Gewerkschaftsgeschichte
„Wir lassen uns nicht an Hitler verkaufen“
Der verzweifelte Kampf der Gewerkschaften gegen den Nationalsozialismus und warum sie schließlich scheiterten
Das Ende der jungen Demokratie in der Ersten Republik kündigte sich bereits im Jahr 1920 an. Die Christlichsozialen übernahmen die Regierung, die Sozialdemokratische Arbeiterpartei blieb in der Opposition eine verlässliche Partnerin der starken Arbeiter:innenbewegung. Diese fiel nicht nur durch Streiks und Boykotts, sondern auch durch Demonstrationen, ihre Forderungen und ihren Widerstand gegen den Austrofaschismus und Nationalsozialismus lautstark auf.
Arbeitermörder
So auch, als zwei 1927 „Arbeitermörder“, die in Schattendorf ein Arbeiterkind und einen Gewerkschafter umgebracht hatten, freigesprochen wurden. Empörte Menschen strömten nach der Urteilsverkündung zum Justizpalast, die Polizei schoss in die Menge – am Ende brannte das Gebäude, 89 Menschen waren tot, mehr als 1.000 verletzt und mehr als 900 angezeigt. Klar war: Regierungen, die auf das Volk schießen lassen, haben kein Demokratieverständnis. Es war der Anfang vom Ende der jungen Republik.
Paramilitärische Wehrverbände
Bankenpleiten und die Weltwirtschaftskrise brachten in den 1930er-Jahren hohe Arbeitslosigkeit und Verschlechterungen bei den Sozialgesetzen. Gleichzeitig marschierten paramilitärischen Wehrverbände der Christlichsozialen, die Heimwehr und der sozialdemokratische Schutzbund durch die Straßen - und die Nationalsozialisten verübten Anschläge und feierten erste Wahlerfolge.
Geschäftsordnungskrise
Am 4. März 1933 endete die Demokratie der Ersten Republik endgültig: Der christlichsoziale Bundeskanzler Engelbert Dollfuß nutze eine Lücke in der Geschäftsordnung des Parlaments, um es auszuschalten. Versammlungsverbot, Zensur und ein Ausschalten der Opposition folgten, der Austrofaschismus wurde auf den Weg gebracht. Die Freien Gewerkschaften gingen dagegen auf die Straße. Den Sieg der Austrofaschisten konnten sie trotzdem nicht verhindern.
Massenverhaftungen
Nach den Februarkämpfen 1934 wurden die Sozialdemokratische Arbeiterpartei und die Freien Gewerkschaften verboten. Unterdrückung, Überwachung, Massenverhaftungen, Angst und Aussetzung des Rechtstaates waren die Konsequenz. Ebenso die Gründung einer ständestaatlich organisierten Einheitsgewerkschaft.
Die nun illegal agierenden sozialdemokratischen Gewerkschafter:innen wurden verhaftet und zu langen Gefängnisstrafen verurteilt. Sie gaben trotzdem nicht auf. Die Betriebsratswahlen 1936 waren die einzigen Wahlen während der Diktatur des Austrofaschismus. Allen Umständen zum Trotz konnten sozialdemokratisch eingestellte Betriebsrät:innen erfolgreich gewählt wurden.
Zu viele Faschisten
Dem Druck der Nationalsozialisten hatten Austrofaschisten trotzdem kaum etwas entgegenzusetzen. Im Juliabkommen von 1936 bekannte sich Deutschland zwar theoretisch dazu, Österreich als selbstständigen Staat anzuerkennen. Kurt Schuschnigg lies als Dollfuß’ Nachfolger die inhaftierten Nationalsozialisten dafür aber frei und deutsche Propagandazeitschriften zu. Die illegalen Gewerkschaften erkannten die Gefahr, die entstanden war, und erklärten sich auch bereit, unter gewissen Bedingungen die Freiheit Österreichs an der Seite des Staates zu verteidigen. Weder Schuschnigg noch die Presse hatte daran Interesse.
Hitler drohte mittlerweile offen mit dem Einmarsch und stellte seine Forderungen. Der Ruf nach einem Generalstreik wurde von der Einheitsgewerkschaft aber nicht gehört, nachdem Schuschnigg Hitler im Berchtesgadener Abkommen im Februar 1938 weit entgegengekommen war.
Widerstand der Arbeiter:innen
Teile der österreichischen Arbeiterschaft reagierten unmittelbar und heftig. Am 14. Februar kam es in einigen Wiener Fabriken unter der Parole „Wir lassen uns nicht an Hitler verkaufen“ zu Protesten. Der Ruf nach einem Generalstreik wurde laut. Doch der Vorsitzende der Einheitsgewerkschaft lehnte Streiks ab, dies würde Hitler Anlass geben, Truppen zu schicken, um den „bolschewikischen Aufstand“ niederzuschlagen.
Am 17. Februar versammelten sich die Obmänner sämtlicher Gewerkschaften und die Hauptvertrauensmänner der Wiener Großbetriebe, um Stellung gegen die Nationalsozialisten und für freie Gewerkschaften zu nehmen. Diese wurde schließlich von rund einer Million Arbeiter:innen und Angestellten unterschrieben.
Freiheit!
Am 20. Februar 1938 hielt Hitler vor dem Deutschen Reichstag eine Rede: Das Berchtesgadener Abkommen sei der erste Schritt zur Eingliederung Österreichs ins Deutsche Reich. „Wir wollen ein freies Österreich! Freiheit!”, skandierten daraufhin die Arbeiter:innen, die auf die Straße gingen. Und: Die illegalen Arbeiterorganisationen arbeiteten ein Papier aus, unter welchen Umständen sie den Kampf um Österreichs Freiheit unterstützen würden. Schuschnigg zögerte und empfing sie erst am 4. März 1938. Während Arbeitsminister Hans Rott, Staatssekretär Adolf Watzek und Johann Staud, Vorsitzender der Einheitsgewerkschaft, mühsame Verhandlungen führten, wuchs der Druck der Nationalsozialisten.
Forderungen an Bundeskanzler Schuschnigg
Am 7. März berief die Führung der illegalen Freien Gewerkschaften eine Vertrauensleutekonferenz ein. 350 Vertrauensleute diskutierten stundenlang und kamen schließlich zum Schluss: „Wir sind bereit, uns für die Verteidigung der österreichischen Selbstständigkeit einzusetzen, aber diese Bereitschaft ist nicht bedingungslos, sie ist an die Legalisierung der Freien Gewerkschaften und an die Erlassung der Amnestie für inhaftierte Gewerkschafter:innen geknüpft.“ Dazu kamen noch weitere Forderungen wie Rede- und Versammlungsfreiheit oder freie Wahlen.
Die Lage spitze sich zu. Schuschnigg kündigte eine Volksabstimmung über die Selbstständigkeit Österreichs an und es entstanden bisher unvorstellbare Allianzen. Die Austrofaschisten und die illegale Arbeiter:innenbewegung demonstrierten am 10. und 11. März 1938 gemeinsam für die Selbstständigkeit Österreichs, die Nationalsozialisten dagegen.
Zu späte Einigung
Als Hitler am 10. März befahl, den Einmarsch vorzubereiten, warteten die Arbeiter:innen vergeblich auf den offiziellen Aufruf zum Widerstand. Eine Volksabstimmung wurde abgesagt. Eine zuvor gefunden Einigung, die unter anderem die Herausgabe eine freien Gewerkschaftszeitung erlaubt und das Verbot der Arbeiter-, Kultur- und Sportvereine aufgehoben hätte, war nicht mehr wichtig.
Massenansammlungen und erste Fluchtversuche folgten. In Floridsdorf standen 10.000 Arbeiter:innen bereit, um in die Stadt zu marschieren und gegen die Nazis kämpfen. Aber sie wären mit Knüppeln und Hämmern der Waffengewalt der Nazis unterlegen gewesen. Sie mussten dem in der gleichen Nacht beginnenden Nazi-Terror gegen Jüdinnen und Juden, Antifaschist:innen und Austrofaschisten machtlos zusehen.
Das Ende
Am 12. März marschierte Hitler ein und wurde mit Heilrufen empfangen. Gleichzeitig begann die SS, die SA und die Gestapo mit einer gewaltigen Verhaftungswelle. Rund 70.000 Menschen wurden innerhalb kürzester Zeit festgenommen, darunter viele Gewerkschafter:innen, und ohne Anklage in Gefängnisse gesteckt oder in Konzentrationslager deportiert. Die illegale Organisation der Freien Gewerkschaften war zerschlagen, Österreich verschwand von der Landkarte und das menschenverachtende Regime der Nationalsozialisten nahm ihren Lauf.
Damit dies nie wieder geschieht, kämpft der ÖGB seit 1945 für ein Österreich, in dem Faschismus, Rassismus, Sexismus und Diskriminierung keinen Platz haben.