Gewerkschaftsgeschichte
Wir, die Gewerkschaftsfrauen
Eine kurze Geschichte über den langen Kampf der Frauen, um Gewerkschaftsmitglieder werden zu dürfen
Heute ist es selbstverständlich, dass Frauen Gewerkschaftsmitglied sein können. Formular ausfüllen, abgeben und sofort alle Vorteile genießen. Das war nicht immer so. Denn die Frauen im späten 19. Jahrhundert mussten sich das Recht auf Mitgliedschaft in vielen Gewerkschaften und die dazugehörigen Leistungen wie Arbeitslosengeld oder Krankenversicherung erst erkämpfen.
Dafür wählten die Frauenrechtlerinnen unterschiedliche Vorgangsweisen, wie etwa Überzeugungsarbeit bei den männlichen Kollegen, auch Frauen in die Fachvereine aufzunehmen. Gewerkschafterinnen warben auch speziell Frauen als Mitglieder oder sie gründeten einfach eigene Gewerkschaften. Die Frauen wussten schon damals, was auch heute noch gilt: Dass nur sie ihre Interessen vertreten würden.
ÖGB-Frauenvorsitzende Korinna Schumann sagt dazu:
Die Arbeits- und Lebenswelt für Frauen besser und gerechter zu gestalten, dafür kämpfen die Gewerkschaftsfrauen. Noch immer wird oft auf die Interessen von Frauen vergessen. Um uns endlich durchzusetzen, müssen wir viele sein und wir müssen laut sein – sonst wird sich nichts ändern. Sich in der Gewerkschaft gemeinsam zu organisieren, das ist die große Chance für Frauen in der Arbeitswelt und sichert die Stärke, ihre Ziele zu erreichen.
Ein harter Kampf
Die Aufgabe, Frauen als Gewerkschaftsmitglieder zu gewinnen, war im 19. Jahrhundert allerdings nicht nur auf Gewerkschaftsebene mühsam. Denn im Staatsgrundgesetz von 1867 gab es einen diskriminierenden Paragrafen: Frauen durften sich politischen Organisationen nicht anschließen (was viele Frauen allerdings ignorierten und Männer aufriefen, das auch zu tun).
Erschwerend kam hinzu, dass in den 1880er Jahren über Wien der Ausnahmezustand verhängt worden war. Das hieß: die wenigen Rechte der BürgerInnen waren ausgehebelt worden. Vereine sowie Versammlungen konnten jederzeit aufgelöst werden und bei jeder Veranstaltung saß ein Regierungskommissär, der alle Reden akribisch notierte und jegliche vermeintlich staatsfeindliche Äußerung zur Anzeige brachte. Dies führte zu zahlreichen Verhaftungen und Verurteilungen von GewerkschafterInnen. Aber nichts davon hielt die Frauen davon ab, sich gewerkschaftlich zu organisieren.
Gewerkschaftsgründerinnen
Die Blumenmacherin Albertine Moseberg – von ihr existiert heute leider kein Bild mehr – gründete etwa im April 1870 einen vermeintlich unpolitischen Arbeiterinnen-Bildungsverein, um Fabriksarbeiterinnen zu organisieren, die Näherin Cäcilia Lippa baute ab 1892 die Gewerkschaft der Wäsche-, Krawatten- und Miedererzeuger auf, eine Gruppe von Frauen gründete den Verein der Haus- und Heimarbeiterinnen und Minna Krasa organisierte die Buchbinderinnen.
Marie Krasa und die Männer
Die Textilarbeiterin Marie Krasa wählte einen anderen Weg: Sie leistete Überzeugungsarbeit bei unzähligen Reden und in vielen Artikeln. Und sie wusste, wovon sie sprach: Aufgewachsen in einem kinderreichen und armen Haushalt, musste sie in frühen Jugendjahren in einer Textilfabrik arbeiten, um zum Familienbudget beizutragen. Sie erlebte, was Ausbeutung bedeutet und begann sich zu engagieren. Im Jahr 1890 trat sie als 17-Jährige dem Arbeiterinnen-Bildungsverein bei, war im Jahr 1893 Mitbegründerin des Lese- und Diskussionsclubs „Libertas“ und sammelte Geld für die Gründung der Arbeiterinnen-Zeitung, deren Herausgeberin sie schließlich zwischen 1894 und 1900 wurde.
Bei all ihren Aktivitäten wurde sie vom Staat mit Argusaugen überwacht. Im November 1893 stand sie wegen „Herabwürdigung einer Lehre der katholischen Kirche“ vor Gericht und wurde zu acht Tagen strengem Arrest verurteilt. Ihr Vergehen: Sie hatte bei einer Rede vor rund 600 Frauen einen Vers des Autors Heinrich Heine zitiert.
Marie Krasa am 1. Gewerkschaftskongress 1893
All das hinderte Krasa nicht daran, ihre männlichen Kollegen stets daran zu erinnern, dass Frauen wertvolle Gewerkschaftsmitglieder sind. Sie argumentierte gegen das Vorurteil, dass Frauen schwach seien und unerfahren wären. So auch bei ihrer Rede beim 1. Gewerkschaftskongress im Dezember 1893. Damals waren unter den 31.522 Gewerkschaftsmitgliedern gerade einmal 659 Frauen.
Krasa konfrontierte die männlichen Delegierten, die sie belächelten und nicht für voll nahmen, mit Tatsachen. In jenen Branchen, in denen hauptsächlich Frauen arbeiten, nahmen die Gewerkschaften Frauen nicht als Mitglied auf, in Vereinen gab es kaum Agitation unter den Arbeiterinnen. Krasa schloss mit dem Hinweis, dass die Männer allein nie gewerkschaftlich erfolgreich sein werden, dazu brauchen sie die Frauen.
Einige Jahre später schrieb sie:
Wir haben es satt, immer nur als geduldete Personen oder als Dekorationsstücke in irgendeiner Vertretung zu figurieren. Frauen haben die gleichen Pflichten, aber nicht die gleichen Rechte. (…) wir wollen und können nicht warten, bis die Männer es selbst in die Hand nehmen die Frauen zu organisieren, wir nehmen es selbst in die Hand, nur dann kann wirklich etwas erreicht werden.
Arbeiterinnen-Zeitung, Heft 3, 1898
Mitgliederzuwachs
Sie sollte Recht behalten, auch wenn der Weg beschwerlich war. Während in den folgenden Jahren einige Gewerkschaften Frauenabteilungen gründeten, gab es im Jahr 1910 immer noch acht Gewerkschaften ohne weibliche Mitglieder. Zwanzig Jahre später waren unter den 900.820 Gewerkschaftsmitgliedern bereits 215.175 Frauen und in einigen Gewerkschaften gab es mehr weibliche als männliche Mitglieder.
Nach der Gründung des Frauenkomitees im Bund freier Gewerkschaften im Jahr 1928 stieg die Zahl der weiblichen Mitglieder weiter, genauso wie nach der Verankerung der Frauenabteilungen in den einzelnen Gewerkschaften nach Kriegsende 1945. Seit dem Jahr 2012 ist der Mitgliederzuwachs eindeutig weiblich.
Marie Krasa erlebte ihre Erfolge nicht mehr
All das erlebte Marie Krasa nicht mehr. Sie starb im Mai 1911 an der ProletarierInnenkrankheit Tuberkulose. Zu ihrer Beerdigung kamen hunderte Menschen, darunter auch viele Frauenrechtskämpferinnen.
Die erste Frau in der Reichsgewerkschaftskommission, Anna Boschek, verabschiedete sich in ihrer Trauerrede nicht nur von einer der ersten Arbeiterinnen, die öffentlich als Rednerin auftrat und ihre Schwestern zum Kampf aufrief sowie von einer klugen Organisatorin, sondern auch von einer langjährigen Gewerkschaftsfreundin. Es war nämlich Marie Krasa gewesen, die ihr in einer Textilfabrik geholfen hatte und sie mit den Worten „Es ist die Pflicht jeder Arbeiterin, den anderen beizustehen“ für die Arbeiterinnenbewegung begeisterte.
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