbeutung in Österreichs Landwirtschaft beendet wird.
Weitere Informationen zur Sezonieri-Kampagne gibt es unter: www.sezonieri.at