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ÖGB

Pflege

"Immer, wenn sie mich sieht, will sie mich umarmen“

Seit 21 Jahren schon ist Elwira Schlesinger als Pflegeassistentin tätig. Ihre Geschichte im oegb.at-Porträt.

Als Elwira Schlesinger an diesem taufrischen Morgen im März auf dem Weg zur Arbeit ist, laufen ihr Tränen über die Wangen. Der Lock-Down hat gerade erst begonnen. Das Land steht still. Wie es zu diesem Zeitpunkt weitergehen wird, wissen selbst ForscherInnen noch nicht. „Ich war in diesem Moment sehr berührt, weil ich diese große Leere auf den Straßen, in den Parks und Geschäften gesehen habe“, schildert Schlesinger.

Kein Streicheln und Umarmen mehr

Dabei hat die 54-Jährige viel gesehen. Seit 21 Jahren schon ist sie als Pflegeassistentin in der mobilen Pflegebetreuung, doch mit der Pandemie beginnt für sie ein neues Kapitel, denn eine derartige Krisensituation hat auch sie noch nie erlebt. „Dennoch achten wir sehr auf Kontinuität”, erzählt Schlesinger. “Die KlientInnen sollen möglichst oft dieselben PflegerInnen sehen. Ich habe gute Beziehungen zu meinen KlientInnen aufgebaut. Sie vertrauen mir.“

Seit der Krise wird sehr genau auf die neuen Sicherheitsmaßnahmen der Bundesregierung geachtet. Das bedeutet auch: Kein Streicheln oder Umarmen mehr. „Eine Dame, die ich seit sieben Jahren pflege, hat eine enge Verbindung zu mir aufgebaut. Immer, wenn ich sie sehe, will sie mich umarmen. Das geht jetzt nicht mehr“, seufzt sie. Viele PflegerInnen bauen intensive Kontakte zu ihren KlientInnen auf. Die Krise hat aber erstmal eine physische Distanz geschaffen: „Im Geiste sind wir weiterhin eng miteinander verbunden.“

Schlesinger hört oft, dass ältere Menschen, denen das Aufnehmen von Information schwerfällt, nicht mitbekommen würden, dass es jetzt das Coronavirus gibt. „Aus meiner Erfahrung kann ich sagen: Das stimmt so nicht. Viele sind informiert. Und den Rest machen wir. Ich erkläre dann, warum ich eine Maske trage, wenn ich zu ihnen komme.“

„Böses Virus“

Einmal habe ihr eine Frau, die Malerin ist, ein Bild mit einem Schutzengel gemalt. „Böses Virus“, sagte die Malerin und übergab Schlesinger das Bild. „Viele sind natürlich berechtigterweise besorgt, da sind wir die ersten AnsprechpartnerInnen. Das heißt, wir tragen Verantwortung.“

Als die Demos der Gewerkschaften für die 35-Stunden-Woche losgingen, war sie ganz vorne mit dabei. Gesellschaftspolitische Belange sind ihr ein Anliegen. „Ich bin niemand, die mehr verlangt, als ihr zusteht, aber in der Pflege braucht es eine faire Bezahlung bei 35 Stunden“, ist sie überzeugt.

Pflege war nie eine leichte Arbeit

Angefangen hat alles vor 21 Jahren mit einer Reise nach Wien. Gemeinsam mit ihrem Mann zog sie her. Hier entschloss sie sich, die Ausbildung zur Pflegeassistenz zu machen. „Ich wollte schon immer in diesem Bereich arbeiten, vielleicht bin auch deshalb immer noch dabei“, sagt sie. Viele andere sind im Durchschnitt nicht mehr als zehn Jahre in diesem Beruf. „Das kann ich gut verstehen“, fügt Schlesinger an.

„Man ist mit Leid, Wut, Aggressionen und auch mit dem Sterben konfrontiert. Das sind viele Emotionen. Es war nie eine leichte Arbeit“, schildert sie. Was hat sich seit ihrem ersten Tag im Jahr 1999 bis jetzt getan? „Die Digitalisierung macht den großen Unterschied aus. Man hat weniger Budget, aber viel mehr Arbeit. Weiterbildungen und Übungen sollen flott erledigt werden“. Auch die KlientInnen merken das: „Sie spüren, dass wir müde sind und sagen uns, wir sollen uns erstmal ausruhen, nur wir können es uns zeitlich nicht leisten“, betont die Pflegeassistentin. Früher hatte sie vier KlientInnen, jetzt sind es schon sechs.

Sie spüren, dass wir müde sind und sagen uns, wir sollen uns erstmal ausruhen, nur wir können es uns zeitlich nicht leisten

Elwira Schlesinger

Angst, das Virus nach Hause zu schleppen

Und auch die Angst, das Virus mit nach Hause zu schleppen ist da. „Ich bin direkt an der Front. Was ist, wenn ich das Virus zu meinem Mann nach Hause bringe? Wer hilft uns dann?“, fragt sie. Wie bei vielen anderen auch, sind Desinfizieren und Händewaschen fixe Bestandteile ihres Berufsalltags geworden. Gerade in diesem Berufszweig ist das sehr wichtig.

Keine Migration? Keine Pflege!

Nach all den Jahren erlebt sie auch einen Wandel in der Wahrnehmung ihres Berufs: „Das er für die Gesellschaft bedeutend ist, war für mich ein wichtiger Grund, in die Pflege zu gehen. Es ist schön, jetzt zu erfahren, dass mein Beruf nun auch bei vielen Menschen auf Zuspruch stößt.“

Als sich dann aber Bundeskanzler Kurz in der Krise bei den PflegerInnen bedankte, konnte sie dem nicht viel abgewinnen: „Ich habe mich nicht angesprochen gefühlt, er spricht ja von Österreicherinnen und Österreichern. Also gehöre ich für ihn als gebürtige Polin gar nicht dazu“, kritisiert Schlesinger. Keine Migration? Keine Pflege! Laut Zahlen des Sozialministeriums waren allein im Februar 2020 mehr als 33.000 Menschen mit nicht-Österreichischer Staatsbürgerschaft in der 24-Stunden Pflege tätig. Schlesinger sagt deshalb: „Herr Kurz, das ist eine Frechheit!“

Was der ÖGB für die PflegerInnen fordert

  • Umstieg auf die 35-Stunden-Arbeitswoche im Gesundheits- und Sozialbereich. Davon haben alle etwas: Wer Vollzeit arbeitet hat endlich mehr Zeit für Familie, Freunde und Hobbies. Wer Teilzeit arbeitet, für den bedeutet die 35-Stunden-Woche als Ausgangsbasis für die Gehaltsberechnung mehr Geld.
  • Aber auch insgesamt bietet die Umstellung auf 35 Wochenstunden Vorteile: Der Personalmangel in der Branche kann nur durch attraktivere Arbeitsbedingungen wirksam bekämpft werden.
    Nur, wenn Kolleginnen und Kollegen nicht bereits nach kurzer Zeit emotional und körperlich am Ende sind, werden sie sich langfristig für einen Beruf im Gesundheits- und Sozialbereich entscheiden.
  • Deshalb umfasst die Gewerkschaftsforderung auch einen vollen Personalausgleich: Erst wenn ausreichend Personal vorhanden ist, kann stressfrei der eigenen Arbeit nachgegangen werden.
    Da über 60% der KollegInnen in dem Bereich Teilzeit arbeiten, führt die Arbeitszeitverkürzung zu keinem Personalengpass. Durch moderate Erhöhung der bestehenden Beschäftigungsausmaße kann der gesamte Mehr-Bedarf an Personal abgedeckt werden.