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Angestellte im Gemeindedienst beim Einsortieren von Karteikarten (1959) @Kammler/ÖGB-Bildarchiv via younion
Angestellte im Gemeindedienst beim Einsortieren von Karteikarten (1959) @Kammler/ÖGB-Bildarchiv via younion

Gewerkschaftsgeschichte

Eines der fortschrittlichsten Sozialgesetze der Welt: das Angestelltengesetz 1921

Eine kurze Geschichte über die Entstehung des Angestelltengesetzes

Der Gesetzgeber zog Mitte des 19. Jahrhunderts eine bis heute bestehende Trennlinie zwischen unselbstständigen Erwerbstätigen, nämlich zwischen ArbeiterInnen und Angestellten. Mit der Gewerbeordnung (1859) entstand die Gruppe des „Gewerblichen Hilfspersonals“ – etwa: Gehilfen, Gesellen, Kutscher, FabrikarbeiterInnen, Lehrlinge und jene, die in Gewerben arbeiteten. Vier Jahre später erschienen im Allgemeinen Handelsgesetzbuch (1863) erstmals Bestimmungen für Angestellte, die damals noch Handlungsgehilfen oder Privatbeamte hießen. 

Privilegien für Angestellte  

Die beiden Gesetze waren das Resultat der Industriellen Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts. Damals stieg nicht nur die Anzahl der FabrikarbeiterInnen, sondern auch die der Angestellten an. Während FabrikarbeiterInnen leicht ersetzbar waren, brauchten SpezialistInnen wie BuchhalterInnen, ZeichnerInnen oder Werkführer oft eine lange Anlernzeit. Deshalb achteten ArbeitgeberInnen darauf, sie möglichst lange im Betrieb zu halten. Und zwar mit Privilegien, von denen ArbeiterInnen damals nur träumen konnten: bezahlter Urlaub, Kündigungsfristen oder Gehaltsfortzahlung im Krankenstand. 

Der Vorsitzende des Vereins der kaufmännischen Angestellten, Karl Pick, bei einer Ansprache am 1. Mai 1930
Der Vorsitzende des Vereins der kaufmännischen Angestellten, Karl Pick, bei einer Ansprache am 1. Mai 1930 Der Kuckuck

Meister der sozialpolitischen Gesetzeswerke 

Auch auf gewerkschaftlicher Ebene organisierten sich ArbeiterInnen und Angestellte in unterschiedlichen Organisationen. So wurde etwa 1892 der Verein für kaufmännische Angestellte gegründet, der ab 1895 unter der Leitung von Karl Pick, dem „Meisters der sozialpolitischen Gesetzeswerke.“. Er erreichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts für das „Stehkragenproletariat“ (VerkäuferInnen) die Sonntagsruhe und die Vorverlegung der Sperrstunde im Handel. Seine großen Meisterstücke waren aber auch die Durchsetzung des Pensionsversicherungsgesetzes für die Privatangestellten (1906) und des Handlungsgehilfengesetzes (1910).  

Pensionsversicherungsgesetz für Angestellte  

Allerdings gab es Schönheitsfehler. Das Pensionsversicherungsgesetz galt nur für einen geringen Teil der Angestellten und die strengen Anspruchsregelungen schlossen vor allem Frauen aus.  

Das Handlungsgehilfengesetz hingegen brachte u. a. bezahlten Urlaub von zehn Tagen bis zu drei Wochen und die Verlängerung der Kündigungsfristen. Für ArbeiterInnen gab es diesbezüglich keine gesetzlichen Regelungen.  

Kündigungsverbot während des Ersten Weltkrieges  

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges standen viele Angestellte vor der Wahl: Kündigung oder Gehaltsverzicht, und für eingezogene Soldaten aus dem Angestelltenbereich gab es überhaupt keine arbeitsrechtlichen Regelungen. Es brauchte gehörigen Druck der Gewerkschaften, bis Kaiser Franz Josef im Februar 1916 eine Verordnung unterzeichnete, die ein zeitlich begrenztes beidseitiges Kündigungsverbot enthielt. Somit war zurückkehrende Soldaten ein Rückkehrrecht auf ihren alten Arbeitsplatz garantiert bzw. eine Entgeltfortzahlung von sechs Wochen. Nichts davon galt für die aus dem Krieg zurückkehrenden Arbeiter.  

Bundesgesetzblatt des Bundesgesetzes über den Dienstvertrag der Privatangestellten, kurz Angestelltengesetz 1921
ris.bka.gv.at

Lebhafte Verhandlungen 

In der Ersten Republik setzte sich der damalige Sozialminister und Textilgewerkschafter, Ferdinand Hanusch, für die Umsetzung langjährige Gewerkschaftsforderungen ein: Arbeits- und Sozialgesetze, die für alle ArbeitnehmerInnen gelten. Wie etwa das Achtstundentagsgesetz, das Kollektivvertragsgesetz und das Betriebsrätegesetz. Auch Karl Pick, jetzt als Nationalratsabgeordneter, kämpfte weiterhin für die Angestellten und erreichte abermals ein Sondergesetz.  

Es brauchte dazu einen Unterausschuss, Enqueten, Beschlüsse, Kundgebungen und vor allem Verhandlungen, bei denen es „sehr lebhaft, manchmal sogar zu lebhaft“ zuging, bis schließlich der Nationalrat am 11. Mai 1921 das Angestelltengesetz verabschiedete.  

Glückliche Angestellte 

Das Angestelltengesetz beinhaltete u. a. Abfertigung, die sechswöchigen Entgeltfortzahlung für weibliche Angestellte nach der Entbindung, Kündigungsverbot von Schwangeren sowie bezahlter Urlaubsanspruch bereits nach sechs Monaten Dienstzeit und von bis zu fünf Wochen nach 25 Jahren Dienstzeit. ArbeiterInnen hatten damals einen Urlaubsanspruch von einer Woche.  

Während das Angestelltengesetz einerseits als Sondergesetz, dass nur sechs Prozent der unselbstständigen Erwerbstätigen galt, kritisiert wurde, feierten es andere als eines der „fortschrittlichsten Sozialgesetze der Welt“ und strichen dessen Vorreiterrolle hervor.  

Angleichung der arbeitsrechtlichen Regelungen

Die Vorreiterrolle des Angestelltengesetzes und der Druck der Gewerkschaften machte sich während der Zweiten Republik bezahlt. Unter dem Sozialminister und Metallgewerkschafter Karl Maisel gelang der erste große Meilenstein: das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz. Dieses verdiente die Bezeichnung „allgemein“, galt es doch für alle. 

Danach wurde in mühsamer Kleinarbeit die restlichen arbeitsrechtlichen Ungleichheiten zwischen ArbeiterInnen und Angestellten beseitigt, etwa beim Urlaubsanspruch oder bei den Abfertigungen. Am 1. Oktober 2021 soll nun der letzte Unterschied beseitigt werden: die Kündigungsfristen werden angeglichen.