Pflegereform
“Es fehlen noch viele Maßnahmen”
Zwar ist die Pflegereform nun endlich da – aber das, was draufsteht, ist gar nicht drin, kritisiert ÖGB-Pflegeexpertin Martina Lackner im Gespräch mit oegb.at
Von allen gebraucht, von wenigen geschätzt. So lässt sich die Situation in der Pflege beinahe zusammenfassen. Die Gewerkschaftsbewegung hat sich in den letzten Jahren vehement dafür eingesetzt, dass sich das bessert. Am Tag der Pflege, am 12. Mai 2022, wurde von der Regierung plötzlich ein Bündel an Maßnahmen als Pflegereform verkauft. Vergangene Woche dann, also viele Monate später, wurde nun die Eckpunkte fixiert. Was ist seit der Ankündigung passiert? ÖGB-Pflegeexpertin Martina Lackner hat sich die Details angesehen. Das Ergebnis ist durchwachsen.
Immer öfter kommen aktuelle Missstände ans Tageslicht, die zeigen, wie sehr die Pflege unter Personalmangel leidet. Was könnte man dagegen tun?
Die Missstände zeigen, wie dramatisch die Situation ist. Bis 2030, also in acht Jahren, benötigen wir mehr als 75.000 Pflegekräfte. Warum uns diese fehlen, ist schnell erklärt. Zuerst sind es die schlechten Arbeitsbedingungen und die mäßige Bezahlung. Aber auch der Stellenwert der Pflegekräfte für die Gesellschaft wird nicht erkannt. In der Pandemie die Heldinnen und Helden, und nach der Pandemie? Schnell haben wir sie vergessen.
Wir als ÖGB fordern seit Jahren wesentliche Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, wir fordern die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich und bessere Bezahlung. Das Ziel muss sein, den Pflegeberuf attraktiv zu gestalten. Der Grund ist einfach: Wir werden professionelle Pflegekräfte in Zukunft dringend brauchen.
Das Ziel muss sein, den Pflegeberuf attraktiv zu gestalten. Der Grund ist einfach: Wir werden professionelle Pflegekräfte in Zukunft dringend brauchen.
Die Pflegereform ist fixiert worden, was fehlt aus ÖGB-Sicht?
Es ist sehr mutig, hier von einer Reform zu sprechen. Im Mai wurde ein Maßnahmenpaket seitens der Regierung vorgestellt, das in die richtige Richtung geht. Aber nun, einige Monate später, zeigt sich: Es sind nur Teil-Maßnahmen - weitere müssen so rasch wie möglich folgen. Eine der großen Kritikpunkte war bei diesem vorgestellten Paket die mangelnde Zeitschiene. Es wurde vieles angekündigt, aber die Schritte der konkreten Umsetzung fehlen nach wie vor. Und das, obwohl viele Monate schon verstrichen sind.
Was besonders fehlt, sind Maßnahmen, um die Arbeitsbedingungen im Bereich der Pflege und Betreuung wesentlich zu verbessern. Es fehlen etwa Maßnahmen für die Ausweitung der Kapazitäten der mobilen Dienste, der Langzeitbetreuung, der Tagesbetreuung oder alternativen Wohnformen. Es fehlen auch Maßnahmen für bessere Unterstützung von pflegenden Angehörigen, Maßnahmen die Mindestkriterien für den Personaleinsatz festlegen und Maßnahmen für die Optimierung der 24-Stunden-Betreuung. Man sieht – die angekündigten und teilweise auch bereits in Gesetz gegossenen Maßnahmen können nur ein erster Schritt sein.
Wie könnte man eine wirkliche Pflegereform gestalten?
Ich glaube, dass diese Frage ein wenig irreführend ist. Wir müssen das vorhandene vor allem optimieren, ausbauen und weiterentwickeln. Wir benötigen Schnittstellen, die eine koordinierende Funktion übernehmen.
Wir benötigen ein Umdenken in der Gesellschaft – Pflege und Betreuung ist nicht etwas, was man nebenbei macht, sondern eine für viele sehr erfüllende, aber auch psychisch und physisch sehr anstrengende Tätigkeit.
Wir benötigen ein Umdenken in der Gesellschaft – Pflege und Betreuung ist nicht etwas, was man nebenbei macht, sondern eine für viele sehr erfüllende, aber auch psychisch und physisch sehr anstrengende Tätigkeit. Wir müssen als Gesellschaft endlich die Arbeit in Pflege und Betreuungsbereich ehrlich wertschätzen. Und klatschen ist definitiv zu wenig.