Gewerkschaftsgeschichte
Hurra, nur noch 31 Jahre bis zur Lohngleichheit!
Die Einkommensschere zwischen Mann und Frau beträgt immer noch 18,5 Prozent
Der Gender Pay Gap lag am 25. Oktober 2021 bei 18,5 Prozent, das bedeutet für erwerbstätige Frauen einen Einkommensverlust von rund 10.000 Euro pro Jahr und rund 435.000 Euro in einem Erwerbsleben. „Das ist viel Geld, das Frauen im Geldbörsel fehlt und sie gut gebrauchen könnten“, sagt ÖGB-Vizepräsidentin und Frauenvorsitzende, Korinna Schumann.
Der Europäische Gewerkschaftsbund errechnete, dass Frauen noch länger mit weniger Geld auskommen müssen: Nämlich bis ins Jahr 2052, also noch 31 Jahre lang. Erst dann wird es die Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen geben. Es muss also noch eine ganze Generation von Frauenrechtskämpferinnen für die Schließung der Einkommensschere streiten. Als Nachfolgerinnen ihrer Vorkämpferinnen, die schon im Jahr 1870 fragten, wieso sie genauso viel leisten müssten wie Männer, aber nur halb so viel verdienten.
„Billige Frauen“
Einen der Grundsteine zur unterschiedlichen Entlohnung von Frauen und Männern legte erstaunlicherweise eine Frau: die Regentin Maria Theresia. Sie erlaubte im Jahr 1751 Wiener Seidenmanufakturen Frauen einzustellen; natürlich zu geringeren Löhnen als die ihrer männlichen Kollegen – was den Frauen den Ruf einbrachte Lohndrückerinnen zu sein.
Die Frauenarbeit und somit auch die Lohnungleichheit nahmen während der Industrialisierung zu. Den FabriksbesitzerInnen waren die „billigen Frauen“ willkommen, den „Familienoberhäuptern“ als Zuverdienerinnen ebenso. Gegenwehr kam von der junge Frauenrechtsbewegung. Sie schuf ab 1900 das Bewusstsein, dass Frauen arbeiten, um sich und ihre Kinder zu ernähren und forderten beim ersten Internationalen Frauentag 1911 nicht nur das Wahlrecht, sondern auch, dass Frauen ausreichend verdienen müssten, damit ihre Kinder nicht mehr arbeiten gehen müssten.
Es änderte sich jedoch nichts an der Ungleichbehandlung, sondern sie wurde in den Kollektivverträgen einzementiert: Es gab Männerlohngruppen und niedriger dotierte Frauenlohngruppen – wohlgemerkt: für die gleiche Arbeit.
Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit
Doch die Frauen gaben nicht auf. Während der Ersten Republik stieg mit der Frauenbeschäftigung auch die Einkommensdifferenz auf bis zu 75 Prozent. Das trieb die Frauen auf die Straße. Im Jahr 1925 skandierten sie beim Internationalen Frauentag „Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“, drei Jahre später prangerte die Gewerkschafterin Anna Boschek „das allerärgste Unrecht der unwürdigen Entlohnung der Frauen“ an. Es änderte sich nichts.
Also kämpften die Frauen auch in der Zweiten Republik weiter, mussten aber im Jahr der Frau (1975) immer noch feststellen, dass der gleiche Lohn noch ausständig war. Die Frauenministerin und Ärztin Sabine Oberhauser verglich im Jahr 2016 die Situation der Frauen in Österreich mit einer „chronischen Krankheit, deren stärkstes Syndrom die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen“ sei.
Schöne, ungefährliche Jobs
Doch statt nach einem Heilmittel gegen die chronische Krankheit zu suchen, mussten die Frauenrechtskämpferinnen gegen seltsame Argumente angehen: Im frühen 20. Jahrhundert meinte so manche/r ArbeitgeberIn, dass Frauen nicht soviel verdienen müssten, weil sie weder Alkohol trinken noch rauchen. Nach 1945 hieß es, dass Männern mehr Lohn zustünde, da sie die „gefährlicheren und dreckigeren“ Jobs machen, wie etwa bei der Müllabfuhr und in der Stahlerzeugung. Während Frauen, den zwar geringer entlohnten, aber „schöneren und ungefährlichen Jobs“ nachgingen: in Kosmetikstudios oder in Supermärkten.
Seit der Einführung des amtlichen Gender Pay Gaps in Österreich, im Jahr 2007 wird regelmäßig behauptet, die „Gender-Pay-Gap-Folklore“ sei sowieso „nur eine Waffe im aufgeheizten Geschlechterkampf“ und die „Riesen-Lohnlücke“ ein Mythos - die Riesenlücke von amtlich errechneten 19,3 Prozent Einkommensdifferenz.
Streik und Leichtlohngruppen
Ein wirksames Instrument zur Beseitigung des Mythos wurde der Kollektivvertrag. War es anfangs des 20. Jahrhunderts noch selbstverständlich, dass es Frauen- und Männerlohngruppen in den Kollektivverträgen gab, wurden diese nach einem Streik der MetallarbeiterInnen im Jahr 1962 sukzessive abgeschafft oder einfach in „Leichtlohngruppen“ umbenannt – was keinen Lohnzuwachs brachte.
Es brauchte also eine gesetzliche Basis. Nach jahrzehntelangem Druck verabschiedete der Nationalrat im Jahr 1979 endlich das Gleichbehandlungsgesetz. Die Gewerkschafterinnen sahen sich am Ziel und auch wenn ein Großteil der „Leichtlohngruppen“ und verschiedenster Diskriminierung in Kollektivverträgen abgeschafft wurden, verblieben die Arbeiterinnen in den unteren Lohngruppen.
Also griffen die VerhandlerInnen zu einem neuen Werkzeug, der solidarischen Lohnangleichung. Die unteren Lohngruppen wurden um einige Prozentpunkte mehr angehoben als die oberen. Und als das die Lohnschere immer noch nicht schloss, setzten sie in den 1990er Jahren 10.000 Schilling, 2010 1.000 Euro und 2017 1.500 Euro Mindestlohn durch.
Noch weitere 31 Jahre?
Trotzdem: Die Einkommensschere bleibt offen. Auch wenn sie sich seit den 1920er Jahren schließt: Lag der Gender Pay Gap etwa im Jahr 1925 noch zwischen 25 und 75 Prozent, waren es im Jahr 1953 48 Prozent und 1979 sogar 58 Prozent. Und jetzt, im Jahr 2021, sind es immer noch 18,5 Prozent.
Soll es wirklich noch 31 Jahre dauern, bis Frauen und Männer für die gleiche Leistung, den gleichen Lohn erhalten? Nein! Darum jetzt Gewerkschaftsmitglied werden und den Kampf um die Schließung der Einkommensschere unterstützen.