Gewerkschaften
„Sie behandeln uns wie Roboter“
Chris Smalls über seinen Kampf gegen Amazon in den USA. In Österreich setzt sich neugegründeter Betriebsrat ein
„Alles war wegen Covid geschlossen, niemand war auf den Straßen, es war gespenstisch. Nur wir haben gearbeitet, mehr und mehr. Als ich eine Arbeitsniederlegung angeführt habe, um mehr Schutzmaßnahmen zu fordern, wurde ich gefeuert“, erzählt Chris Smalls über den Beginn seines Arbeitskampfs gegen Amazon im Jahr 2020. Der 36-Jährige, der seit dem Jahr 2013 im Amazon-Lager in Staten Island, einem der fünf Bezirke von New York, beschäftigt war, gründete die erste Amazon-Gewerkschaft in den USA (Amazon Labour Union, ALU). Auf einer Europareise machte er auf Einladung der Wienwoche auch Station im ÖGB, um von seinem Arbeitskampf zu berichten.
David gegen Goliath
Der auch als Rapper aktive Smalls ließ sich nämlich von der Kündigung nicht kleinkriegen: Vom Konzern vor die Türe gesetzt, kam er genau dorthin zurück, um für die Gründung einer Betriebsgewerkschaft zu kämpfen. „Elf Monate lang haben wir vor dem Betrieb eine Kampagne geführt, um das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Wir haben Gespräche geführt und Beziehungen aufgebaut“, erzählt Smalls, der sich bis heute nicht vom Konzern einschüchtern lässt. Die Gewerkschaft wurde nämlich dank der Unterstützung der Mitarbeiter:innen gegründet, wird aber von Amazon mit allen Mitteln bekämpft. Dazu gehören Klagen in Millionenhöhe genau wie die Order, bei jedem Besuch Smalls in einer der Amazon-Niederlassungen sofort die Polizei zu verständigen. „Ich wurde auch zweimal verhaftet, aber sie können mir nichts anhaben“, erzählt Smalls. Es ist also wie der sprichwörtliche Kampf von David gegen Goliath, Smalls lässt sich aber auch nicht davon entmutigen, dass es keinerlei Gesprächsbasis mit der Geschäftsführung gibt.
Gemeinsamer Kampf mit den Teamsters
Die Amazon-Gewerkschaft verzeichnet mittlerweile rund 8.000 Mitglieder, Hoffnung setzen Smalls und seine Mitstreiter:innen auch in die Zusammenarbeit mit den Teamsters, der größten Gewerkschaft für Lagerarbeiter und Fahrer in den USA. Die Gewerkschaft ALU (Amazon Labour Union) hat sich den Teamsters angeschlossen, um gemeinsam bessere Bedingungen für Amazon-Fahrer:innen zu erreichen. Smalls verweist außerdem auf ein Gesetz für bessere Arbeitsbedingungen in Lagerhäusern, das ohne die Amazon-Gewerkschaft nicht zustande gekommen wäre. Und er kündigt an, im Kampf für mehr Gesundheitsschutz und bessere Löhne nicht lockerzulassen: „Sie behandeln uns wie Roboter. Aber wir wollen den Anteil, den die Beschäftigten am Erfolg des Unternehmens verdienen.“
Betriebsrat bei Amazon Österreich seit Mai 2024
Auch in Österreich setzen sich engagierte Mitarbeiter:innen für bessere Arbeitsbedingungen bei Amazon ein. Im Mai 2024 wurde mit Unterstützung der Gewerkschaft GPA ein Betriebsrat für die rund 150 Angestellten gegründet. Laut dem Betriebsratsvorsitzenden Sebastian Nestorov sind die Arbeitsbedingungen insgesamt akzeptabel. „Die größte Herausforderung bei uns ist jedoch die fehlende finanzielle Wertschätzung,“ erklärt er. Zwar profitieren die Mitarbeiter:innen von den kollektivvertraglich geregelten Lohn- und Gehaltserhöhungen, doch es fehle an zusätzlichen internen Gehaltserhöhungen: „Seit der Gründung des Unternehmens in Österreich gab es noch nie eine Reallohnerhöhung. Amazon erzielt Jahr für Jahr Rekordgewinne, aber unsere Kolleg:innen, die diesen Erfolg erarbeiten, erhalten ihren wohlverdienten Anteil nicht.“
Konzernstrukturen als Hindernis für Verbesserungen
Nestorov betont, dass dieses Thema regelmäßig in Gesprächen mit der österreichischen Geschäftsführung angesprochen wird. Es wird jedoch immer wieder darauf verwiesen, dass Entscheidungen zu zusätzlichen Leistungen und Benefits in der Konzernzentrale in Seattle getroffen werden. „Wie so oft in global agierenden Unternehmen wird die Konzernstruktur als Ausrede verwendet, um notwendige Verbesserungen zu verzögern oder abzulehnen,“ kritisiert Nestorov. Dennoch lasse sich der Betriebsrat nicht entmutigen. „Wir werden weiterhin für die Interessen der Belegschaft kämpfen,“ so der Vorsitzende. Er freue sich außerdem auf die geplante Verstärkung: Auch bei den Arbeiter:innen von Amazon in Österreich laufen derzeit Vorbereitungen für die Wahl eines eigenen Betriebsrats.
Immer für seine Rechte eintreten!
Eine Entwicklung, die natürlich auch Chris Smalls gefällt. „Ich hoffe, dass die Gewerkschaftsbewegung weiterwächst, dass auch mehr Menschen aus verschiedenen Branchen sich in Gewerkschaften organisieren“, erzählt er am Beispiel des erfolgreichen Kampfs der Stripper:innen in den USA. Sie ernteten nicht nur Zustimmung, sondern auch viel Kritik für ihren Wunsch, sich für bessere Arbeitsbedingungen zu organisieren. „Es gab Stimmen, die meinten, Stripperinnen verdienen das gar nicht“, erzählt Smalls. Die Betroffenen ließen sich davon nicht irritieren, gründeten ihre Gewerkschaft und verdienten mit Crowdfunding schlussendlich so viel Geld, dass sie einen eigenen Klub kauften, in eine Genossenschaft umwandelten, und jetzt selbst für korrekte Arbeitsbedingungen und faire Entlohnung sorgen. „Jede und jeder verdient Rechte und Schutz, egal in welcher Branche, auch außerhalb von Amazon“, bringt Smalls es auf den Punkt.