Zum Hauptinhalt wechseln
©STEKLO_KRD - stock.adobe.com

Gesundheit

COVID-19 muss als Berufskrankheit anerkannt werden

Viele ArbeitnehmerInnen, die sich mit COVID-19 am Arbeitsplatz infiziert haben, bekommen die Defizite eines starren und unflexiblen Systems zu spüren

Omikron beherrscht zurzeit das Infektionsgeschehen. Mit jedem Tag, an dem die Infektionen steigen, steigt auch die Anzahl jener ArbeitnehmerInnen, die an Folgeschäden wie Long COVID leiden werden – ohne Anerkennung, ohne die bestmöglichen medizinischen Angebote und, am wichtigsten, ohne finanzielle Unterstützung durch Rentenzahlungen. Zwischen zehn und 20 Prozent aller Infizierten leiden laut internationalen Studien an den Folgen einer COVID-19 Infektion, auch bekannt als Long COVID. Heruntergebrochen auf die Fälle von Personen im erwerbsfähigen Alter sind das in Österreich zwischen 110.000 und 220.000 Personen.

Trotzdem gilt COVID-19 auch da, wo kein Homeoffice möglich ist, etwa im Handel, in der Gastronomie oder im produzierenden Bereich, nur in einzelnen Bereichen als Berufskrankheit. Das kann für Betroffene verheerende Folgen haben.

Welche Vorteile dir eine Anerkennung als Berufskrankheit bringt:
  • besserer Versorgungsanspruch bei Heilbehandlung und Rehabilitation

  • Qualifikation und Umschulung, falls der erlernte Beruf nicht mehr ausgeübt werden kann

  • Entfall der Kostenbeteiligung, u. a. für den Aufenthalt in Rehabzentren oder bei Hilfsmitteln

  • bei starken, langanhaltenden Einschränkungen wie durch Long COVID eine monatliche Rente

  • finanzielle Absicherung der Hinterbliebenen (durch Renten) für den Fall, dass COVID-19 zum Tod führt

  • auch Spät- oder Langzeitfolgen sind vom Versicherungsschutz gedeckt 

Berufskrankheit – nicht für alle „HeldInnen der Krise“?

Der Gesetzgeber geht zurzeit davon aus, dass manche ArbeitnehmerInnen einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt sind als andere. Zu Ersteren zählen beispielsweise Beschäftigte in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen, öffentlichen Apotheken und Bildungseinrichtungen wie Kindergärten und Schulen. Für alle anderen Unternehmen, die nicht ausdrücklich aufgezählt sind, muss eine „vergleichbare Gefährdung“ nachgewiesen werden, um für die Einstufung als Berufskrankheit in Frage zu kommen: Das bedeutet, dass etwa eine Supermarktangestellte aufzeigen muss, dass sie einer vergleichbaren Ansteckungsgefahr ausgesetzt ist, wie eine Angestellte in den genannten Einrichtungen.  

Aber gerade im Lebensmitteleinzelhandel trafen MitarbeiterInnen täglich auf hunderte KundInnen, wobei ein Abstandhalten nicht immer möglich war. Reinigungskräfte waren im Desinfektions-Dauereinsatz. BusfahrerInnen transportierten täglich all jene, die noch an den Arbeitsplatz mussten. Und in der Baubranche mussten Beschäftigte mit haushaltsfremden KollegInnen im gleichen Fahrzeug zur Baustelle anreisen und sich einen Container als Aufenthaltsraum teilen. 

Viele Unternehmer melden nicht

Gleichzeitig melden vielen Unternehmen Infektionen im Betrieb nicht – und kommen so der Meldepflicht nicht nach. AK-Direktor Christoph Klein: „Es ist wesentlich, dass Arbeitgeber hier ihrer Verpflichtung nachkommen. Denn ohne Meldung an die AUVA ist es für Betroffene um ein Vielfaches schwerer, den Status Berufskrankheit zu erlangen – und damit alle Vorteile, die dieser Status mit sich bringt.” Auch ÄrztInnen sind dazu aufgefordert, ihrer Meldepflicht nachzukommen.  

Berufskrankheitenliste: Eine Liste mit vielen Lücken

„Überhaupt muss die Liste der Berufskrankheiten dringend überarbeitet werden, um mit den Entwicklungen in der Arbeitswelt Schritt halten zu können”, fordert Reischl. Denn die Liste umfasst längst nicht alle krankmachenden Arbeitsstoffe – genauso wenig wie alle Krebsarten. Und auch psychische Erkrankungen durch belastende Berufe oder Erkrankungen des Bewegungs- und Stützapparats finden nicht die erforderliche Berücksichtigung. Die letzte Aktualisierung der Berufskrankheitenliste liegt schon zehn Jahre zurück – wobei es auch hier nur geringe Anpassungen gegeben hat. In dieser Zeit sind in der Arbeitswelt viele Faktoren hinzugekommen bzw. erkannt worden, die die Gesundheit maßgeblich beeinflussen können. „Deshalb fordern wir eine regelmäßige Überarbeitung der Berufskrankheitenliste nach wissenschaftlichen Kriterien und die Schaffung eines ExpertInnengremiums, das für den Gesetzgeber die Empfehlungen zur Anpassung anhand der neuesten medizinischen Erkenntnisse erarbeitet“, unterstreicht Reischl. Der ÖGB und die AK haben deshalb eine Liste an Forderungen erstellt, denn es kann nicht sein, dass manche ArbeitnehmerInnen immer noch zurückgelassen werden.

ÖGB und AK fordern:
  • COVID-19 in Zeiten der Pandemie grundsätzlich unabhängig vom Typ des Unternehmens als Berufskrankheit rückwirkend und unbürokratisch anzuerkennen, wenn persönliche Kontakte oder Kontakt mit potentiell kontaminiertem Material nicht vermieden werden können.
 
  • Erleichterung bei der Beweisführung zur Anerkennung von COVID-19 als Berufskrankheit: Bei Clustern und gehäuftem Auftreten von Infektionen in einem Betrieb etc. soll die Glaubhaftmachung auch dann gelingen, wenn im privaten und Freizeitbereich keine Indexperson vorhanden ist. Also wenn keine andere Möglichkeit wahrscheinlicher ist als der berufliche Zusammenhang. Dies soll auch in Bereichen mit hochfrequentem KundInnenkontakt, also in z.B. in Supermärkten und Bäckereien gelten.
 
  • Sanktionen bei Nichteinhaltung der Meldepflicht: Unternehmen, die ihrer Meldepflicht nicht nachkommen, sollen mit Strafen rechnen müssen.
 
  • eine Überarbeitung der Liste der Berufskrankheiten entsprechend der medizinischen Wissenschaft – im Besonderen im Bereich des Bewegungs- und Stützapparates (z.B. durch langjähriges Heben und Tragen), des Weißen Hautkrebses durch solarbedingte UV-Exposition, des Karpaltunnelsyndroms (Druckschädigung der Mittelhandnerven im Handgelenkstunnel) und von arbeitsbedingten psychischen Krankheiten, etwa Burnout. Zu beiden Themenkreisen gibt es klare wissenschaftliche Erkenntnisse, die eine Aufnahme der Krankheiten notwendig machen.
 
  • die Einrichtung eines ExpertInnengremiums nach deutschem Vorbild für eine regelmäßige Evaluierung der Berufskrankheitenliste auf wissenschaftlicher Basis.
 
  • eine bessere Datenlage: Nach wie vor ist vieles nicht klar – so fehlt die Zahl der PatientInnen mit Long COVID-Symptomatik, die nur ambulant behandelt werden. Auch eine genaue Zahl der anerkannten Berufskrankheiten sowie weiteres Datenmaterial sind nur sehr schwer abrufbar. In Sinne der Transparenz müssen diese Daten systematisch erhoben und datenschutzkonform öffentlich zugänglich sein.
 
  • die Prävention im Bereich berufsbedingter Erkrankungen und Berufskrankheiten deutlich auszubauen.

 

Bleib informiert über deine Arbeitswelt!
Jeden Freitag: Das Wichtigste aus einer Woche