Geschichte
Das dunkle Zeitalter der Krankenpflege
Personalmangel und chronische Überarbeitung gibt es in der Pflege nicht erst seit Corona. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass es eigentlich schon immer so war
Die Geschichte beginnt im 18. Jahrhundert, im „Dunklen Zeitalter der Krankenpflege“. Damals erkannten Beamte, dass Frauen reinlicher seien, größeres Mitleid mit Kranken empfänden und mit „mäßiger Belohnung“ zufriedener wären als Männer. Absurde Gedanken. Aber genau damit wurde ein entscheidender Grundstein für die Pflege als Frauenberuf gelegt.
Im dunklen Zeitalter zogen ungeschulte Frauen in Verschläge in Krankensälen, um jederzeit verfügbar zu sein. Die Ärzte – Frauen dürfen erst seit 1900 Medizin studieren – sahen die Krankenwärterinnen nur als Hilfspersonal und erwarteten, dass sie sich im „idealen Frauenberuf“ aufopferten und unverheiratet blieben.
In keinem anderen Land gibt es ein unterdrückteres und mehr mit Füßen getretenes Pflegepersonal als in Österreich.
Lohn oder gratis Dienst aus Nächstenliebe?
Erst im Jahr 1864 wurden pro Krankenzimmer zwei ungeschulte Wärterinnen aufgenommen. Sie arbeiteten in 24-Stunden-Schichten, waren - wie selbstverständlich - schlecht bezahlt und hatten nur befristete Verträge: Schließlich wollte der Arbeitgeber sichergehen, dass sich der Zustand der PatientInnen tatsächlich verbesserte.
Kurz darauf folgten aber bereits erste Sparmaßnahmen. Die Spitalsbetreiber wollten die bezahlten Wärterinnen durch ungeschulte Nonnen ersetzen. Der Grund: Nonnen tun den Dienst aus Nächstenliebe und nicht wegen des Geldes. Die Antwort der Wärterinnen folgte auf dem Fuß: Sie forderten höhere Gehälter.
Heiratsverbot
Die Leiter der Krankenhäuser merkten schließlich, dass sie geschultes Personal brauchen. Im Jahr 1882 gründete der Chirurg Theodor Billroth die erste Schule für Krankenschwestern. Die Ausbildung dauerte drei Jahre, und nach fünf Jahren Dienst gab es eine lebenslange Anstellung, allerdings mit einer Auflage: Heiratsverbot. In den folgenden Jahren richteten – ob des enormen Schwesternmangels – mehrere Krankenhäuser Schulen ein.
Der Staat ließ sich mit der Regelung zur Ausbildung aber Zeit – solange, bis es in den Jahren 1912 und 1913 die Balkankriege gab. In den Lazaretten kümmerten sich nur freiwillige, unbezahlte und oft ungeschulte Krankenschwestern um die Verwundeten und es war bald klar, dass es ausgebildetes Personal braucht, um die Pflege zu verbessern.
Trotzdem dauerte es noch fast ein Jahr, bis die Verordnung betreffend die berufsmäßige Krankenpflege am 25. Juni 1914 in Kraft trat. Die Verordnung enthielt unter anderem, dass die Schülerinnen Geduld und Aufopferungsbereitschaft zur zweijährigen Ausbildung mitzubringen hätten, und auch das Heiratsverbot blieb bestehen – in Kärnten sogar bis in die 1950er-Jahre.
Krankenschwestern auf Kriegsschauplätzen
Die Verordnung kam zu spät, um für den Ersten Weltkrieg genügend ausgebildete Krankenschwestern zu haben. Der Krieg begann nur knapp ein Monat später, am 28. Juli 1914. Tausende freiwillige, oft ungeschulte Armeeschwestern traten ihren Dienst an: in Kriegskrankenhäusern, in Lazaretten und direkt an der Front. Sie assistierten Ärzten bei Operationen, versorgten Verwundete und spritzten totgeweihten Soldaten Morphium. Die Schwestern arbeiteten inmitten von Kampfhandlungen oft tagelang ohne Schlaf und wochenlang, ohne aus den Kleidern zu kommen – manch eine geriet in Kriegsgefangenschaft.
Für ihren Dienst erhielten sie kein oder nur sehr wenig Entgelt, und als die rund 25.000 Frauen nach Kriegsende zurückkehrten, standen sie vor dem Nichts.
Krankenschwestern in der Ersten Republik
Das Ministerium für soziale Fürsorge versuchte, für die arbeitslosen Armeeschwestern neue Arbeitsplätze zu finden – nämlich dort, „wo sie hingehörten“: in die Land- und Hauswirtschaft und in die Heimarbeit. Auf Druck der 1917 gegründeten Gewerkschaft der geschulten Krankenpflegerinnen unter der Leitung von Lucie Loch gelang es schließlich, dass die Armeeschwestern abgekürzte Ausbildungen zur diplomierten Krankenschwester absolvieren durften.
Auch wenn in der Ersten Republik nun wieder Krankenschwestern ausgebildet wurden, herrschte großer Mangel. Manche Spitäler mussten deshalb Krankensäle schließen. Die nächsten Jahre waren von alten Forderungen geprägt: Diplomkrankenschwestern sollten weiterhin durch Nonnen ersetzt werden und wegen den Sparmaßnahmen kam es schließlich zum Personalabbau sowie zu Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen.
Die gewerkschaftlich organisierten Frauen antworteten mit „Passiver Resistenz” (Dienst nach Vorschrift), Resolutionen und Versammlungen. All dies half aber nichts: Die Arbeitszeit wurde von 48 auf 56 Wochenstunden angehoben, die Nachtschichtzulage gestrichen und der Vierwochenurlaub gekürzt.
Krankenschwestern während des Austro- und Nationalsozialismus
Es kam noch schlimmer. Nach den Februarkämpfen 1934 verboten die Austrofaschisten die freien Gewerkschaften – darunter auch Lochs Fachorganisation – und alle, die in Krankenpflegeschulen lernen wollten, mussten Mitglied in der faschistischen Partei „Vaterländische Front“ sein.
Nach dem sogenannten Anschluss im März 1938 wurden wieder mehr Schulen eröffnet. Das NS-Regime hatte errechnet, dass in Österreich 70.000 PflegerInnen fehlten. Diese sollten nun nach deren menschenverachtenden Ideologie ausgebildet werden. Juden und Jüdinnen waren ob der Rassengesetze von der Ausbildung ausgeschlossen.
Während des Zweiten Weltkriegs wurden wieder Krankenschwestern an die Front geschickt. Sie beteiligten sich aber auch an der „Vernichtung unwerten Lebens“ (behinderte Menschen), arbeiteten in Konzentrationslagern und assistierten bei Zwangssterilisierungen (rund 400.000 allein in Österreich und Deutschland) sowie Zwangsabtreibungen von „erbkranken“ Babys.
Personalmangel in der Zweiten Republik
Im Jahr 1948 wurde die Nachfolgerin von Lochs Gewerkschaft gegründet, die bis heute existierende ARGE FGV für Gesundheits- und Sozialberufe, deren VertreterInnen damals wie heute vor großen Herausforderungen standen: Mangel an Pflegepersonal, überlange Arbeitszeiten und Unterbezahlung der Beschäftigten. Erreicht wurden zwar Kollektivvertragsabschlüsse und die Akademisierung des Pflegeberufs, aber spätestens seit der Corona-Pandemie ist klar: Es braucht noch viele weitere Verbesserungen.
Von der Roadmap zur Pflegestiftung
Deshalb hat der ÖGB im Vorjahr dem Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), die „Roadmap Gesundheit 2020“ mit sechs zentralen Forderungen übergeben– schließlich fehlen bis zum Jahr 2030 76.000 Pflegekräfte. Auch ist sich der ÖGB der weitragenden Arbeit von Pflegekräften bewusst und fordert deshalb eine Pflegestiftung, um Menschen, die einen Job suchen, durch die Pflege wieder in das Berufsleben zu integrieren.