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Fünf starke Frauen im Jahr 1904: Obere Reihe vl. Therese Schlesinger und Adelheid Popp; Untere Reihe vl. Anna Boschek, Amalie Seidel und Lotte Glas-Pohl
Fünf starke Frauen im Jahr 1904: Obere Reihe vl. Therese Schlesinger und Adelheid Popp; Untere Reihe vl. Anna Boschek, Amalie Seidel und Lotte Glas-Pohl ÖGB-Archiv

Gewerkschaftsgeschichte

150. Geburtstag von Anna Boschek: Haltet fest, was wir errungen haben

Über die begeisterte Kämpferin für die werktätigen Frauen Anna Boschek

Im Wiener Rathauskeller fand am 2. Dezember 1919 eine „schlichte, aber innige“ Feier statt. Anna Boschek wurde für ihre 25-jährige Tätigkeit bei der Gewerkschaft geehrt. Ihre Genossinnen erinnerten daran, dass die „begeisterte Kämpferin für die werktätigen Frauen“ mit nur zwanzig Jahren die erste weibliche Angestellte der Gewerkschaftskommission geworden war. Und auch daran, dass sie in einer Zeit, als Frauen sich noch kaum in der Arbeiter:innenbewegung engagierten, als „unermüdliche Agitatorin“ durch die deutsch-böhmischen Provinzorte gereist war, um Arbeiterinnen der Textil-, Porzellan- und Glasindustrie aufzurütteln.

 

In ihrer Karriere als Gewerkschafterin und Nationalrätin während der Ersten Republik und als Obfrau des Vereins der Heimarbeiterinnen hatte Boschek vieles erkämpft und versucht, es während des Ersten Weltkrieges und des zunehmenden Faschismus in der Ersten Republik zu erhalten. 

Anna Boschek in Jugendjahren, o.J.
Anna Boschek in Jugendjahren, o.J. ÖGB-Archiv
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Harte Kindheit

Als Boschek im Mai 1874 als Tochter eines Gepäckträgers und einer Heimarbeiterin auf die Welt kam, gab es keine Arbeitszeitregelungen, keinen Urlaubsanspruch, keinen Wöchnerinnenschutz, kein Verbot der Kinderarbeit, keine gesetzlichen Regelungen für Hausgehilfinnen und Heimarbeiterinnen und auch keine Witwenpensionen für Arbeiterinnen.

Deshalb mussten sie und ihre drei Geschwister nach dem frühen Tod des Vaters der Mutter bei der Heimarbeit helfen. Mit nur elf Jahren ging Anna Boschek nach der Schule täglich vier Stunden lang in eine Perlenbläserei. Mit nur 13 Jahren musste sie die Schule verlassen und im feuchten Keller einer Galvanisierungswerkstätte von sieben Uhr morgens bis acht Uhr abends arbeiten.

 

Mehrmals wechselte sie die Arbeitsplätze, fand aber schließlich in einer Trikotfabrik als Spulerin eine dauerhafte Beschäftigung. Doch die als „leichte Arbeit mit gutem Lohn“ annoncierte Stelle war in Wirklichkeit ein schlecht bezahlter, „knochenharter“ Job mit langen Arbeitszeiten. Dort sagte eine Kollegin zu ihr, es sei die Pflicht jeder Arbeiterin, dass sie der anderen beistehe, und wenn alle Arbeiterinnen zusammenhielten, könnten sie auch bessere Löhne erringen.

 

Im Jahr 1912 reiste Anna Boschek zu den Bergmannwerken in Rosenbach, um für die Gewerkschaft zu werben.
Im Jahr 1912 reiste Anna Boschek zu den Bergmannwerken in Rosenbach, um für die Gewerkschaft zu werben. ÖGB-Archiv

 

Von der Handlangerin zur Gewerkschafterin

Anna Boschek nahm nun regelmäßig an Versammlungen teil und machte die Arbeiter:innenbewegung zu ihrem Lebensinhalt. Im Oktober 1893 begann sie, in der Gewerkschaftskommission zu arbeiten. Boschek engagierte sich für die gewerkschaftliche Organisation der Frauen und wurde bald neben der Frauenrechtskämpferin Adelheid Popp die zweite „hauptberufliche Politikerin“ der österreichischen Sozialdemokratie. Boschek war Gründungsmitglied vieler Gewerkschaften und Fachvereine: jener der Näherinnen, der Heimarbeiterinnen und Hausgehilfinnen, der Blumen- und Federnschmückerinnen, der Tabakarbeiterinnen und der Krankenpflegerinnen.

Neben ihrer Tätigkeit in der Gewerkschaftskommission war sie auch Mitglied des 1898 gegründeten Frauenreichskomitees und ab 1900 Delegierte zu den sozialdemokratischen Parteitagen. Sie war eine gefragte Rednerin bei Ersten-Mai-Feierlichkeiten, Frauenversammlungen, Gewerkschaftskongressen, Versammlungen von Fachvereinen und ab 1911 bei den Internationalen Frauentagen

 

Sie sprach über Forderungen wie die Einführung des Achtstundentages, des Frauenwahlrechtes und des Frauennachtarbeitsverbots und auch über die fehlende sozialrechtliche Absicherung der Heimarbeiterinnen und Hausgehilfinnen. Das Frauennachtarbeitsverbot wurde 1911 eingeführt, der Achtstundentag und das Frauenwahlrecht 1918.

Im März 1919 saßen erstmals Frauen als Nationalratsabgeordnete im Parlament. In der ersten Reihe v. l. Adelheid Popp und Anna Boschek.
Im März 1919 saßen erstmals Frauen als Nationalratsabgeordnete im Parlament. In der ersten Reihe v. l. Adelheid Popp und Anna Boschek. VGA

 

Acht Frauen im Nationalrat

Mit vielen weiteren Forderungen zogen die ersten Frauen in den Wiener Gemeinderat und ins Parlament ein. Am 4. März 1919 wurde Boschek als Nationalrätin angelobt. Der damalige Staatssekretär für soziale Fürsorge Ferdinand Hanusch holte sie in den Ausschuss für soziale Verwaltung. So war sie maßgeblich an der Vorbereitung und Ausarbeitung mehrerer Sozialgesetze beteiligt.

Zwischen 1918 und 1920 wurden die Invalidenfürsorge und die staatliche Unterstützung der Arbeitslosen, die Abschaffung der Arbeitsbücher und das Nachtarbeitsverbot für Frauen und Jugendliche durchgesetzt. Außerdem wurden das Betriebsräte-, das Kollektivvertrags- und das Arbeiterurlaubsgesetz verabschiedet und die Errichtung von Kammern für Arbeiter und Angestellte beschlossen. Allerdings fehlte immer noch ein Gesetz, das Hausgehilfinnen vor Ausbeutung schützte.

 

Anna Boschek war eine der Initiatorinnen des Stellenlosenheims für Dienstbotinnen. Hier bei der Eröffnung im Februar 1920.
Anna Boschek war eine der Initiatorinnen des Stellenlosenheims für Dienstbotinnen. Hier bei der Eröffnung im Februar 1920. ÖGB-Archiv

Im Februar 1920 hielt Boschek im Parlament eine Rede über die Situation der Hausgehilfinnen: Mehr als 100.000 Personen wären von den für Arbeiter:innen und Angestellte geltenden Gesetzen wie den Achtstundentag, der Krankenversicherung und der Arbeitslosenversicherung ausgenommen. Die Frauen im Parlament waren erfolgreich, am

26. Februar wurde das Hausgehilfengesetz verabschiedet, am 1. Mai 1920 trat es in Kraft. Es beinhaltete Entgelt-, Ruhe- und Urlaubsbestimmungen sowie dass Beschäftigten ein abschließbarer Schlafraum zur Verfügung gestellt werden muss.

 

Bücher und Filme 

Ab 1925 arbeitete Boschek eng mit der Gründerin des Frauenreferates in der Arbeiterkammer, Käthe Leichter, zusammen. Gemeinsam formulierten sie Initiativanträge und Gesetzestexte für das Parlament, schrieben für die Frauenbeilage der Zeitschrift „Arbeit & Wirtschaft“, entwickelten eine Radiosendung – „Die Stunde für die arbeitende Frau“ – und verfassten das Drehbuch für einen agitatorischen Stummfilm: „Frauenleben – Frauenlos“.

 

 

Im Jahr 1930 erschien das redaktionell von Leichter betreute „Handbuch der Frauenarbeit in Österreich“. 38 Autorinnen beleuchteten die Geschichte der weiblichen Lohnarbeit, die berufliche Situation der Frauen während des Ersten Weltkrieges und die Stellung der arbeitenden Frau im öffentlichen Leben und in der Gewerkschaftsbewegung. Sie stellten auch Forderungen zur Verbesserung der Lage auf. Aber der aufkeimende Faschismus wollte nichts davon hören.  

Der Faschismus

Im Parlament gab es ab 1930 vermehrt Angriffe auf die seit 1918 verabschiedeten Sozialgesetze und Frauenrechte. Doch Boschek gab nicht auf. Am 17. Februar 1933 hielt sie ihre letzte Rede im Nationalrat. Sie prangerte an, dass auf mehr als 33.000 erwerbstätige Frauen nur eine Arbeitsinspektorin kam, dass die Christlichsozialen gegen die Abschaffung des „Abtreibungsparagraphen“ waren, aber nichts taten, um die lebenden Kinder zu schützen.

Im Februar 1934 zerschossen das Bundesheer und die Polizei nicht nur sozialdemokratische Einrichtungen, sondern auch die Erste Republik. Hier das Café Arbeiterheim in Ottakring
Im Februar 1934 zerschossen das Bundesheer und die Polizei nicht nur sozialdemokratische Einrichtungen, sondern auch die Erste Republik. Hier das Café Arbeiterheim in Ottakring VGA

 

Nur wenige Wochen später nutzte der christlichsoziale Bundeskanzler Engelbert Dollfuß eine Geschäftsordnungskrise im Parlament, um dieses auszuschalten. Durch Notverordnungen wurden die Sozialgesetze verwässert und der Aktionsradius der Sozialdemokrat:innen und Gewerkschafter:innen eingeengt. 

 

 

Dennoch organisierte Boschek gemeinsam mit den jugendlichen Gewerkschafter:innen Aufklärungsprojekte und in zahlreichen Konferenzen warnte sie vor dem Faschismus. Als zwei Monate später, am 12. Februar 1934, der bewaffnete Kampf der Heimwehren, des Bundesheers und der Polizei gegen den Republikanischen Schutzbund, die Gewerkschaften und die Sozialdemokraten begann, war Boschek trotzdem im Gewerkschaftshaus geblieben, anstatt sich in Sicherheit zu bringen.

 

Die blutige Bilanz der Februarkämpfe

Als Bilanz der Februarkämpfe blieb nur die Erkenntnis, dass die Arbeiter:innenbewegung in Österreich zerschlagen worden war, die Sozialdemokratische Arbeiterpartei, die Gewerkschaften und deren Vereine sowie die „unliebsamen Frauenvereine“ verboten bzw. aufgelöst und deren Vermögen eingezogen waren. Dollfuß sah sich am Ziel, der Weg zur Errichtung des Ständestaates war frei. 

Anna Boschek (recht außen, zweite Reihe) war Mitglied des Ausschusses zur Beratung der Revision des Frauennachtarbeitsverbots bei der Internationalen Arbeitskonferenz Genf, 10. Juni 1931
Anna Boschek (recht außen, zweite Reihe) war Mitglied des Ausschusses zur Beratung der Revision des Frauennachtarbeitsverbots bei der Internationalen Arbeitskonferenz Genf, 10. Juni 1931 ÖGB-Archiv

Wie viele ihrer Kolleg:innen wurde auch Boschek verhaftet und verhört. Nach sieben Wochen Polizeihaft wurde sie entlassen, stand aber die nächsten zwei Jahre unter Polizeiaufsicht. Offiziell zog sie sich ins Privatleben zurück. „Inoffziell“ arbeitete sie im Untergrund. Sie nahm an den Treffen in der Wohnung der Gewerkschafterin und Nationalratsabgeordneten Amalie Seidels teil. Sie korrespondierte weiterhin mit Frauen aus den internationalen Organisationen. Mit dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich endeten ihre internationalen Kontakte. 

Anna Boschek (2. von rechts) beim ÖGB-Bundeskongress im Mai 1948
Anna Boschek (2. von rechts) beim ÖGB-Bundeskongress im Mai 1948 ÖGB-Archiv

Nach Kriegsende nahm Boschek ihre politische Tätigkeit nicht mehr wieder auf. Sie engagierte sich aber im Wiederaufbau der Gewerkschaften, nahm weiterhin an Frauenkonferenzen und Gewerkschaftskongressen teil und erinnerte bei allen ihren Reden immer daran: „Haltet fest, was wir errungen haben.“

 

Anna Boschek starb am 18. November 1957.