Starker Einsatz
„Ich muss kein gutes Mädchen sein“
Gewerkschafterin Nazma Akter schildert ihren Kampf für Frauen- und Arbeitsrechte in Bangladesch
Nazma Akter weiß, worüber sie spricht, wenn sie die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken in ihrer Heimat Bangladesch schildert: Die heute 50-Jährige begann bereits als Elfjährige gemeinsam mit ihrer Mutter in einer Bekleidungsfabrik zu arbeiten, weil sie zum Lebensunterhalt der Familie beitragen musste.
„Ich hätte wie jedes Kind Spaß haben und lernen sollen, aber das ist nicht passiert. Es war wie Sklaverei. Zwölf bis 14 Stunden am Tag, sieben Mal pro Woche, für umgerechnet zweieinhalb Euro im Monat. Arbeitsverträge oder Arbeitsrechtgesetze gab es nicht. Jedes dritte Kind musste arbeiten, um Geld zu verdienen“, erzählt sie im Interview mit Isabelle Ourny, Internationale Sekretärin des ÖGB. Das habe zu Schikanen und Missbrauch geführt, und natürlich zu Wut und Depressionen bei den Arbeiter:innen.
Es habe viele Zwischenfälle gegeben, erzählt Nazma: Unfälle, Gebäudeeinstürze, alle paar Jahre Brände, viele Menschen seien zusammengebrochen oder ums Leben gekommen. Sie wollte das nicht widerstandslos hinnehmen und begann bereits mit 16 Jahren, sich für Arbeitsrechte zu engagieren.
2003 gründete sie ihre Stiftung „Awaj“, auf Deutsch: die Stimme.
Bei uns müssen gute Mädchen ruhig sein und auf das hören, was Männer sagen. Ich muss kein gutes Mädchen sein.
Rana Plaza als Symbol für Arbeitsrechtverletzungen
Durch zähes Bemühen und zig Gespräche sei es gelungen, in einzelnen Fabriken positive Veränderungen zu erreichen, erzählt Nazma.
Erst die Katastrophe von Rana Plaza hat aber auch den internationalen Fokus auf die moderne Sklaverei in Bangladesch gerichtet: Im April 2013 stürzte eine mehrstöckige Fabrik, in der auch für Marken in Europa genäht wurde, nahe der Hauptstadt Dhaka zusammen, mit verheerenden Folgen: Mehr als 1.100 Tote und Tausende verletzte Textilarbeiter:innen, größtenteils Frauen, lösten weltweit Entsetzen aus und stehen seitdem symbolisch für die zahlreichen Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen in den Textilfabriken dieser Welt.
Als Konsequenz wurde das Internationale Abkommen für Gesundheit und Sicherheit in der Textil- und Bekleidungsindustrie zwischen Arbeitnehmer:innenvertretungen und Unternehmen in Bangladesch geschlossen. Es schreibt Sicherheitsvorkehrungen und Brandschutz in den Fabriken vor, Gewerkschaften betreuen die Beschwerdestellen für Betroffene. „Ja, der Schutz ist viel besser als in anderen Ländern, Bangladesch ist ein Vorbild in Sachen Sicherheit“, erklärt Nazma.
Monatlicher Mindestlohn rund 100 Euro
Der Kampf der Gewerkschaften geht aber unvermindert weiter, die Arbeiter:innen wollen ihren fairen Anteil: Während die internationalen Modemarken weiter in Bangladesch produzieren lassen und ihren Profit steigen, ist der Lohn in der Textilbranche beschämend niedrig. Seit der letzten Erhöhung im Jahr 2018 beträgt der Mindestlohn 12.500 Taka, das sind umgerechnet 102 Euro.
Auch Bangladesch leidet aber unter der steigenden Inflation, dazu kommt, dass es kein öffentliches Gesundheitssystem gibt; wer krank ist, muss also die Behandlung selbst zahlen.
Polizei schlägt Kampf um fairen Lohn gewaltsam nieder
Die Arbeiter:innen fordern mit Unterstützung der Gewerkschaften 23.000 Taka Mindestlohn, das sind rund 180 Euro. Proteste werden von der Polizei gewaltsam beendet, Demonstrierende werden zusammengeschlagen bei einem Protest vor einigen Monaten starben zwei Arbeiter. „Wenn Arbeiter:innen sich gewerkschaftlich organisieren wollen, werden sie auf die schwarze Liste gesetzt.
Es gibt falsche Anschuldigungen, Anklagen und Angriffe von örtlichen Schlägern“, berichtet Azma, die sich davon nicht vom Kurs abbringen lässt, obwohl es für Frauen besonders schwer ist: „Wenn du deine Stimme erhebst, dann kämpfst du für deine Rechte und bist ein böses Mädchen.“
Als sie ihre Gewerkschaft gegründet habe, wurde auch ihr Foto deswegen in der Zeitung veröffentlich. „Gute Mädchen sollen ruhig sein und auf das hören, was Männer sagen. Diese Art von System haben wir“, sagt Nazma, „ich muss kein gutes Mädchen sein.“
Große Hoffnung in wirksames Lieferkettengesetz
Der Boykott von in ihrer Heimat produzierter Kleidung sei nicht hilfreich, erklärt sie: „Damit boykottiert man Millionen von Arbeiter:innen, besonders Frauen und ihre Kinder.“ Die Lösung sieht sie stattdessen in rechtlich bindenden Maßnahmen und einer verbindlichen Sorgfaltspflicht, wie nur ein Gesetz sie schaffen können.
Um tapfere Menschen wie Nazma Akter und die Millionen von Betroffenen, deren Arbeitsrechte mit Füßen getreten werden, zu unterstützen, setzt sich der ÖGB wie viele europäische Gewerkschaften und NGOs für ein wirksames EU-Lieferkettengesetz ein.
Nazma Akter, geboren 1975 in Bangladesch, begann mit elf Jahren in einer Bekleidungsfabrik zu arbeiten.
Die schlechten Bedingungen, denen die Arbeiter:innen ausgesetzt sind, motivierten sie bereits im Alter von 16 Jahren, sich zu wehren. Seitdem kämpft sie für Verbesserungen der Arbeitnehmerrechte, insbesondere der Rechte von Frauen.
Ihr Hauptanliegen ist es, die Beteiligung von Frauen an Entscheidungsprozessen zu Hause und am Arbeitsplatz zu erhöhen. Außerdem setzt sie sich ein für ein besseres Verhältnis zwischen Arbeitnehmer:innen und Managern in der Bekleidungsindustrie.
2003 gründete sie die Awaj Foundation, außerdem ist sie Präsidentin der Sommilito Garments Sramik Federation und damit eine der stärksten Stimmen für bessere Arbeits- und Menschenrechte den Textil-Lieferketten.