Pflege
Gastkommentar: Nur halbherzige Verbesserungen in der Pflege
ÖGB-Pflegeexpertin Martina Lackner im Standard-Kommentar: Eine echte Reform blieb aus, die Probleme in der Branche sind geblieben. Ohne eine bessere Entlohnung und mehr Personal wird sich daran auch nichts ändern
Am 12. Mai ist nicht nur Muttertag, sondern auch der Tag der Pflege. Was die beiden Tage vereint, ist die geringe Wertschätzung für die Care-Arbeit. Was die Pflege braucht, ist endlich eine echte Reform.
Die demografisch-gesellschaftliche Prognose ist recht erfreulich. Dank der rasanten Entwicklungen im Bereich der Medizin, dem verstärkten Bewusstsein in der Bevölkerung hinsichtlich ihrer Gesundheit und des gesünderen Lebensstils von vielen leben wir immer länger. Klar ist aber auch: Irgendwann wird der Alltag ohne Fremdhilfe nur schwer oder fast gar nicht bewältigbar – und zwar solche Hilfe, die nicht die Verwandtschaft oder Bekanntschaft erbringen kann, sondern nur professionelles Pflege- und Betreuungspersonal.
Sieht man sich aktuelle Studien bezüglich des Personalbedarfs an, kann einer schon mal bang ums Herz werden: Im Auftrag des Sozialministeriums aktualisierte das nationale Institut Gesundheit Österreich jüngst eine Studie mit dem Ergebnis, dass wir bis 2050 beinahe 200.000 zusätzliche Pflegepersonen benötigen werden. Als wohl zukünftige zu Pflegende stellen sich da ein paar Fragen, allen voran: Sind wir für die Bewältigung dieser Herausforderung überhaupt gewappnet?
Fragt man das aktuelle Pflegepersonal, hört man immer das Gleiche: Der Beruf ist ein schöner, der Beruf ist erfüllend, der Beruf ist sinnstiftend. Aber: Der Beruf ist psychisch und physisch wirklich anstrengend und erfährt gleichzeitig viel zu wenig Wertschätzung. Das könne doch jede oder jeder, heißt es nicht selten. Deshalb steigen so viele auch wieder aus – wenig verwunderlich bei einer Lebenssituation, in der Freizeitplanung aufgrund unstabiler Dienstpläne einer Lotterie gleicht, in der für zwischenmenschliche Kontakte nur minimale Zeit übrig bleibt und in der der Arbeitstag aufgrund geteilter Dienste häufig in mehrere Teile zerrissen ist.
In den vergangenen zwei Jahren wurden zwei "Pflegereformen" vorgelegt. Doch in Wirklichkeit waren es leider keine, die diesen Namen verdient hätten, sondern Maßnahmenbündel, die zwar eine gute Absicht erkennen ließen – der große Wurf blieb allerdings aus.
Nur wenige der Maßnahmen haben auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Pflegebereich abgezielt, stattdessen wurden zahlreiche halbherzige Vorhaben präsentiert – oft zum Ärger der Beschäftigten.
Ein Beispiel ist der sogenannte Pflegebonus, mit dem das Entgelt der Beschäftigten erhöht worden ist. Statt die Abwicklung den Sozialpartnern zu überlassen, haben die Länder sich dieser Kompetenz allein bemächtigt. Das Ergebnis waren neun verschiedene Vergabesysteme mit jeweils eigenen Kriterien. Wer von der Maßnahme profitierte und wer nicht, war undurchsichtig und teils schlicht willkürlich geregelt, was unter den Beschäftigten zu heftigen Diskussionen geführt hat. Nach drei Jahren Teuerung können jedoch selbst die Glücklichen, die von dem Pflegebonus begünstigt wurden, nur bitter lachen.
Gönnerhafte Ankündigung
Ähnlich schleißig lief es bei der "Entlastungswoche" ab. Der fast schon gönnerhaften Ankündigung einer weiteren dienstfreien Woche ab dem 43. Lebensjahr folgte recht bald eine kühle Absage: Kollektivvertraglich oder durch Betriebsvereinbarungen geregelte Zusatzruhezeiten wurden nämlich der Entlastungswoche zur Gänze zugerechnet, sodass ein Großteil der Beschäftigten in der Pflege durch die Finger schauen musste.
Statt die Probleme in der Branche anzugehen, schüttet man stattdessen einen Bonus für die Pflege daheim aus, die von den (meistens weiblichen) Angehörigen durchgeführt wird. Auch hier sind die Bedingungen für den Bezug so streng und fernab der Realität der Betroffenen, dass nur zehn Prozent der pflegenden Angehörigen infrage kommen – der große Rest sieht durch die Finger. Die Situation bleibt sowohl bei der professionellen Pflege als auch bei der Pflege daheim ähnlich ernüchternd.
Kein Gehalt
Mit zwei weiteren Maßnahmenbündeln hat man versucht, die Ausbildung im Pflege- und Betreuungsbereich durch finanzielle Abgeltung attraktiver zu machen. Ein Betrag von 600 Euro monatlich ist gutgemeint, aber weit entfernt von einem Gehalt, das Jugendlichen die Ausbildung schmackhaft macht. So wichtig die Rahmenbedingungen und die Entlastung für das bestehende Personal sind, es muss auch eine ehrliche Strategie entwickelt werden, um den Pflegenachwuchs an die Branche zu binden.
Um die zukünftigen Herausforderungen im Pflege- und Betreuungsbereich zu bewältigen, brauchen wir eine Pflegereform, die diesen Namen auch verdient. Das bedeutet Entlastung und bessere Entlohnung ohne Wenn und Aber, mehr Personal, das auch in der Branche bleiben kann und möchte, sowie eine gesicherte Finanzierung, die verbesserte Bedingungen auch aufrechterhalten kann.
Erlauben Sie mir ein Bild: Eine ordentliche Pflegereform muss angegangen werden wie die Sanierung eines Hauses: vom Kern ausgehend – das Ausmalen der Zimmer reicht nicht. Das schulden wir allen Fürsorgerinnen zum Muttertag – und wenn wir ehrlich sind auch uns selbst.
(Der Kommentar ist am 10.5.2024 im Standard erschienen)