Gewerkschaftsgeschichte
Rudolf Hundstorfer - Gewerkschafter in schweren Zeiten
Ein Rückblick auf das herausfordernde Leben eines Brückenbauers mit Handschlagqualität
„Es war einfach brutal“, sagte Rudolf Hundstorfer über seine ersten Monate in der Funktion als ÖGB-Präsident. Der Skandal um die BAWAG hatte im Jahr 2006 den ÖGB in seinen Grundfesten erschüttert und seine Gegner:innen sahen schon das Ende des Gewerkschaftsbundes gekommen. Nur Optimist:innen meinten: „Das schaffen wir“. Einer davon war der Vorsitzende der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten (GdG), Rudolf Hundstorfer. Er übernahm am 27. März 2006 die Präsidentschaft und somit eine der größten Herausforderungen seiner Karriere – eine Karriere, die eigentlich ganz anders begonnen hatte.
Schule der Gewerkschaft
Hundstorfer wuchs in einer tiefroten Familie in Wien-Floridsdorf auf und ging mit 15 Jahren von der Hauptschule ab. „Das war das Ergebnis jugendlicher Faulheit“, erzählte er später in einem Zeitungsinterview, „ich wusste nicht was ich werden wollte, nur, dass ich etwas mit Menschen machen will.“ Geworden ist der „schöne Rudi“ – wie ihn Freunde nannten – im Jahr 1966 Kanzleilehrling im Magistrat der Stadt Wien und 1967 Jugendvertrauensrat. Dann ging er durch die „Schule der Gewerkschaft“: Obmann des Jugendausschusses, Jugendreferent, Leitender Referent und schließlich im Jahr 2001 geschäftsführender Vorsitzender in der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten, 2003 gewählter Vorsitzender und auch ÖGB-Vizepräsident – während der schwarz-blauen Regierung.
Über Schlanksparer und die Nulldefizit-Hysterie
Die schwarz-blaue Regierung hatte es auf die Gewerkschaften, die sozialen Errungenschaften der Arbeiter:innenbewegung und die Beschäftigten im Bundes-, Landes-, Gemeindedienst abgesehen. Die „Schlanksparer“ verfielen der „Nulldefizit-Hysterie“, führten etwa Ambulanz- und Studiengebühren ein und wollten so viele öffentliche Unternehmen wie möglich an Bestbieter verkaufen sowie sich als „Beamtenfresser“ einen Namen machen. Es sollten rund 30.000 Posten abgebaut werden.
Hundstorfer stand dagegen auf und kämpfte wie ein Löwe, etwa für die Beschäftigten in Krankenhäusern, Feuerwehren, Kindergärten und in sozialen Einrichtungen. Er sagte: „Der freie Markt kann nicht alles regeln, denn er hat kein soziales Gewissen.“ Von nun an sah man ihn nicht mehr nur an den Verhandlungstischen, sondern auch bei Demonstrationen und Aktionstagen.
Gleichzeitig verhandelte er aber auch die Erhöhung von Löhnen und Gehältern der Gemeindebediensteten. „Die Besoldungsverhandlungen waren kein Spaziergang“.
ÖGB-Präsident
Mitten im Bawag-Skandal wurde er ÖGB-Präsident. „Ich bin mit Leib und Seele Arbeitnehmervertreter. Es ist mir nie darum gegangen, Verantwortung nur bei Schönwetter zu übernehmen. Gewerkschafter:innen müssen Interessen der Arbeitnehmer:innen auch bei rauem Wetter vertreten”, sagte Hundstorfer in einem Interview.
Er wählte eine kluge Strategie: Statt auf Ausreden setzte er auf eine Vorwärtsstrategie: „Den ÖGB zu reformieren, neu zu positionieren und zu einem Happy End zu führen.“
Krise als Chance genutzt
Die Reform brachte u. a. die Einbeziehung von atypisch Beschäftigten und Ich-AGs in die Interessenvertretung sowie eine Mitgliederbefragung, deren Resultat war, dass sich sieben von zehn Österreicher:innen einen starken, kämpferischen und aktiven Gewerkschaftsbund als Teil der politischen Landschaft wünschten. „Das gibt mir Mut“, kommentierte Hundstorfer damals.
Natürlich gab es neben der Aufarbeitung des Bawag-Skandals auch viel Gewerkschaftsarbeit zu erledigen. Regelmäßig besuchte Hundstorfer Betriebe, der Kontakt zu den Menschen war ihm immer wichtig. Ausgetretene Gewerkschaftsmitglieder wurden zum Wiederbeitritt bewegt und neue Mitglieder geworben, Kollektivverträge verhandelt und in der Regierung für Arbeitnehmer:innenbelange eingetreten.
Erfolgsmeldungen
In den zweieinhalb Jahren seiner Präsidentschaft erreichte der ÖGB unter anderem, dass freie Dienstnehmer:innen endlich sozialrechtlich abgesichert werden, Arbeitnehmer:innen vom ersten Tag an bei den Gebietskrankenkassen angemeldet sein müssen, es für Teilzeitbeschäftigte 25 Prozent Mehrarbeitszuschlag gibt und der 1.000 Euro Mindestlohn eingeführt wurde.
Die nächste Krise
Im Jahr 2008 stellte er sich einer neuen Herausforderung, er wurde Sozial- und Arbeitsminister, während der Finanzkrise 2008. Durch die Einführung der Kurzarbeit konnten viele Arbeitsplätze – und durch die Mindestsicherung viele Menschen vor dem ökonomischen Absturz – gerettet werden.
Nach seinem Ausscheiden kandidierter er als Bundespräsident. Er wurde zwar nicht ins höchste Amt gewählt, mit „Herr Präsident” wurde er später trotzdem angesprochen, etwa bei der Volkshilfe Wien – denn er wollte hinsehen, wo andere wegsehen und helfen, wo andere sich taub stellen.
Ein Mensch, der fehlt
Am 20. August 2019 erlitt Rudolf Hundstorfer einen Herzinfarkt. Geblieben sind viele Erinnerungen an ihn, an seinen Schmäh, seinen Humor, seine Kompromissbereitschaft und daran, dass er als gestandener Gewerkschafter das Gemeinsame immer vor das Trennende gestellt hat. Einer, der seinen Ämtern gewachsen war, weil er ein Mensch geblieben war, und wie der jetzige ÖGB-Präsident, Wolfgang Katzian, sagt: „Er hat sich in all seinen Ämtern immer für alle wirklich ins Zeug gehaut, egal ob als ÖGB-Präsident oder danach als Sozialminister. Er war ein Brückenbauer, er hatte Knowhow und Handschlagqualität, sein sozialpolitisches Herzblut war unverkennbar. Und ihm ist das Meisterstück gelungen, den ÖGB gut aus der Bawag-Krise zu führen. Rudi ist viel zu früh gegangen, er fehlt.“