Internationales
Ukraine: Regierung droht Gewerkschaft mit kompletter Entmachtung
Durchschnittslohn beträgt 445 Euro, Eingriffe ins Arbeitsrecht drohen – ÖGB will geplante Vorgangsweise des ukrainischen Staatspräsidenten auch in Brüssel thematisieren
Der Mindestlohn in der Ukraine beträgt derzeit 190 Euro, der Durchschnittslohn 445 Euro, das Lohnniveau steigt sehr langsam, es gibt kein funktionierendes Arbeitsinspektorat – dafür, dass immer mehr Menschen ins Ausland abwandern, gibt es viele Ursachen. Derzeit arbeiten rund zwei Millionen UkrainerInnen dauerhaft im Ausland, weitere drei Millionen verlassen ihre Heimat für saisonale Auslandseinsätze vorübergehend. Eine Tendenz, die zu einem Fachkräftemangel führt, was dem Arbeitsmarkt und der Wirtschaft im Land an der Schwarzmeerküste enorm schadet: Der Automobilkonzern Skoda scheiterte beispielsweise mit seinem Plan, eine Fabrik in der westlichen Ukraine zu errichten, weil es nicht ausreichend Arbeitskräfte gab.
Einzelverträge sollen Kollektivverträge ablösen
Auch die Sozialpartnerschaft funktioniert nicht, zudem sind Änderungen des Arbeitsgesetzes geplant. Die neoliberale Politik von Präsident Wolodymyr Selenski, der sich noch vor wenigen Wochen in Wien mit Bundespräsident Van der Bellen und Bundeskanzler Kurz traf, droht weitere Nachteile für die ArbeitnehmerInnen zu bringen: Unter anderem ist die gesetzliche Gleichstellung von Arbeitgebern und ArbeitnehmerInnen vorgesehen, was bedeutet, dass nicht mehr Kollektivverträge die Arbeitsverhältnisse regeln, sondern Einzelverträge. „Der ausgehandelte Vertrag steht, so der Gesetzesvorschlag, dann über den gesetzlichen Mindeststandards, das ist 150 Jahre alter Manchesterkapitalismus“, kritisiert der Internationale Sekretär des ÖGB, Marcus Strohmeier: „Damit ist eine weitere Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zu befürchten.“
Der ÖGB ist wie viele Gewerkschaften Europas in großer Sorge über diese Entwicklungen in der Ukraine. Die geplanten Verschlechterungen für ArbeitnehmerInnen können nicht widerstandslos akzeptiert werden.
Gesetzesvorschlag zur Enteignung der Gewerkschaften bereits im Parlament
Ein weiterer Gesetzesvorschlag sieht die Enteignung der Gewerkschaften vor, berichtete Oleksandr Shubin, Vizepräsident des 4,5 Millionen Mitglieder zählenden Dachverbands FPU (Föderation der Gewerkschaften der Ukraine), bei einem Arbeitsgespräch mit ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian. Offiziell sollen die Gewerkschaftsimmobilien als ehemaliges sowjetisches Eigentum enteignet werden; in Wirklichkeit, so Vizepräsident Shubin, gehe es aber um die wertvollen Gewerkschaftshäuser, die meist auf den Hauptplätzen fast aller großen Städte stehen.
Katzian erinnert an Assoziierungsabkommen zwischen EU und Ukraine
„Der ÖGB ist wie viele Gewerkschaften Europas in großer Sorge über diese Entwicklungen in der Ukraine. Die geplanten Verschlechterungen für ArbeitnehmerInnen können nicht widerstandslos akzeptiert werden“, unterstreicht Katzian und sichert jede Unterstützung im Rahmen der Möglichkeiten des ÖGB zu.
Es werde vor allem darum gehen, sich im Rahmen des Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine mit den Vorhaben Selenskis auseinanderzusetzen. Dieses Abkommen wurde im Rahmen der Östlichen Partnerschaft der Nachbarschaftspolitik der EU geschlossen. „Ein eigenes Kapitel befasst sich mit dem Sozialen Dialog“, sagt der ÖGB-Präsident: „Das darf kein leeres Versprechen bleiben.“