Equal Pay Day 2022
Sind Frauen selbst schuld, wenn sie weniger verdienen?
ÖGB-Frauenexpertin Karin Zimmermann im Interview über Gründe für die Lohnschere und Maßnahmen zur Beseitigung
Frauen werden systematisch benachteiligt, das zeigt sich auch in der Arbeitswelt. Anlässlich des heurigen Equal Pay Days erklärt ÖGB-Frauenexpertin Karin Zimmermann woran es liegt, dass Frauen immer noch 17,1 Prozent weniger verdienen als Männer.
Solidarität: Was ist der Equal Pay Day?
Karin Zimmermann: Der Equal Pay Day ist der Tag, ab dem Frauen im Vergleich zu Männern statistisch gesehen „gratis“ arbeiten. Österreichweit ist das heuer am 30. Oktober 2022 der Fall. Frauen arbeiten im Jahr 2022 hierzulande also 63 Tage ohne Bezahlung. Nur etwa ein Drittel des Gender Pay Gaps kann durch Kriterien wie Branche, Alter, Unternehmensgröße etc. erklärt werden. Ein Großteil ist strukturell begründet.
Frauen haben in einer männerdominierten Berufswelt große Hürden zu überwinden.
Solidarität: Woran liegt es, dass Frauen weniger verdienen?
Karin Zimmermann: Frauen haben in einer männerdominierten Berufswelt große Hürden zu überwinden. Es ist beispielsweise tatsächlich so, dass die Einkommen in Branchen, in die Frauen vordringen, sinken. Zusätzlich leisten Frauen mehr unbezahlte Arbeit wie Kinderbetreuung und Hausarbeit. Viele Frauen wollen gar nicht weniger Stunden arbeiten, sondern es fehlt die Infrastruktur für die Kinderbetreuung. Frauen werden oft auch schon bei der Gehaltseinstufung anders behandelt als Männer.
Solidarität: Was muss sich ändern und was muss die Politik tun?
Karin Zimmermann: Um Frauen Chancengleichheit zu ermöglichen und vor Armut im Alter zu schützen, braucht es dringend den Rechtsanspruch auf einen Kinderbildungsplatz ab dem 1. Geburtstag des Kindes und familienfreundlichere Arbeitszeitmodelle. Darüber hinaus fordern die ÖGB-Frauen bessere Bezahlung in frauendominierten Branchen und mehr Lohntransparenz durch die Ausweitung und Verbesserung von Einkommensberichten.
- Platz 1: Vorarlberg. Frauen verdienen ganze 24,7 Prozent weniger als Männer. Der Equal Pay Day fällt somit auf den 2. Oktober 2022.
- Platz 2: Oberösterreich. Mit einem Einkommensunterschied von 21,1 Prozent ist der Equal Pay Day am 16. Oktober 2022.
- Platz 3: Tirol. 20,5 Prozent weniger verdienen Frauen als Männer. Der Equal Pay Day fällt auf den 18. Oktober 2022.
- Platz 4: Salzburg. Mit 19,7 Prozent Einkommensunterschied ist der Equal Pay Day am 21. Oktober 2022.
- Platz 5: Steiermark. Frauen verdienen 18,2 Prozent weniger und arbeiten ab dem 26. Oktober 2022 "gratis".
- Platz 6: Niederösterreich. Der Einkommensunterschied beträgt 17,6 Prozent. Damit fällt der Equal Pay Day auf den 28. Oktober 2022.
- Platz 7: Kärnten. Mit 17 Prozent weniger Einkommen für Frauen teilt sich Kärnten den 30. Oktober 2022 mit dem bundesweiten Equal Pay Day.
- Platz 8: Burgenland. Frauen verdienen 16,4 Prozent weniger als Männer. Der Equal Pay Day ist am 2. November 2022.
- Platz 9: Wien. Trotz Letztplatzierung im Negativ-Ranking verdienen Frauen in Wien immer noch 12 Prozent weniger als Männer. Der Equal Pay Day fällt auf den 18. November 2022.
Lesetipp! In einem Kommentar in „Die Presse“ fasst Karin Zimmermann anlässlich des Equal Pay Day noch einmal zusammen, warum Frauen weniger als Männer verdienen, Lohntransparenz nicht das einzige Mittel ist und Maßnahmen helfen.
Equal Pay Day: Und jährlich grüßt das Murmeltier
Frauen verdienen deutlich weniger als Männer. Mehr Lohntransparenz könnte den Unterschied verkleinern.
Am 30. Oktober war wieder Equal Pay Day, also jener Tag, ab dem Frauen statistisch gesehen „gratis“ arbeiten. Wir vergleichen dabei Einkommen von ganzjährig vollzeitbeschäftigten Männern und Frauen und errechnen den Tag aus dem Einkommensunterschied. Auch im Jahr 2022 schaut es für die Frauen nicht gut aus. Immer noch verdienen sie 17,1 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Das sind 63 Tage „unbezahlte“ Arbeit. Es fehlen im Vergleich zu den Männern in etwa zwei Monatsgehälter pro Jahr, über das Erwerbsleben gerechnet ist das ein Einkommensverlust von ca. einer halben Million Euro.
Wie kann das sein? Seit 1979 ist im Gleichbehandlungsgesetz festgeschrieben, dass für gleiche und gleichwertige Arbeit auch ein gleiches Entgelt bezahlt werden muss. Eine Erklärung dafür liegt in der fehlenden Lohntransparenz. Erst, wenn wir wissen, was unsere Kollegen verdienen, können Ungleichheiten benannt werden. Ein Instrument, das Licht ins Dunkel bringen soll, ist der Einkommensbericht. Betriebe mit mehr als 150 Beschäftigten müssen diesen alle zwei Jahre erstellen. Das ist zwar ein guter erster Schritt, aber elf Jahre nach dessen Einführung in Österreich zeigt sich, dass es damit längst nicht getan ist. So gibt es zu viele Ausnahmen: Kleinere Betriebe, Länder und Gemeinden müssen beispielsweise keinen Einkommensbericht vorlegen. Auch gibt es keinerlei Vorschriften, wie vorgegangen werden soll, wenn Einkommensunterschiede auffallen. Angebracht wäre eine Ergänzung um verpflichtende Maßnahmen, wenn strukturelle und finanzielle Unterschiede im Unternehmen festgestellt werden, und Sanktionen für Arbeitgeber, die keine Einkommensberichte erstellen. Summa summarum: Es braucht dringend weitere Verbesserungen in Sachen Lohntransparenz.
Aber: Allein auf der betrieblichen Ebene ist das Problem nicht zu lösen. Es fehlen belastbare Daten. Dringend notwendig wäre daher, dass Interessensvertretungen Zugang zu allen Einkommensberichten haben, um mit den Zahlen arbeiten zu können und so auf Probleme von Lohnungleichheiten aufmerksam machen zu können. Ein Blick über den Tellerrand zeigt, dass andere Länder weitaus offener mit Daten zu Löhnen und Gehältern umgehen und bei Verstößen auch empfindliche Strafen vorsehen.
Maßnahmen wirken
In Island muss ein Unternehmen mit über 25 Beschäftigten das Lohnschema von einer öffentlichen Agentur auf Lohngerechtigkeit zertifizieren lassen. Erfolgt dies nicht, fallen täglich Strafen in Höhe von ca. 360 Euro an. In Schweden müssen Betriebe ab 25 Beschäftigten jährlich Einkommensberichte vorlegen und nachweisen, dass etwas gegen die Lohnungleichheit unternommen wird. Geschieht das nicht, wird mit hohen Strafen sanktioniert. Die Maßnahmen wirken: Schweden hat einen Gender Pay Gap von 10 Prozent, Island 13 Prozent. In Österreich beträgt er 19 Prozent (Eurostat 2020).
Auch gesellschaftliche Änderungen sind wichtig. Als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wären wir – abseits von allen Regeln – gut beraten, offener über unser Einkommen zu sprechen. Es stärkt uns, wenn wir über Geld reden und gemeinsam gegen Lohnungleichheit vorgehen.
Lohntransparenz allein wird das Problem der ungleichen Bezahlung allerdings nicht lösen. Es braucht auch bessere Bezahlung, vor allem in frauendominierten Branchen, und Rahmenbedingungen für eine bessere Vereinbarkeit von Vollzeitarbeit und Familie. Solange unbezahlte Arbeit wie Kinderbetreuung, Hausarbeit und Pflege von Angehörigen fast ausschließlich in den Händen der Frauen liegt, werden wir auch keine Gleichstellung in der Arbeitswelt erreichen.