Zum Hauptinhalt wechseln
ÖGB-Frauenvorsitzende Hilde Seiler übergibt beim ÖGB-Frauenkongress Bundeskanzler Franz Vranitzky eine der 70.000 Postkarten gegen die Anhebung des Frauenpensionsantrittsalters
ÖGB-Frauenvorsitzende Hilde Seiler übergibt beim ÖGB-Frauenkongress Bundeskanzler Franz Vranitzky eine der 70.000 Postkarten gegen die Anhebung des Frauenpensionsantrittsalters

Historisches

Gewerkschaftsgeschichte: Pensionsantritt der Frauen

Wie ÖGB-Frauen den Gleichbehandlungspakt erkämpft haben und was das mit Zahnpasta zu tun hat

Seit dem Jahr 1947 ist das Pensionsantrittsalter der Frauen um fünf Jahre niedriger als das der Männer. Der Grund dafür ist banal: Dem Staat fehlte damals das Geld, um das Pensionsantrittsalter für alle von 65 auf 60 Jahre zu senken. 

Gleichberechtigung durch ein Urteil des Verfassungsgerichtshofs?

Die Regelung wurde in allen nachfolgenden pensionsrelevanten Gesetzen übernommen, bis am 6. Dezember 1990 der Verfassungsgerichtshof veröffentlichte, dass das Pensionsantrittsalter der Frauen dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht

Diese Erkenntnis löste bei politischen Frauenorganisationen, und so auch unter Gewerkschafterinnen, Kritik und Ablehnung aus. Frauenministerin Johanna Dohnal sah aber auch eine Chance. Sie sagte, man müsse eine Gesamtschau der aus Frauensicht notwendigen Mindestvoraussetzungen unternehmen, die realisiert oder eingeleitet werden müssten, bevor schrittweise eine Angleichung des Pensionsanfallsalters wirksam werden könnte. 

Gleichberechtigung in der Arbeitswelt? 

Diese Gesamtschau ergab, dass rund 310.000 ArbeitnehmerInnen weniger als 10.000 Schilling brutto verdienten - davon 225.000 Frauen. Die Durchschnittspension der Männer lag bei 10.922 Schilling, die der Frauen bei 6.343 Schilling. 78 Prozent der berufstätigen Frauen waren allein für die Kinder- und Altenbetreuung und den Haushalt zuständig. Nur vier Prozent der Spitzenjobs in der Wirtschaft waren mit Frauen besetzt und im Jahr 1990 gab es nur für 55 Prozent der drei- bis sechsjährigen Kinder einen Kindergartenplatz. 

Die GMBE-Frauenvorsitzende Erika Nussgraber-Schnabl übergibt 15.000 Unterschriften
Die GMBE-Frauenvorsitzende Erika Nussgraber-Schnabl übergibt 15.000 Unterschriften

ÖGB-Frauen starten Aktionen 

Die ÖGB-Frauen starteten umgehend Aktionen – sie verteilten Flugblätter mit dem Titel „Keine Verschlechterung für unselbstständig erwerbstätige Frauen“. Innerhalb weniger Tage formulierte die ÖGB-Frauenvorsitzende Hilde Seiler mit 15 Spitzenfunktionärinnen ein „Überschriftenpapier“, in dem sie u. a. die Gleichstellung von Frau und Mann im Beruf und Gesellschaft, gleiche Aufstiegschancen, die Sicherung der Arbeitsplätze von älteren Arbeitnehmerinnen sowie die Berücksichtigung der Belastungen der Familienarbeit bei den Pensionsanrechnungszeiten forderten. Mitte Dezember 1990 überreichte eine ÖGB-Frauendelegation das Papier der neu angelobten Bundesregierung. Gleichzeitig organisierten die ÖGB-Frauen eine Postkartenaktion.

Beim ÖGB-Frauenkongress im Jänner 1991 „überraschte“ Seiler Bundeskanzler Franz Vranitzky mit mehr als 70.000 Postkarten, auf denen Frauen forderten: Keine Schlechterstellung für unselbstständig erwerbstätige Frauen im Pensionsrecht. Gleiches Pensionsrecht für Frau und Mann NUR bei völliger Gleichstellung der Frauen in Arbeitswelt, Familie und Gesellschaft. Sie übergab dem sichtlich verlegenen Bundeskanzler symbolisch die 70.000e Postkarte. In seiner Rede stimmte Vranitzky den Forderungen zu.

Verhandlungen zum Gleichbehandlungspakt

Seilers Nachfolgerin als ÖGB-Frauenvorsitzende, Irmgard Schmidleithner, und die Frauenvertreterinnen der ÖGB-Landesorganisationen sowie der Gewerkschaften konkretisierten mit Hilfe der Juristin Brigitte Mlinek (AK) das Überschriftenpapier und machten daraus einen juristisch wasserdichten Forderungskatalog. Die ÖGB-Frauen verhandelten ab Februar 1991 gemeinsam mit Johanna Dohnal und einer Gruppe von Frauenorganisationen das rund 50 Punkte umfassende Paket.

ÖGB-Frauenvorsitzende Irmgard Schmidleithner
ÖGB-Frauenvorsitzende Irmgard Schmidleithner

Schmidleithner erinnert sich: „Unsere Forderung war klar: Ohne komplette Gleichbehandlung darf es keine Anhebung des Frauenpensionsantrittsalters geben.“ Es folgten harte Verhandlungen. „Zwar waren alle der Meinung, dass es Gleichbehandlung geben soll, nur dürfe sie eben nichts kosten. Die Wirtschaftskammer wünschte sich eine möglichst kurze Übergangszeit bis zur Anpassung des Frauenpensionsantrittsalters an jenes der Männer. Wir hatten aber einen Trumpf: Bis zur Verabschiedung des neuen Familienrechts im Jahr 1975 konnten Männer ihren Ehefrauen verbieten, Erwerbsarbeit nachzugehen.“ 

„Auch in den Gewerkschaften vertraten einige Männer die Ansicht, dass die Verbesserungen für Frauen zu Verschlechterungen bei den Männern führen würde. Dabei übersahen sie allerdings, dass eine Besserstellung der Frauen das Familienbudget erhöht.“ Die Fronten verhärteten sich und schließlich kamen die Verhandlungen zum Stillstand

„Uns war klar, wir müssen Bewusstsein schaffen, dass wir hart bleiben.“ Dies gelang durch eine Aktion. Frauen verpackten den Forderungskatalog in Schachteln – von Zahnpastaverpackungen bis hin zu Kühlschrankkartons – und schickten sie an die WKÖ. Einige lieferten sie auch persönlich beim Portier ab. „Der war schon ganz verzweifelt, er wusste nicht mehr wohin mit den Schachteln.“ Die Aktion war erfolgreich, die Verhandlungen kamen wieder in Schwung

Der Gleichbehandlungspakt 

Ende Dezember 1992 stand der Gleichbehandlungspakt. Das Frauenpensionsantrittsalter wurde nicht, wie von einigen gefordert bereits ab dem Jahr 1995 schrittweise angehoben, sondern erst ab dem Jahr 2024. Außerdem wurden im Gegenzug zahlreiche Gesetze novelliert, um die Gleichbehandlung zwischen Männern und Frauen in der Arbeitswelt zu erreichen, und es wurde vereinbart, dass erst nach der vollkommenen Gleichbehandlung das Frauenpensionsantrittsalter erhöht werden darf. Hier gibt es eindeutig noch Handlungsbedarf, wie auch Schmidleithner betont: „Der Gleichbehandlungspakt war ein Zwischenerfolg der ÖGB-Frauen und der Frauen insgesamt, aber es gibt noch viel zu tun.“ 

Offene Forderungen

Die Liste der offenen Forderungen und notwendigen Regelungen bis zur Geschlechtergleichstellung ist lang: Rechtsanspruch auf Gratiskindergarten ab dem 1. Lebensjahr, bundeseinheitliche Regelung in der Elementarpädagogik und Kinderbetreuung, Anrechnung von Kindererziehungszeiten von bis zu acht Jahren auf die Pensionszeit und natürlich: Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit.