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Primärversorgungszentren könnten die Zukunft des heimischen Gesundheitssystems werden DC-Studio Adobe Stock

Primärversorgungseinheiten: Die Zukunft der medizinischen Versorgung

Primärversorgungseinheiten versprechen mehr Versorgungsmöglichkeiten, längere Öffnungszeiten und breitere Angebote für Versicherte. Was steckt dahinter?

Primärversorgungszentren könnten die Zukunft des heimischen Gesundheitssystems werden. Denn in solch einer Praxis hat man als Versicherte/r an einem Ort Zugang zu verschiedenen Ärzt:nnen, Therapeut:innen und Behandlungsmöglichkeiten. Neue Initiativen im niedergelassenen Bereich in Richtung eines flächendeckenden Netzes von Primärversorgungseinheiten sind seit längerem auf der Agenda. Sie sollen eine umfassendere, näher am Wohnort gelegene medizinische Versorgung der Bevölkerung ermöglichen und so auch die Spitalsambulanzen entlasten. Was das für die Zukunft bedeutet, welche Herausforderungen damit einhergehen und ob Primärversorgungseinheiten wirklich das halten, was sie versprechen, erklärt ÖGB-Gesundheitsexpertin Claudia Neumayer-Stickler.

Welche Vorteile hat es, Primärversorgungsangeboteauszuweiten?

Generell bieten diese Versorgungseinheiten viele Vorteile – sie haben längere Öffnungszeiten, zumeist auch an den Tagesrandzeiten, und über das Jahr hinweg fast immer offen. Manche bieten auch eine Versorgung an den Wochenenden an. Daneben ist ein verschränktes Arbeiten von mehreren Ärztinnen und Ärzten und anderem Gesundheitspersonal vorgesehen. Das ermöglicht auch eine bessere Abstimmung und die Bündelung von verschiedenen Kompetenzen und Behandlungsmöglichkeiten.

Wann wäre ein flächendeckender Ausbau realistisch umsetzbar?  

Seit 2024 sind in  allen neun Bundesländern   Primärversorgungseinheiten verankert und es werden stetig mehr. Dafür ist auch eine gesetzliche Änderung im Jahr 2023 verantwortlich, die zu einer Beschleunigung und zur Vereinfachung der Gründungsprozesse geführt haben. Aus ÖGB Sicht besonders positiv hervorzuheben ist dabei die rechtliche Möglichkeit, dass seither nicht nur Ärzt:innen, sondern auch nicht ärztliche Gesundheitsberufe gesellschaftsrechtlich an einer Primärversorgungseinheit beteiligt sein können.  

Nun versprechen diese Versorgungseinheiten weniger Wartezeiten, mehr Behandlungen an Ort und Stelle und umfassendere Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten. Kann denn das alles so funktionieren?

Im Vordergrund steht eine umfassende Versorgung auf der sogenannten ersten Behandlungsebene. Eine Primärversorgungseinheit soll die erste Anlaufstelle für alle Menschen bei Fragen und Anliegen rund um die eigene Gesundheit sein. Dabei sollen nicht nur Krankheiten behandelt werden, sondern vor allem auch der Erhalt der Gesundheit gefördert werden. Durch ein breites Team von Ärzt:nnen, Gesundheits- und Krankenpfleger:nnen, Therapeut:innen und teilweise auch Sozialarbeiter:nnen ist eine gute, strukturierte Zusammenarbeit möglich. Bei einem Primärversorgungszentrum stehen also viele Angebote unter einem Dach zur Verfügung. Wird die Einheit als Netzwerk betrieben, gibt es einen strukturierten Austausch der einbezogenen Ordinationen und Therapieeinheiten inklusive übergreifender Öffnungszeiten.

Weitere Informationen zu Primärversorgungseinheiten

In einer Primärversorgung sind in institutionalisierter Form Ärzt:innen und weitere Gesundheits- und Sozialberufe unter einem Dach oder in einem Netzwerk vereint. Im Kernteam der Primärversorgungseinheit (PVE) arbeiten mindestens zwei Ärzt:nnen der Allgemeinmedizin und/oder der Kinderheilkunde mit Angehörigen der Diplomierten Gesundheits- und Krankenpflege zusammen. Dies wird ergänzt durch Ordinationsassistent:innen. 
 
Orts- und bedarfsabhängig können weitere Gesundheitsberufe verbindlich und strukturiert hinzugezogen werden, im Sinne eines „erweiterten Teams“. Diese Berufsgruppen können u.a. umfassen: Hebammenhilfe, klinische Psychologie, Psychotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Diätologie sowie Sozialarbeit.

Wo siehst du Herausforderungen? 

Eine Herausforderung dürfte nach wie vor darin liegen, dass genug Ärztinnen und Ärzte gefunden werden, die gemeinsam eine Primärversorgungseinheit betreiben wollen – sei es als Zentrum oder als Netzwerk. Die kommenden Jahre werden uns zeigen, wie gut die neuen gesetzlichen Grundlagen hier weiterhelfen.  

Ist das Modell der Primärversorgung in allen Bundesländern sinnvoll?  

Das muss ganz klar bejaht werden. In vielen Gebieten Österreichs bringt die Etablierung eines Primärversorgungszentrums mit den unterschiedlichen Behandlungs- und Therapiemöglichkeiten unter einem Dach zweifelsfrei einen Vorteil. In manchen Gebieten wird ein Netzwerk, also der Zusammenschluss von mehreren Ordinationen mit gemeinsamen Angeboten und abgestimmten Öffnungszeiten vielleicht sinnvoller sein. Daher sind auch beide Varianten vorgesehen.  

Wie würde das aus Versichertenperspektive aussehen? Ist man dann an einem Tag bei mehreren Ärztinnen und Ärzten gleichzeitig gemeldet? 

In einer Primärversorgungseinheit arbeiten zwar mehrere Ärztinnen und Ärzte, dennoch haben aber alle Patient:innen die Möglichkeit, sich ihre Ärztin oder ihren Arzt des Vertrauens auszusuchen. Dies wird entweder bei der Terminvereinbarung berücksichtigt oder ist durch die bekannten Anwesenheiten der Ärzt:innen im Zentrum gewährleistet. Leidet aber eine Patient:in an akuten Beschwerden, die eine rasche Untersuchung oder Behandlung erfordern, kann er oder sie die Ordination auch dann aufsuchen und wird auch dann rasch behandelt, wenn der Arzt oder die Ärztin des Vertrauens nicht anwesend ist.

Auch in der Versorgung von Kindern und Jugendlichen schafft dies eine deutliche Verbesserung in der Versorgung. Es sind in mehreren Bundesländern auch bereits die ersten “Kinder-Primärversorgungszentren” etabliert.  Daneben könnte dies künftig auch für die Frauengesundheit ein Erfolgsmodell sein.  

Wie beurteilst du die Zukunft dieser Versorgungsmöglichkeit  vor dem Hintergrund unseres Gesundheitssystems?  

Ich glaube, dass der Weg von größeren, multidisziplinären Versorgungseinheiten mit unterschiedlichen Gesundheitsberufen ein guter ist. . Viele wollen in einem Team arbeiten, ihre Kompetenzen gemeinsam nutzen und durch die Zusammenarbeit auch für eine bessere Work-Life-Balance sorgen. Auch aus gesundheitspolitischer Sicht ist das zu begrüßen. Vor allem mit einem breiten Angebot von Primärversorgungseinheiten wird allen Menschen in Österreich ein einfacher Zugang zur umfassenden Gesundheitsversorgung geboten, bei der auch die Prävention und die Stärkung der eigenen Gesundheitskompetenz eine wichtige Rolle spielt.