Gewerkschaftsgeschichte
Die langen Geburtswehen des Mutterschutzgesetzes
Von unbezahlten Zeiten der Wöchnerinnen bis zum ÖGB-AK-Familienarbeitszeitmodell
„Das Mutterschutzgesetz, das (…) unter außerordentlich langen und schwierigen Geburtswehen entstanden ist, wird sich gut für Mutter und Kind auswirken“, sagte die Textilgewerkschafterin und ÖVP-Nationalrätin Grete Rehor bei der Parlamentsdebatte über die Verabschiedung des Mutterschutzgesetzes im März 1957. Die Geburtswehen dauerten 72 Jahre. Zwischen der ersten Verankerung eines Arbeitsverbotes nach der Entbindung im Jahr 1885 in der Gewerbeordnung und der Verabschiedung des österreichischen Mutterschutzgesetzes im Jahr 1957.
Obwohl das Gesetz mehrfach novelliert wurde, 1979 ein neues im Nationalrat verabschiedet wurde und inzwischen auch der Papamonat und die Väterkarenz möglich sind, haben die Gewerkschaftsfrauen noch einige offene Forderungen. Etwa vollen Lohnausgleich im Papamonat ohne Anrechnung auf das Kinderbetreuungsgeld oder die volle gesetzliche Anrechnung der Pflege- und Familienhospizkarenzzeiten auf alle dienstzeitabhängigen Ansprüche. Dies hätte für die Frauen im 19. Jahrhundert wie die reinste Utopie geklungen und nicht wie ein mögliches Resultat eines langen Kampfes der Gewerkschaftsfrauen.
Eine höchst bedenkliche Erscheinung
Am Anfang des Mutterschutzes stand eine „höchst bedenkliche Erscheinung“: die sehr hohe Kindersterblichkeit, wie eine Zeitung berichtete. Der Journalist Isidor Singer gab dafür der Industrie die Schuld: Mütter wie Väter waren durch die ununterbrochene Arbeit in den Fabriken geschwächt, wohnten wegen niedriger Löhne in überfüllten, unhygienischen Unterkünften und hatten keine Zeit, sich um ihre Kinder zu kümmern. Diese verwahrlosten, erkrankten und im schlimmsten Fall verstarben sie. Erst mit der Novelle der Gewerbeordnung im Jahr 1885 zog der Mutterschutz in die österreichische Gesetzgebung ein. Die Bestimmung lautete, Wöchnerinnen dürfen erst vier Wochen nach der Niederkunft wieder arbeiten. Doch kaum eine Frau hielt sich daran, für die allermeisten war es schlicht nicht leistbar, ohne Einkommen zu sein.
Dies änderte sich im März 1888 für eine kleine Gruppe von Müttern. Erstmals bekamen sie geburtshilflichen Beistand und konnten Krankenunterstützung bei der Krankenversicherung beantragen. Sie erhielten bis zu 75 Prozent ihres Lohnes als Krankengeld. Von der Regelung waren allerdings 89 Prozent der Mütter ausgeschlossen.
Hochschwangere an Maschinen
Dies empfanden die Gewerkschaftsfrauen als höchst ungerecht und forderten die Verbesserung des Mutterschutzes. Es war Dauerthema bei Konferenzen, Versammlungen und Demonstrationen. Die Sozialdemokratin Emmy Freundlich brachte die Situation der Mütter auf den Punkt: Die Arbeiterinnen würden Kinder nicht zu ihrer Freude auf die Welt bringen, sondern um die Friedhöfe zu bevölkern. Hochschwangere, die bis zur Geburt ihres Kindes an der Maschine stünden, würden von den Vorgesetzten roh behandelt, da sie nicht mehr zu hundert Prozent roboten könnten. Und um während der Wöchnerinnenzeit überleben zu können, müssten die Mütter Heimarbeit annehmen. Man könne sich jedoch im Parlament nicht dazu entschließen, sich mit den Forderungen, die im Interesse der Arbeiterschaft gelegen waren, zu beschäftigten.
Unzufriedene Gewerkschaftsfrauen
Es dauerte, bis die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges spürbar wurden – massive Steigerung der Frauenbeschäftigung, Geburtenrückgang, Zunahme von Fehlgeburten sowie Kindersterblichkeit – bis Kaiser Karl einer Änderung des Krankenversicherungsgesetzes im Jahr 1917 zustimmte. Mütter stand nun bei der Geburt neben einer Ärztin oder einem Arzt auch eine Hebamme bei, die Dauer des Beschäftigungsverbotes wurde auf bis zu zwölf Wochen ausgedehnt und der Bezieherinnenkreis erweitert. Während der Ersten Republik gab es zahlreiche Änderungen, darunter auch, dass Mütter ab dem Jahr 1921 erstmals Anspruch auf Bezug des Krankengeldes auch sechs Wochen vor der Geburt hatten. Den Gewerkschaftsfrauen war dies allerdings nicht genug.
So kritisierten sie im Jahr 1928 beim Gewerkschaftstag des Bundes freier Gewerkschaften, dass die Zuwendungen der Krankenversicherung allein nicht genügten, um die Mütter zu schützen. In wirtschaftlich schweren Zeiten würden Hochschwangere immer noch aus Angst vor Entlassung bis zum letzten Moment an der Maschine stehen. Aber nichts änderte sich. Nach dem „Anschluss an das Deutsche Reich“ im März 1938 galt ab 1. Februar 1940 das Gesetz über die Beschäftigung vor und nach der Geburt auch in der „Ostmark“, allerdings nur für „arische Mütter“. Nach Kriegsende blieb das 1942 erlassene nationalsozialistische Mutterschutzgesetz in Kraft. Es galt jetzt jedoch für alle Frauen.
Erste Gesetzesinitiativen
Die Gewerkschafterinnen und Sozialdemokratinnen forderten natürlich ein neues Gesetz. Im Mai 1953 brachten Nationalrätinnen den Antrag zum Mutterschutzgesetz im Parlament ein. Sie forderten Schutzfristen für werdende Mütter vor und nach der Geburt, ein Verbot der Mehrarbeit sowie der Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit, die Einführung von Stillzeiten, Beschäftigungsverbote, Kündigungsschutz, Wochen- und Stillgeld sowie Sonderbestimmungen für Heimarbeiterinnen und Hausgehilfinnen.
Der Gesetzesentwurf traf aber bei jenen, die „mit verzücktem Augenaufschlag von der Heiligkeit der Mutterschaft schwärmten“, auf keine Gegenliebe. Trotz der sinkenden Geburtenrate und der hohen Kindersterblichkeitsrate lehnten einige Wirtschaftstreibende das Gesetz ab. Die Forderung nach Verstärkung des Kündigungsschutzes sowie der von den Gewerkschafterinnen vorgeschlagene sechsmonatige Karenzurlaub wären unzumutbar, sagten sie.
Unbezahlter Karenzurlaub
Erst als sich der Konjunktureinbruch 1953/54 neben der ansteigenden Arbeitslosigkeit auch negativ auf die Geburtenrate auswirkte, wurde das Mutterschutzgesetz im Jahr 1957 verabschiedet. Es enthielt fast alle Forderungen der Gewerkschafterinnen und auch den „unzumutbaren“ sechsmonatigen – allerdings unbezahlten - Karenzurlaub. Jedoch nahmen nur 60 Prozent der Mütter diesen Karenzurlaub in Anspruch. Also übten die Gewerkschafterinnen weiter Druck aus und konnten erreichen, dass Mütter schließlich ab 1. Jänner 1961 in bezahlten Karenzurlaub gehen konnten.
Familienarbeitszeitmodell
Nun begann eine neue Runde im Kampf der Gewerkschaftsfrauen: Es ging nun um die Verbesserung der bestehenden Regelungen und die Väterkarenz. Als die Metall-Gewerkschafterin Franziska Fast die Einführung der Väterkarenz vorschlug, erntete sie lautes Gelächter. Aber sie fand Unterstützerinnen, wie Johanna Dohnal, die den „Parentalurlaub“ propagierte. Gewerkschafterinnen im Nationalrat und deren Kolleginnen brachten einen Initiativantrag zur Einführung des wahlweisen Karenzurlaubes ein, scheiterten allerdings an der Opposition. Im Dezember 1989 legten sie einen Antrag zum „Väter-Karenz-Urlaubsgesetz“ vor und waren erfolgreich. Das Eltern-Karenzurlaubsgesetz wurde im Dezember 1989 verabschiedet. Die Gewerkschafterinnen waren euphorisch: Es wäre ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das „Risiko“, Kinder zu bekommen, sei nun für beide Geschlechter gleich groß und Arbeitgeber würden wieder junge Frauen einstellen, argumentierten sie.
Aber sie wurden enttäuscht. Der Weg blieb steinig, bis er – viele kämpferische Jahre später – doch zum Papamonat und zur Akzeptanz der Väterkarenz führte. Doch das Ziel ist noch lange nicht erreicht. Im Jahr 2021 gab es in acht von zehn Partnerschaften keine Väterbeteiligung. Die Gründe dafür sind vielfältig, aber auch Lösungen liegen auf dem Tisch. Eine davon ist das von ÖGB und AK entwickelte Familienarbeitszeitmodell.
Noch offene Forderungen der Gewerkschaftsfrauen
- Voller Lohnausgleich des Papa- bzw. Babymonats ohne Anrechnung auf das Kinderbetreuungsgeld
- Verbesserung der Wiedereinstiegsmaßnahmen nach Mutterschutz oder Karenzen
- Volle gesetzliche Anrechnung der Pflege- und Familienhospizkarenzzeiten auf alle dienstzeitabhängigen Ansprüche sowie Anrechnung aller Dienstverhältnisse unter sechs Monaten Beschäftigungsdauer (Leiharbeit, Saisonarbeit).
- Anspruch auf Elternteilzeit für alle Mütter und Väter unabhängig von Betriebsgröße und Dauer der Betriebszugehörigkeit