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Die ehemalige ÖGJ-Vorsitzende Susanne Hofer demonstriert für den Verbleib der Jugendvertrauensräte während der Rede der damaligen Sozialministerin beim 19. ÖGB-Bundeskongress 2018
Die ehemalige ÖGJ-Vorsitzende Susanne Hofer demonstriert für den Verbleib der Jugendvertrauensräte während der Rede der damaligen Sozialministerin beim 19. ÖGB-Bundeskongress 2018 lisalux2018

Gewerkschaftsgeschichte

Wählt Jugendvertrauensräte!

Eine kurze Geschichte des langen Weges zum Jugendvertrauensrätegesetz

Im Juli 1972 hatte die Österreichische Gewerkschaftsjugend (ÖGJ) Grund zum Feiern: 27 Jahre lang hatten sie für die Verabschiedung des Jugendvertrauensrätegesetzes gekämpft. Sie forderten es bei Jugendkongressen, bestürmten PolitikerInnen und sammelten knapp 50.000 Unterstützungsunterschriften.

Die Zeit, in der sich „Jugendvertrauensmänner“ ob der fehlenden gesetzlichen Grundlage illegal und auf eigene Gefahr einsetzten – es drohte stets die Kündigung – war endgültig vorbei. 

Aktion der ÖGJ für Jugendvertrauensratswahlen
Aktion der ÖGJ für Jugendvertrauensratswahlen ÖGB-Archiv

Vom Absolutismus zur Demokratie im Betrieb

Die ersten „Jugendvertrauensmänner“ wurden im Frühjahr 1946 bei der VOEST in Linz gewählt. Nur ein Monat später fand bereits die erste Konferenz der JugendvertrauensrätInnen mit rund 400 TeilnehmerInnen statt. Sie hatten eine ganz klare Forderung: die gesetzliche Verankerung der Jugendvertrauensräte im Jugendbeschäftigungsgesetz oder im Betriebsrätegesetz. Sie scheiterten. Das im Jahr 1947 verabschiedete Betriebsrätegesetz schloss sie sogar als WählerInnengruppe aus. Das Wahlalter wurde mit 18 Jahren festgelegt.

Aber trotzdem wurden weiterhin Jugendvertrauensräte gewählt. Ab dem Jahr 1947 wurde die innergewerkschaftliche Vereinbarung umgesetzt, dass in Betrieben mit mehr als fünf jugendlichen Beschäftigten, in Zusammenarbeit mit den BetriebsrätInnen auch ein Jugendvertrauensrat gewählt werden kann.

Jugendliche Arbeiterin wirft ihre Stimmkarte in die Wahlurne (o.J.)
Jugendliche Arbeiterin wirft ihre Stimmkarte in die Wahlurne (o.J.) Kammler/ÖGB-Archiv

„Was brauchen die Buam, die Madln Vertrauensleute?”

Die Gewerkschaft stellte strikte Anforderungen an die JugendvertreterInnen und veröffentlichte sie in der Zeitschrift „Der jugendliche Arbeiter“: Es genüge nicht, sich nur wählen zu lassen, sie müssten tapfere „Vertrauensmänner“, gewerkschaftliche FunktionärInnen und AktivistInnen sein. Das Ziel sei es, die absolute Monarchie im Betrieb in eine demokratische Republik umzuwandeln.

Dies war jedoch nicht so leicht. Die jungen Menschen stießen auf Gegenwehr und auf „das Geschrei der Männer von Gestern, dass die sozialen Lasten zu hoch seien, dass die Lehrlinge zu teuer kämen“.

Einige BetriebsrätInnen meinten, „Was brauchen die Buam, die Madln Vertrauensleute?“, wüssten doch sie selbst ganz genau, was die Jugend brauche. Anderen erschien das Mitbestimmungsrecht der Jugendlichen als „zu revolutionär“. Und so manche UnternehmerInnen hielten an der pädagogischen Lehrmeinung des 19. Jahrhunderts fest, Jugendliche in der Ausbildung hätten sich zu fügen.  Die ÖGJ versprach jedoch: „Wir werden um unser Recht kämpfen.“ Als gewählter Jugendvertrauensrat und gewählte Jugendvertrauensrätin nicht mehr nur still geduldet zu sein, sondern auf gesetzlicher Grundlage zu agieren. 

ÖGJ-Mitglieder übergaben 1971 mehr als 51.000 Unterschriften, die die Verabschiedung des Jugendvertrauensrätegesetzes forderten.
ÖGJ-Mitglieder übergaben 1971 mehr als 51.000 Unterschriften, die die Verabschiedung des Jugendvertrauensrätegesetzes forderten. ÖGB-Archiv

Aktion „M – wie Mitbestimmung“

Die ÖGJ machte Druck und erhielt auch Unterstützung im Parlament. Die SPÖ brachte immer wieder Initiativanträge ein, doch die konservativen Parteien lehnten die Verabschiedung des Gesetzes ab.

Im Jahr 1971 reichte es den Jugendlichen. Beim 12. Jugendkongress des ÖGB beschlossen sie die Aktion „M wie Mitbestimmung“. Sie forderten Mitbestimmung im Betrieb, Bildungsfreistellung und erweiterten Kündigungsschutz, Einladungen zu Betriebsratssitzungen und auch finanzielle Unterstützung der Betriebsratskörperschaft, um unabhängig von der Großzügigkeit der UnternehmerInnen zu sein.

Junge Gewerkschafter beim 12. Jugendkongress des ÖGB (1971)
Junge Gewerkschafter beim 12. Jugendkongress des ÖGB (1971) ÖGB-Archiv

51.243 Unterschriften

In nur drei Monaten sammelten sie 51.243 Unterschriften, übergaben sie dem damaligen Sozialminister Rudolf Häuser (SPÖ) und dieser legte sie im Ministerrat vor. Die ÖGJ übermittelte gleichzeitig ihre Forderung an alle Nationalratsabgeordneten, die auch GewerkschafterInnen waren und an die Obmänner der drei Parlamentsklubs (ÖVP, SPÖ, FPÖ). Sie waren erfolgreich. Das Jugendvertrauensrätegesetz wurde während der SPÖ-Alleinregierung im Juli 1972 beschlossen, trat am 1. Jänner 1973 in Kraft und wurde im Jahr darauf Teil des Arbeitsverfassungsgesetzes.

Es ist nicht einfach ein langer Weg, es ist schon ein richtig historischer Weg

ÖGB-Jugendsekretär Franz Mrkvicka, 1972 (Hallo, 9/72)

In den darauffolgenden Jahren gab es immer wieder Verbesserungen, aber im Jahr 2017 schrieb die türkis-blaue Regierung in ihr Programm: „Das aktive Wahlalter bei Betriebsratswahlen wird von 18 auf 16 Jahre gesenkt und ersetzt den Jugendvertrauensrat.“

Aktion der ÖGJ zu #JVR bleibt (2018)
Aktion der ÖGJ zu #JVR bleibt (2018) ÖGB

#JVR-bleibt – Jugend verdient Respekt

Dies hätte bedeutet, dass rund ein Drittel aller Lehrlinge und jugendlichen ArbeitnehmerInnen unter 16 Jahren kein Wahlrecht mehr gehabt hätten, und dass nicht mehr alle zwei Jahre ein Jugendvertrauensrat gewählt werden würde, sondern nur mehr alle fünf Jahre der Betriebsrat. Was wiederum bedeutet hätte, dass jugendliche ArbeitnehmerInnen und Lehrlinge niemals ihre Vertretung hätten wählen dürfen und ihr Mitspracherecht im Betrieb verloren hätten.

Die damalige ÖGJ-Vorsitzende Susanne Hofer und KollegInnen demonstrierten beim 19. ÖGB-Kongress für den Erhalt der Jugendvertrauensräte. (2018)
Die damalige ÖGJ-Vorsitzende Susanne Hofer und KollegInnen demonstrierten beim 19. ÖGB-Kongress für den Erhalt der Jugendvertrauensräte. (2018) ©lisalux2018

Die ÖGJ startete sofort eine Petition, die mehr als 20.000 Menschen unterschrieben, und begann die Kampagne „#JVRbleibt” auf Social-Media-Kanälen. Beim 19. ÖGB-Bundeskongress im Juni 2018 stand die damalige ÖGJ-Vorsitzende Susanne Hofer mit zugeklebtem Mund und gefesselt vor der Rednerin, der Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ). Sie demonstrierte mit KollegInnen so für die Forderung „#JVRbleibt”.

Bei der 6. JugendvertrauensrätInnenkonferenz im November 2018 fassten die mehr als 100 Teilnehmenden den einstimmigen Beschluss: „Der Jugendvertrauensrat muss bleiben“. Denn wer die Jugend ignoriert, ist nicht nur feig, sondern verantwortungslos. Und sie waren erfolgreich. Die Regierung nahm von ihrem Vorhaben Abstand

Heute gibt es rund 2.500 JugendvertrauensrätInnen, die weitere Forderungen an den Gesetzgeber haben: Alle ArbeitnehmerInnen im Betrieb sollen unabhängig vom Alter wählen dürfen, die Erweiterung des Anspruchs auf Bildungsfreistellung und die verstärkte Einbindung in die Kollektivvertragspolitik. Auch das wird gelingen.

ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian bei der BetriebsrätInnenkonferenz „Preise runter“. (2022)
ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian bei der BetriebsrätInnenkonferenz „Preise runter“. (2022) Elisabeth Mandl

Jugendvertrauensrat ist Kaderschmiede

Im Jahr 1973 fanden die ersten offiziellen Jugendvertrauensratswahlen statt. Bald wurde klar, dass die Arbeit im Jugendvertrauensrat auch eine Kaderschmiede ist. Unter den ersten Gewählten waren u. a. der ehemalige AK-Präsident und Gewerkschaftsvorsitzende der vida Rudolf Kaske, die ehemalige Leiterin des ÖGB-Beratungszentrums Elisabeth Rolzhauser und auch der derzeitige ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian.

Podcast „Jugendvertrauensrat ist Kaderschmiede“ mit Rudolf Kaske 

 

 

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