Geschlechtergerechtigkeit
Als die Gleichberechtigung die „gottgewollte Ordnung” zerstörte
Die kurze Geschichte des langen Weges zur Familienrechtsreform im Jahr 1975
Am 1. Juli 1975 beschloss der Nationalrat die Familienrechtsreform und beendete damit die Ära des Mannes als Oberhaupt der Familie und begann damit die Zeit der Gleichberechtigung in der Ehe. Gewerkschafterinnen, wie die ÖGB-Frauenvorsitzenden Wilhelmine Moik, Rosa Weber und Maria Metzker hatten jahrzehntelang für die Reform gekämpft.
Das Heiligste schützen: die Familie
„Die sommerliche Hitze der letzten Tage hat im Parlament eine recht sonderbare Pflanze zu Tage befördert“, schrieben Redakteure im August 1925 und meinten damit den „fürchterlichen“ Gesetzesantrag der sozialdemokratischen Politikerinnen Adelheid Popp und Gabriele Proft über die Gleichstellung der Geschlechter im Familienrecht. Die meisten Journalisten waren sich einig: Ginge dieser Antrag durch, würde der Mann als Oberhaupt der Familie entthront werden. Sie waren mit dieser Einstellung nicht allein.
Die Kirche sah durch die geforderte Einführung der Zivilehe und der Scheidung die „vor Gott unauflösliche Ehe“ in Gefahr. Die Konservativen fürchteten hingegen, dass der Mann bei völliger Gleichberechtigung die Autorität in der Familie verlöre und dies, so mahnten sie, sei nur der erste Schritt zur Untergrabung der Autorität des Staates. Deshalb galt es – da waren sich Kirche und Konservative einig – das Heiligste zu schützen: die Familie – und somit keinesfalls das Familienrecht zu ändern.
Der Mann als Haupt der Familie
Popp und Proft wiesen hingegen auf die Rechtsungleichheit hin: Die österreichische Verfassung aus dem Jahr 1920 lege die Gleichheit der Geschlechter im öffentlichen Recht festlegt und müsse somit auch für das Familienrecht gelten. Deshalb müsse es dringend reformiert werden, stammten doch die Bestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) aus dem Jahr 1811: Der Mann ist das Haupt der Familie. Die Gattin erhält den Ehenamen des Mannes. Sie hat dem Gatten an seinen Wohnsitz zu folgen. Sie hat, soweit es die häusliche Ordnung erfordert, die von ihm getroffenen Maßregeln zu befolgen. Der Mann hat die väterliche Gewalt über die Kinder. Er kann Erklärungen im Namen der Frau abgeben oder Unterschriften für sie leisten, ohne sie konsultiert zu haben. Uneheliche Kinder waren vom Erbrecht ausgenommen. Scheidungen waren kaum möglich.
Als Ehefrauen waren Frauen also vollkommen entrechtet. Genau das wollten Popp und Proft ändern. Doch der „fürchterliche“ Antrag wurde dem Justizausschuss zugewiesen und schubladisiert, 1927 erneut eingebracht und abermals ignoriert. Die Forderungen blieben aber aufrecht.
Die „gottgewollte“ Ordnung
Gabriele Proft (SPÖ) saß auch in der Zweiten Republik wieder im Nationalrat. Gemeinsam mit Gewerkschafterinnen sowie SPÖ- und KPÖ-Politikerinnen machte sie Druck. Im Jahr 1949 berief schließlich der damalige Justizminister Otto Tschadek (ebenfalls SPÖ) eine rein männlich besetzte Kommission ein, die die Richtlinien für die gesetzliche Neuordnung des Familienrechts ausarbeitete.
Die ideologischen Gräben der Ersten Republik waren aber nicht überwunden. Den SozialdemokratInnen gingen die vorgeschlagenen Reformen nicht weit genug, den Konservativen hingegen waren sie zu radikal. Die Kirche bestand auf die Führung der Familie durch den Vater, auf die Hingabe der Mutter und die Ehrfurcht und den Gehorsam der Kinder – auf die „gottgewollte“ Ordnung.
Am 8. Dezember 1951 prallten die Meinungen im Nationalrat aufeinander, Zeitungen berichteten von Tumulten. Proft bestand auf die Gleichstellung der Rechte und darauf, dass Frauen unabhängig von Haushalts- und Kinderbetreuungspflichten ohne die Zustimmung des Ehemannes frei über ihre Berufstätigkeit entscheiden dürfen sollen und die Verbesserung der Stellung der unehelichen Kinder.
Die Konservativen waren gegen die Einbeziehung der unehelichen Kinder in das Erbrecht, würde dies doch unter der Landbevölkerung zu viel Aufregung führen; außerdem dürfe die Stellung des Mannes als Oberhaupt der Familie unter keinen Umständen angerührt werden. Im Herbst 1952 war das Thema zunächst wieder vom Tisch.
Unrecht an Frauen endlich beseitigt
Tschadek änderte Ende der 1950er-Jahre seine Strategie: Statt einer großen Reform sollte es eine Annäherung von den „Randgebieten“ hin zum „Kern“ des Familienrechts geben. Im Jahr 1960 beschloss der Nationalrat die Verschärfung der Strafbestimmungen bei der Verletzung der Unterhaltspflicht und das Adoptionsrecht.
Tschadeks Nachfolger Christian Broda (SPÖ) übernahm dessen Taktik, und während der SPÖ-Alleinregierung konnten zuerst die „Randgebiete“ wie die Rechtstellung der unehelichen Kinder und dann der Kern geändert werden: Am 1. Juli 1975 beschloss der Nationalrat die Neuordnung der persönlichen Rechtswirkung der Ehe.
Das 164 Jahre alte Unrecht an Frauen war endlich beseitigt worden: Die Stellung des Ehemannes als Oberhaupt der Familie abgeschafft, die Gleichberechtigung eingeführt worden und die Berufstätigkeit von Frauen war nicht mehr von der Zustimmung des Gatten abhängig. Die sommerliche Hitze hatte die sonderbare Pflanze voll zum Erblühen gebracht.
In den folgenden Jahren wurde das Unterhaltsvorschussgesetz (1976) verabschiedet und mit der Neuordnung des Kindschaftsrechts (1977) die väterliche Gewalt über die Kinder beseitigt. Vater und Mutter hatten von nun an die gleichen Rechten und Pflichten. Im Zuge der Neuordnung des ehelichen Güterrechtes verschwand die Regelung, dass das während der Ehe erworbene Vermögen nur vom Mann stammt.
ÖGB begrüßte Reform
Die damalige ÖGB-Frauenvorsitzende und Nationalratsabgeordnete Maria Metzker begrüßte die Familienrechtsreform. Sie sagte: Ein gutes Stück Arbeit sei erledigt worden und man sei bei der Verbesserung der Gleichstellung der Frau in der Familie und auch im Beruf etwas weitergekommen – nun gelte es aber, das konservative Familienbild der ÖsterreicherInnen zu ändern. Und in Richtung Gewerkschafter, dass der Partnerschaftsgedanke nun auch in der Gewerkschaft einziehen müsse. Beim Gewerkschaftstag im Jahr 1975 wurde Metzker zur ersten Vizepräsidentin des ÖGB gewählt.
Dass aber Gesetze allein nicht ausreichen, um eine Denkweise zu ändern, wurde während der Corona-Pandemie sichtbar. Den Großteil der unbezahlten Familienarbeit verrichteten immer noch Frauen.
Zu Metkers Zeiten waren Gratiskindergärten oder ganztägige Kinderbetreuung noch Zukunftsmusik, genauso wie Elternkarenz oder das Papamonat sowie die Abschaffung der Frauenlöhne in den Kollektivverträgen. Alles Erfolge der starken Gewerkschaftsfrauen. Auch heute kämpfen sie weiter für die stetige Verbesserung der Situation der Frauen in der Arbeitswelt.