Gesunde Arbeitsbedingungen gefragt
Tsunami weiblicher Armut verhindern
Studie über weibliche Pensionsantritte mit alarmierenden Ergebnissen; Politik und Arbeitgeber sind gefordert, gegenzusteuern
Immer mehr Frauen wechseln nicht mehr aus ihrem Job in die Pension, weil sie ihn entweder davor verloren haben oder aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr bewältigen können. Eine direkte Folge der langen Arbeitslosigkeit: den betroffenen Frauen steht weniger Geld zur Verfügung.
Es braucht also Arbeitsbedingungen, die es Frauen ermöglichen, direkt in die Pension zu wechseln, fordert der ÖGB ein Maßnahmenbündel von Politik und Arbeitgebern (HIER der Ö1-Beitrag dazu) – sonst wird sich mit der Anhebung des Frauenpensionsalters die Erwerbslücke zwischen letzter Beschäftigung und Pensionsantritt noch weiter vergrößern.
Studie macht Handlungsbedarf klar
Als wäre die Einkommensschere, die sich in Österreich viel zu langsam schließt, nicht schon alarmierend genug, bestätigt jetzt eine aktuelle Studie von WIFO und Forba, dass die geringeren Einkommen der Frauen auch im Pensionsalter quasi vorgezeichnet sind: Nur mehr jede Zweite wechselt direkt aus der aktiven Beschäftigung in die Alterspension.
Die Erwerbslücke zwischen letzter Beschäftigung und Pensionsantritt ist in den vergangenen zehn Jahren von mehr als fünf Jahren (63 Monate) auf knapp sechs Jahre (71,9 Monate gestiegen) gestiegen, so ein Studienergebnis. „Ein ernüchternder Befund, der den Handlungsbedarf klarmacht“, wie es AK-Präsidentin Renate Anderl bei der gemeinsamen Präsentation der Studie mit ÖGB-Vizepräsidentin und -Frauenvorsitzender Korinna Schumann formulierte.
Wenn man jetzt wegschaut, dann rollt eine neue, große Belastungswelle auf Frauen zu. Diesen Tsunami weiblicher Armut müssen wir verhindern.
Große Sorge, Arbeit nicht mehr bis zur Pension zu schaffen
Mehr als die Hälfte der Frauen über 45 Jahren kann sich außerdem laut einer Sonderauswertung des Arbeitsklimaindex 2020 nicht vorstellen, im aktuellen Beruf bis zum gesetzlichen Pensionsalter durchzuhalten.
In der Altenpflege und Behindertenbetreuung bestätigen mit 73 Prozent der Befragten fast drei Viertel diese Sorge, sehr stark ausgeprägt ist sie auch unter Reinigungskräften (66 Prozent) und in der Pflege und medizinischen Betreuung (62 Prozent).
Anhebung des Frauenpensionsalters wird Situation verschärfen
Vor dem Hintergrund, dass das Pensionsantrittsalter für Frauen ab 2024 angehoben wird, müssen die Alarmglocken bei allen Verantwortlichen schrillen, sagt Schumann: „Wenn man jetzt wegschaut, dann rollt eine neue, große Belastungswelle auf Frauen zu. Diesen Tsunami weiblicher Armut müssen wir verhindern.“ Gesetzgeber und Arbeitgeber sind gleichermaßen gefordert, rasch notwendige Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen zu setzen.
Arbeitsbedingungen alternsgerecht gestalten
Bessere Arbeitsbedingungen sind unabdingbar für einen längeren Verbleib im Arbeitsleben. Allerdings schaffen die wenigsten Unternehmen die Voraussetzungen für altersgerechte Arbeitsbedingungen, erklärt die ÖGB-Vizepräsidentin, was die Unternehmen tun können: „Arbeitszeiten erlauben oft keine ausreichenden Erholungspausen oder erschweren die Vereinbarkeit von Familie, Freizeit und Berufsleben. An diesen Schrauben ist zu drehen: Es braucht betriebliche Gesundheitsangebote, die in der Arbeitszeit nutzbar sein müssen, sowie altersadäquate Arbeitszeitmodelle mit ausreichenden Erholungspausen.“
Die Arbeitsorganisation muss auf ältere ArbeitnehmerInnen abgestimmt werden. Das kann durch eine verringerte Arbeitsintensität und bessere Personalplanung gelingen, die eine dauerhafte Überbeanspruchung der ArbeitnehmerInnen vermeidet.
Arbeitszeit verkürzen
Auch innovative Formen von Arbeitszeitverkürzungen (wie die leichtere Erreichbarkeit der sechsten Urlaubswoche, ein Anspruch auf 4-Tage-Woche, Freizeitoption in Kollektivverträgen) könnten dazu beitragen, den materiellen Wohlstand in Zeitwohlstand umzuwandeln und bezahlte (und unbezahlte Arbeit) gerechter zu verteilen.
Rechtsanspruch auf Altersteilzeit und leistbare Kinderbetreuung
Auch die Politik muss einen Beitrag leisten, plädiert Schumann unter anderem für einen Rechtsanspruch einerseits auf Altersteilzeit, damit sie öfter in Anspruch genommen werden kann und andererseits auf leistbare Kinderbetreuungsplätze ab dem 1. Lebensjahr, wie alle Sozialpartner und die IV ihn fordern. Immer mehr Frauen bleiben auch vor der Pension daheim, um ihre Enkelkinder zu betreuen und deren Müttern die Erwerbstätigkeit zu ermöglichen.
Es braucht einen Schulterschluss aller relevanten AkteurInnen: „Wir fordern ganz dringend alle Ebenen zum Hinschauen und zum Handeln auf. Politik, VertreterInnen der zuständigen Ministerien und die Sozialpartner müssen an einen Tisch, um Lösungen auszuarbeiten, damit mehr Frauen direkt aus einer aktiven Beschäftigung in Pension gehen können. Die durchschnittliche Erwerbslücke zwischen letzter Beschäftigung und Pensionsantritt darf mit der Anhebung des Frauenpensionsalters nicht noch größer werden. Jetzt muss etwas getan werden!“