Gewalt gegen Frauen
Frauenmorde sind keine „Eifersuchtsdramen”
Was jetzt getan werden muss - ÖGB-Vizepräsidentin Korinna Schumann im Interview
Das Thema Gewalt gegen Frauen hat zuletzt immer wieder für Schlagzeilen gesorgt. Das ist kein Zufall: Österreich war im Jahr 2020 das einzige EU-Land, in dem mehr Frauen als Männer Gewaltverbrechen zum Opfer fielen. Im Interview mit oegb.at erklärt ÖGB-Vizepräsidentin und -Frauenvorsitzende Korinna Schumann, was getan werden muss.
oegb.at: 12 Frauen wurden heuer in Österreich bereits ermordet. Das Thema Femizid hat damit traurige Bekanntheit erlangt. Was muss jetzt passieren, damit das aufhört?
Korinna Schumann: Diese Gewalt, diese Vielzahl an Frauenmorden, eigentlich Frauenhinrichtungen – es ist unerträglich. Es muss alles unternommen werden, um das zu verhindern. Wir wissen aber auch, dass die bekannten Gewalttaten nur die Spitze des Eisberges sind. Die Corona-Situation hat das Gewaltproblem in den Familien verstärkt. Der Großteil der Leidtragenden sind Frauen und Kinder. Es ist notwendig, das Problem möglichst vielen Menschen bewusst zu machen, dagegen aufzutreten und in Präventionsmaßnahmen zu investieren. Frauen brauchen jede Unterstützung, um wieder aus Gewaltsituationen herauszukommen.
Es braucht den gesellschaftlichen Aufschrei in alle Richtungen, denn diese Frauenmorde sind keine „Eifersuchtsdramen” - es ist Gewalt.
Die Regierung hat rund 25 Millionen Euro für Sofortmaßnahmen zum Gewaltschutz versprochen. Reicht das?
Dass sich die Regierung mit der Aufstockung der Mittel bewegt hat, ist gut und wichtig. Aber es ist ein kleiner Schritt, ein zu kleiner – es braucht wesentlich mehr Geld. Das haben ja auch die VertreterInnen der Gewaltschutzeinrichtungen ganz klar gesagt: 228 Millionen Euro und 3.000 neue Stellen im Opferschutz - das wäre wirklich ein starkes Zeichen und absolut notwendig, um wirklich etwas gegen diese Gewaltsituationen tun zu können. Es braucht aber genauso den gesellschaftlichen Aufschrei in alle Richtungen, denn diese Frauenmorde sind keine „Eifersuchtsdramen” - es ist Gewalt. Das darf nicht verharmlost werden. Sowohl körperliche als auch psychische Gewalt haben in einer Partnerschaft nichts zu suchen.
Was hat der ÖGB bisher gemacht, um für das Thema „Gewalt gegen Frauen“ zu sensibilisieren?
Wir nützen jede Gelegenheit dafür. Ein Fixpunkt ist die Aktion „16 Tage gegen Gewalt“. Das ist eine internationale Kampagne, die jedes Jahr vom 25. November bis 10. Dezember stattfindet und auf das Recht auf ein gewaltfreies Leben aufmerksam macht. Mit dieser Aktion wollen wir zeigen, dass es keine Toleranz bei Gewalt gegen Frauen geben darf. Dabei ist es uns sehr wichtig, dass auch männliche Vertreter der Gewerkschaftsbewegung Position beziehen, denn Gewalt gegen Frauen ist nicht nur ein Frauenthema, es ist genauso ein Männerthema.
Es geht darum, das Problem anzusprechen, hinzuschauen und nicht wegzuschauen.
Das eigene Zuhause ist für viele Frauen der gefährlichste Ort, in der Arbeit bekommt man davon vielfach nichts mit. Wie kann Gewalt gegen Frauen am Arbeitsplatz thematisiert werden?
Die Arbeit in den Betrieben ist sehr wichtig. Hier geht es vor allem darum, BetriebsrätInnen und MitarbeiterInnen dafür zu sensibilisieren, das Problem anzusprechen, hinzuschauen und nicht wegzuschauen. Diese Zivilcourage braucht es ganz dringend. Denn in vielen Fällen tragen Frauen, die Gewalt im Privaten erleben, diese Erfahrungen zur Arbeitsstätte mit – wenn der passende Rahmen geschaffen wird, kann das Problem in der Arbeit vielleicht auch offener angesprochen werden.
Was können BetriebsrätInnen ganz konkret machen, um von Gewalt betroffene Frauen zu unterstützen?
Sie können sie ermutigen, sich professionelle Hilfe zu holen, bei Hotlines anzurufen und sich beraten zu lassen. Es ist klar, dass nicht jede Frau darüber reden will. Aber vielleicht spricht man es einmal an und sagt: „Du, ich habe beobachtet, dass es dir nicht gut geht. Kann es sein, dass bei dir zu Hause etwas passiert, das dir nicht guttut?“ Das wirkt vielleicht nicht beim ersten Mal, aber es bleibt hängen. Möglicherweise finden Betroffene später den Mut, Hilfe anzunehmen. Denn es braucht viel Mut, um aus einer Gewaltbeziehung herauszukommen.
Partnerschaft soll auf Augenhöhe stattfinden und nicht in einem hierarchischen Abhängigkeitssystem.
Die finanzielle Abhängigkeit ist für viele Frauen eine große Hürde, um aus gewalttätigen Beziehungen auszubrechen – gerade, wenn Kinder mit im Spiel sind. Was muss sich hier ändern?
Frauen müssen ein existenzsicherndes Einkommen haben. Viele Frauenberufe sind schlecht bezahlt – das ist eine Tatsache. Daher kämpfen wir Gewerkschaftsfrauen für 1.700 Euro kollektivvertraglichen Mindestlohn. Dieses Einkommen hilft Frauen auch dabei, sich aus einer Gewaltbeziehung zu lösen, weil sie damit ihre Existenz und die ihrer Kinder selbstständig aufrechterhalten können. Es braucht aber auch Rahmenbedingungen, damit Frauen überhaupt die Chance haben, Vollzeit arbeiten zu können. Daher fordern wir einen Rechtsanspruch auf einen leistbaren Kinderbetreuungsplatz für jedes Kind ab dem ersten Lebensjahr in ganz Österreich. Gerade für Alleinerzieherinnen, die besonders armutsgefährdet sind, kann das eine große Entlastung sein. Und wenn Frauen arbeitslos werden, braucht es Programme zur Weiter- und Umqualifizierung, die sie wieder in Beschäftigung bringen. So müssen sie nicht von einem geringen Arbeitslosengeld leben, sondern haben wieder eine Perspektive. Alle diese Maßnahmen würden Frauen mehr Freiheiten dafür geben, einen eigenen Weg zu gehen und Partnerschaft als faires Miteinander zu erleben. Denn schließlich soll Partnerschaft auf Augenhöhe stattfinden und nicht in einem hierarchischen, eventuell sogar gewaltsamen Abhängigkeitssystem.