Kanada
Lily Chang: „Wir sind die Stimme aller Arbeitnehmer:innen“
Die Leitende Sekretärin des Kanadischen Gewerkschaftsbundes spricht mit oegb.at über die aktuelle Lage am kanadischen Arbeitsmarkt
Kanadas Gewerkschaftsbund, der „Canadian Labour Congress“ (CLC), blickt auf heiße Streikmonate zurück. Im zweitgrößten Land der Welt gab es unterschiedliche Streiks und Arbeitsniederlegungen: Beispielsweise gingen Bundesangestellte für bessere Verträge auf die Straße, ebenso wie Hafenarbeiter:innen, die für bessere Arbeitsbedingungen streikten. Viele weitere Beispiele aus anderen Branchen folgten. Oegb.at hat mit Lily Chang, Leitende Sekretärin des kanadischen Gewerkschaftsbundes, über diese aktuellen Entwicklungen in Kanada gesprochen.
oegb.at: Was sagen all diese Streiks über die Lage am kanadischen Arbeitsmarkt aus?
Lily Chang: „Wir hatten dieses Jahr sowohl Streiks bei öffentlichen, als auch bei privaten Angestellten - es geht also quer durch die Bank. Gleichzeitig wurden Arbeitnehmer:innenrechte eingeschränkt, Löhne nur wenig angepasst und auch die Arbeitsverträge haben sich weiter verschärft - obwohl Unternehmer große Gewinne gemacht haben. Und das wollen viele kanadische Arbeitnehmer:innen nicht mehr hinnehmen."
Über welche Bereiche sprechen wir?
„Es geht um den gesamten Care-Bereich: also Gesundheit, Pflege und eben die elementarpädagogischen Einrichtungen. Dort ist die Bezahlung sehr gering und es wird wenig gemacht, um diese Bereiche zu attraktiveren. Daher verlassen viele gute Leute diesen Bereich auch wieder. Für viele ist das Verlassen auch sehr hart, weil sie die Arbeit gerne machen. Allein im Bundesstaat Ontario gab es deshalb einen großen Streik."
Werden Gewerkschaften in Kanada heute anders wahrgenommen?
„Das ist definitiv der Fall. Vor allem hat das während der Pandemie begonnen. Auch hat sich die öffentliche Meinung gegenüber Gewerkschaften gewandelt. Früher war wenig Toleranz für Streiks da, jetzt sagen viele Leute: „Ja, warum nicht, das ist ihr gutes Recht“. Das ist ein großer Schritt in Nordamerika, wo es für Arbeitnehmer:innen immer schon hart war. Viele Junge werden jetzt auch Mitglied oder organisieren sich selbst. Was vielen Kanadier:innen klar wird, ist: Wir sind die Stimme aller Arbeitnehmer:innen, nicht nur unserer Mitglieder."
Früher war wenig Toleranz für Streiks da, jetzt sagen viele Leute: „Ja, warum nicht, das ist ihr gutes Recht". Das ist ein großer Schritt in Nordamerika.
Vor welchen Herausforderungen steht der kanadische Gewerkschaftsbund aktuell?
„Die Menschen haben die Teuerung, die Mietpreise und die hohen Lebensmittelpreise satt. Das sind auch gleichzeitig unsere großen Punkte. Hier müssen wir unsere Muskeln spielen lassen, wie wir es im Sommer getan haben. Der Regierung muss klar werden, dass das so, wie es ist, nicht geht."
Welche Zukunftsperspektiven sehen Sie für kanadische Arbeitnehmer:innen?
„Das ganze Thema rund um künstliche Intelligenz wird eine Herausforderung für die Zukunft. Aber ich denke, das betrifft alle Gewerkschaften weltweit. Denn einerseits wäre es gut in manchen Bereichen, wo es Sinn macht, diese neuen Technologien einzusetzen. Andererseits darf das nicht dazu führen, dass Menschen ihre Arbeitsplätze verlieren oder das ganze Branchen sterben. Daher müssen wir sehr vorsichtig sein, wie wir “KI“ am Arbeitsplatz einsetzen. Außerdem zahlen Computer keine Steuern, was direkte Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hätte."