Gewalt gegen Frauen
Wenn Täter lernen, Verantwortung zu übernehmen
Susanne Pekler Leiterin von NEUSTART Steiermark, erklärt, wie opferschutzorientierte Täterarbeit, das Umfeld und die Politik zur Vermeidung von Gewalt beitragen können
Allein in diesem Jahr wurden bis Anfang Dezember bereits 30 Frauen ermordet. Diese Femizide sind aber nur die Spitze des Eisbergs. Oft stecken lange Leidensgeschichten von Gewalt in der Familie dahinter. Eine weitere Gewaltstatistik, nämlich die Zahl der Betretungs- und Annäherungsverbote, zeigt auf, wie groß das Problem tatsächlich ist. Diese Verbote werden ausgesprochen, wenn Gewalt in der Familie passiert und die Polizei die Gewalttäter von der Wohnung wegweist. Laut polizeilicher Kriminalstatistik wurden im Jahr 2020 insgesamt 11.652 Betretungs- und Annäherungsverbote ausgesprochen. Dass diese potenziellen Gewalttäter nicht bis zum Äußersten gehen, ist großteils auch der Täterberatung zu verdanken.
Susanne Pekler war selbst jahrelang in der Opfer- und Täterberatung tätig und leitet heute NEUSTART Steiermark, ein Verein, der Bewährungshilfe und Konfliktregelung bietet. Im Gespräch mit oegb.at erklärt sie, was opferschutzorientierte Täterarbeit ist und wie die Stimmung in Betrieb und Gesellschaft Gewalt begünstigen oder ablehnen kann.
oegb.at: Was ist opferschutzorientierte Täterarbeit?
Pekler: Bei der opferschutzorientierte Täterarbeit ist vernetztes und abgestimmtes Arbeiten zwischen Opferschutz, Polizei/Justiz und Täterarbeitseinrichtung die Voraussetzung. Wir arbeiten mit der Person, die Gewalt ausgeübt hat, die Tat und die Hintergründe dazu auf. Wir sprechen darüber, was rechtskonformes Verhalten ist und erarbeiten Verantwortungsübernahme. Dabei gehen wir die Delikthandlung mit dem Täter im Detail durch und schauen, wie der Tag gelaufen ist, wie der emotionale Zustand war, ob es Ärger gab etc. Bei jedem einzelnen Punkte versuchen wir zu klären, wer ist wofür verantwortlich. Täter haben meist das Gefühl, dass ihre Probleme nicht gehört und ernst genommen zu werden, deshalb ist genaues Hinschauen wichtig, aber auch klar zu machen, dass wer zuschlägt - unabhängig von der Vorgeschichte - immer die Verantwortung für die Tathandlung hat. Dann besprechen wir, welche Momente es gegeben hätte, um auszusteigen, anders zu reagieren, gewaltfrei zu agieren.
Schließlich geht es um eine Bilanzierung und Gegenüberstellung, was die Tat gebracht hat und welche negativen Folgen, von der Verurteilung, dem Verlust von Frau und Kinder, bis zum Verlust des Arbeitsplatzes und der Wohnung es gibt. Gemeinsam wird nach konstruktiven Wegen gesucht, wie das eigentliche Ziel, das dann zur Tat geführt hat, konstruktiv erreicht werden könnte.
oegb.at: Sehen Täter nach der Beratung ihre Fehler ein?
Pekler: Wir machen im Fall von strafrechtlichen Verurteilungen in der Bewährungshilfe Anti-Gewalt-Trainings, die ein halbes Jahr dauern und sehr intensiv sind. Damit verzeichnen wir sehr gute Erfolge und es gibt nur geringe Rückfallraten. Die Gewaltberatungen nach einer polizeilichen Wegweisung sind noch neu und eine Art Krisenintervention. Da wird die Situation entschärft, damit der Mann sich und der Familie nichts antut. In diesem Kontext versuchen wir ihnen, je nach Problemlage, auch weitere Hilfe zu vermitteln (Männerberatung, Suchtberatung, Psychotherpie usw). Die Täter erleben eine massive Irritation in ihrem Alltag, wenn sie von ihrem Zuhause weggewiesen werden. Wir verstehen diese Zeit als „Window of Opportunity“. In dieser Zeit kann der Mann dazu gebracht werden, sich zu überlegen, was er in seinem Leben verändern muss. Einige Monate danach ist es zu spät. Er kann wieder nach Hause und die Routine läuft weiter wie davor. Deswegen ist es so wichtig, dass diese Gewaltberatung direkt nach der Tat verpflichtend ist.
oegb.at: Wie nehmen Opfer die Täterarbeit wahr?
Pekler: Sehr positiv. Gewaltschutzzentren, mit denen wir sehr eng zusammenarbeiten, haben uns gesagt, dass es für Frauen eine große Erleichterung ist, wenn sie wissen, dass in den zwei Wochen, in denen der Gefährder nicht nach Hause darf, in Betreuung ist. Sie sorgen sich, dass er sich oder ihnen etwas antut. Deshalb ziehen sie dann oft auch die Anzeige zurück oder verweigern die Aussage. Wenn, sie aber wissen, er ist in Beratung und bekommt Unterstützung, hilft das Frauen sehr. Sie bekommen dann den Kopf frei, damit sie sich um sich selbst sorgen können.
oegb.at: Wie soll man am Arbeitsplatz mit Tätern umgehen, egal ob sie zu Hause oder am Arbeitsplatz die Tat verüben?
Pekler: Zunächst unbedingt Hilfe holen. Eine Beratungsstelle anrufen und Betroffene dorthin schicken. Das gilt für beide: Täter wie Opfer. Hilfe brauchen immer beide, um aus dem herauszukommen.
Passieren Übergriffe im Betrieb, dann geht es stark darum, die Stimmung im Unternehmen zu prägen. Dass es eben nicht lustig ist, wenn man eine Sekretärin im Vorbeigehen auf den Hintern haut oder sexistische Bemerkungen macht, wenn eine junge Kollegin reinkommt. Dass man aufsteht und klar sagt: „Das finde ich nicht lustig. Das ist geschmacklos. Möchtest du, dass mit deiner Tochter wer so redet?" Gerade wenn andere Männer oder ältere Kolleginnen das vor anderen Personen sagen, kann das schon helfen. Oder auch wenn Männer über ihre Probleme reden, kann das ein Beitrag zu einem Klima sein, in dem Sprüche wie „ein Mann hilft sich selbst" oder „Männer weinen nicht" nichts verloren haben.
oegb.at: Was würden Sie sich von der Politik in Bezug auf Opferschutz und Täterarbeit wünschen?
Pekler: Beim Opferschutz und der Täterarbeit hat sich prinzipiell schon viel getan, da geht es in eine gute Richtung. Wir haben jetzt nach einer Wegweisung pro Täter sechs Stunden in der Beratung, das ist gut, aber in einzelnen Fällen viel zu wenig. Da müsste es eine Flexibilisierung geben, so dass SozialarbeiterInnen entscheiden, wie viele Stunden es tatsächlich braucht.
Was meiner Meinung nach in Österreich aber absolut fehlt, ist eine Kampagne zum Thema "Mannsein", um ein differenzierte Männlichkeitsbild zu zeichnen. Männer zu zeigen, die auch in der Familie Verantwortung übernehmen und sich mit der Frau die Kinderbetreuung und Karenz teilen. Deutlich zu machen, dass sie sich Erwerbsarbeit und auch die Verantwortung für die Familie teilen. Gerade in Krisensituation macht das viel aus, weil Männer oft das Gefühl haben, sie sind allein fürs Geldverdienen verantwortlich und damit auch der Patriarch. Gleichzeitig haben sie dann Angst, dass sie Frau und Kinder verlieren. Mannsein heißt nicht, stark zu sein und zuschlagen können und selbst keine Probleme zu haben. Und Frausein heißt nicht nur, schön sein und sich über die Kinder zu definieren. Das würde in Wirklichkeit den wesentlichsten Fortschritt bringen.
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Jugend am Werk, Männerwelten Salzburg
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NEUSTART Beratungsstelle für Gewaltprävention Steiermark
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